Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

Bild:
<< vorherige Seite

zeihen können, daß ich im Haag war und mit einer
Großfürstin über Land fahren konnte. Glauben Sie
mir, Großfürstinnen, selbst wenn sie Mängel haben (und
sie haben Mängel), sind mir immer noch lieber als das
Landesgewächs von Quaden-Hennersdorf, und mitunter ist
mir zu Mut, als gäbe es keine Weltordnung mehr."

"Aber Herr Superintendent ..."

"Ja, Lorenzen, Sie setzen ein überraschtes Gesicht
auf und wundern sich, daß einer, für den die hohe
Klerisei so viel gethan und ihn zum Superintendenten
in der gesegneten Mittelmark und der noch gesegneteren
Grafschaft Ruppin gemacht hat, -- Sie wundern sich,
daß solch zehnmal Glücklicher solchen Hochverrat redet.
Aber bin ich ein Glücklicher? Ich bin ein Unglück¬
licher ..."

"Aber Herr Superintendent ..."

"... Und möchte, daß ich eine hundertundfünf¬
zig-Seelen-Gemeinde hätte, sagen wir auf dem ,toten
Mann' oder in der Tuchler Heide. Sehen Sie, dann
wär' es vorbei, dann müßt' ich bestimmt: ,du bist in
den Skat gelegt'. Und das kann unter Umständen ein
Trost sein. Die Leute, die Schiffbruch gelitten und nun
in einer Isolierzelle sitzen und Tüten kleben oder Wolle
zupfen, das sind nicht die Unglücklichsten. Unglücklich
sind immer bloß die Halben. Und als einen solchen
habe ich die Ehre mich Ihnen vorzustellen. Ich bin ein
Halber, vielleicht sogar in dem, worauf es ankommt;
aber lassen wir das, ich will hier nur vom allgemein
Menschlichen sprechen. Und daß ich auch in diesem
Menschlichen ein Halber bin, das quält mich. Über
das andre käm' ich vielleicht weg."

Lorenzens Augen wurden immer größer.

"Sehen Sie, da war ich also -- verzeihen Sie,
daß ich immer wieder darauf zurückkomme -- da war
ich also mit siebenundzwanzig im Haag und kam in die

zeihen können, daß ich im Haag war und mit einer
Großfürſtin über Land fahren konnte. Glauben Sie
mir, Großfürſtinnen, ſelbſt wenn ſie Mängel haben (und
ſie haben Mängel), ſind mir immer noch lieber als das
Landesgewächs von Quaden-Hennersdorf, und mitunter iſt
mir zu Mut, als gäbe es keine Weltordnung mehr.“

„Aber Herr Superintendent ...“

„Ja, Lorenzen, Sie ſetzen ein überraſchtes Geſicht
auf und wundern ſich, daß einer, für den die hohe
Kleriſei ſo viel gethan und ihn zum Superintendenten
in der geſegneten Mittelmark und der noch geſegneteren
Grafſchaft Ruppin gemacht hat, — Sie wundern ſich,
daß ſolch zehnmal Glücklicher ſolchen Hochverrat redet.
Aber bin ich ein Glücklicher? Ich bin ein Unglück¬
licher ...“

„Aber Herr Superintendent ...“

„... Und möchte, daß ich eine hundertundfünf¬
zig-Seelen-Gemeinde hätte, ſagen wir auf dem ‚toten
Mann‘ oder in der Tuchler Heide. Sehen Sie, dann
wär' es vorbei, dann müßt' ich beſtimmt: ‚du biſt in
den Skat gelegt‘. Und das kann unter Umſtänden ein
Troſt ſein. Die Leute, die Schiffbruch gelitten und nun
in einer Iſolierzelle ſitzen und Tüten kleben oder Wolle
zupfen, das ſind nicht die Unglücklichſten. Unglücklich
ſind immer bloß die Halben. Und als einen ſolchen
habe ich die Ehre mich Ihnen vorzuſtellen. Ich bin ein
Halber, vielleicht ſogar in dem, worauf es ankommt;
aber laſſen wir das, ich will hier nur vom allgemein
Menſchlichen ſprechen. Und daß ich auch in dieſem
Menſchlichen ein Halber bin, das quält mich. Über
das andre käm' ich vielleicht weg.“

Lorenzens Augen wurden immer größer.

„Sehen Sie, da war ich alſo — verzeihen Sie,
daß ich immer wieder darauf zurückkomme — da war
ich alſo mit ſiebenundzwanzig im Haag und kam in die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0230" n="223"/>
zeihen können, daß ich im Haag war und mit einer<lb/>
Großfür&#x017F;tin über Land fahren konnte. Glauben Sie<lb/>
mir, Großfür&#x017F;tinnen, &#x017F;elb&#x017F;t wenn &#x017F;ie Mängel haben (und<lb/>
&#x017F;ie haben Mängel), &#x017F;ind mir immer noch lieber als das<lb/>
Landesgewächs von Quaden-Hennersdorf, und mitunter i&#x017F;t<lb/>
mir zu Mut, als gäbe es keine Weltordnung mehr.&#x201C;<lb/></p>
          <p>&#x201E;Aber Herr Superintendent ...&#x201C;<lb/></p>
          <p>&#x201E;Ja, Lorenzen, Sie &#x017F;etzen ein überra&#x017F;chtes Ge&#x017F;icht<lb/>
auf und wundern &#x017F;ich, daß einer, für den die hohe<lb/>
Kleri&#x017F;ei &#x017F;o viel gethan und ihn zum Superintendenten<lb/>
in der ge&#x017F;egneten Mittelmark und der noch ge&#x017F;egneteren<lb/>
Graf&#x017F;chaft Ruppin gemacht hat, &#x2014; Sie wundern &#x017F;ich,<lb/>
daß &#x017F;olch zehnmal Glücklicher &#x017F;olchen Hochverrat redet.<lb/>
Aber bin ich ein Glücklicher? Ich bin ein Unglück¬<lb/>
licher ...&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Aber Herr Superintendent ...&#x201C;<lb/></p>
          <p>&#x201E;... Und möchte, daß ich eine hundertundfünf¬<lb/>
zig-Seelen-Gemeinde hätte, &#x017F;agen wir auf dem &#x201A;toten<lb/>
Mann&#x2018; oder in der Tuchler Heide. Sehen Sie, dann<lb/>
wär' es vorbei, dann müßt' ich be&#x017F;timmt: &#x201A;du bi&#x017F;t in<lb/>
den Skat gelegt&#x2018;. Und das kann unter Um&#x017F;tänden ein<lb/>
Tro&#x017F;t &#x017F;ein. Die Leute, die Schiffbruch gelitten und nun<lb/>
in einer I&#x017F;olierzelle &#x017F;itzen und Tüten kleben oder Wolle<lb/>
zupfen, das &#x017F;ind nicht die Unglücklich&#x017F;ten. Unglücklich<lb/>
&#x017F;ind immer bloß die Halben. Und als einen &#x017F;olchen<lb/>
habe ich die Ehre mich Ihnen vorzu&#x017F;tellen. Ich bin ein<lb/>
Halber, vielleicht &#x017F;ogar in <hi rendition="#g">dem</hi>, worauf es ankommt;<lb/>
aber la&#x017F;&#x017F;en wir das, ich will hier nur vom allgemein<lb/>
Men&#x017F;chlichen &#x017F;prechen. Und daß ich auch in die&#x017F;em<lb/>
Men&#x017F;chlichen ein Halber bin, das quält mich. Über<lb/>
das andre käm' ich vielleicht weg.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Lorenzens Augen wurden immer größer.<lb/></p>
          <p>&#x201E;Sehen Sie, da war ich al&#x017F;o &#x2014; verzeihen Sie,<lb/>
daß ich immer wieder darauf zurückkomme &#x2014; da war<lb/>
ich al&#x017F;o mit &#x017F;iebenundzwanzig im Haag und kam in die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[223/0230] zeihen können, daß ich im Haag war und mit einer Großfürſtin über Land fahren konnte. Glauben Sie mir, Großfürſtinnen, ſelbſt wenn ſie Mängel haben (und ſie haben Mängel), ſind mir immer noch lieber als das Landesgewächs von Quaden-Hennersdorf, und mitunter iſt mir zu Mut, als gäbe es keine Weltordnung mehr.“ „Aber Herr Superintendent ...“ „Ja, Lorenzen, Sie ſetzen ein überraſchtes Geſicht auf und wundern ſich, daß einer, für den die hohe Kleriſei ſo viel gethan und ihn zum Superintendenten in der geſegneten Mittelmark und der noch geſegneteren Grafſchaft Ruppin gemacht hat, — Sie wundern ſich, daß ſolch zehnmal Glücklicher ſolchen Hochverrat redet. Aber bin ich ein Glücklicher? Ich bin ein Unglück¬ licher ...“ „Aber Herr Superintendent ...“ „... Und möchte, daß ich eine hundertundfünf¬ zig-Seelen-Gemeinde hätte, ſagen wir auf dem ‚toten Mann‘ oder in der Tuchler Heide. Sehen Sie, dann wär' es vorbei, dann müßt' ich beſtimmt: ‚du biſt in den Skat gelegt‘. Und das kann unter Umſtänden ein Troſt ſein. Die Leute, die Schiffbruch gelitten und nun in einer Iſolierzelle ſitzen und Tüten kleben oder Wolle zupfen, das ſind nicht die Unglücklichſten. Unglücklich ſind immer bloß die Halben. Und als einen ſolchen habe ich die Ehre mich Ihnen vorzuſtellen. Ich bin ein Halber, vielleicht ſogar in dem, worauf es ankommt; aber laſſen wir das, ich will hier nur vom allgemein Menſchlichen ſprechen. Und daß ich auch in dieſem Menſchlichen ein Halber bin, das quält mich. Über das andre käm' ich vielleicht weg.“ Lorenzens Augen wurden immer größer. „Sehen Sie, da war ich alſo — verzeihen Sie, daß ich immer wieder darauf zurückkomme — da war ich alſo mit ſiebenundzwanzig im Haag und kam in die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/230
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/230>, abgerufen am 03.05.2024.