Unsere Landpartieler waren im Angesicht von Spindlers¬ felde nach dem Eierhäuschen zurückgekehrt und hatten sich hier an zwei dicht am Ufer zusammengerückten Tischen niedergelassen, eine Laube von Baumkronen über sich. Sperlinge hüpften umher und warteten auf ihre Zeit. Gleich danach erschien auch ein Kellner, um die Be¬ stellungen entgegen zu nehmen. Es entstand dabei die herkömmliche Verlegenheitspause; niemand wußte was zu sagen, bis die Baronin auf den Stamm einer ihr gegen¬ überstehenden Ulme wies, drauf "Wiener Würstel" und daneben in noch dickeren Buchstaben das gefällige Wort "Löwenbräu" stand. In kürzester Frist erschien denn auch der Kellner wieder, und die Baronin hob ihr Seidel und ließ das Eierhäuschen und die Spree leben, zugleich ver¬ sichernd, "daß man ein echtes Münchener überhaupt nur noch in Berlin tränke." Der alte Berchtesgaden wollte jedoch nichts davon wissen und drang in seine Frau, lieber mehr nach links zu rücken, um den Sonnenuntergang besser beobachten zu können; "der sei freilich in Berlin ebenso gut wie wo anders." Die Baronin hielt aber aus und rührte sich nicht. "Was Sonnenuntergang! den seh' ich jeden Abend. Ich sitze hier sehr gut und freue mich schon auf die Lichter."
Und nicht lange mehr, so waren diese Lichter auch wirklich da. Nicht nur das ganze Lokal erhellte sich,
Fünfzehntes Kapitel.
Unſere Landpartieler waren im Angeſicht von Spindlers¬ felde nach dem Eierhäuschen zurückgekehrt und hatten ſich hier an zwei dicht am Ufer zuſammengerückten Tiſchen niedergelaſſen, eine Laube von Baumkronen über ſich. Sperlinge hüpften umher und warteten auf ihre Zeit. Gleich danach erſchien auch ein Kellner, um die Be¬ ſtellungen entgegen zu nehmen. Es entſtand dabei die herkömmliche Verlegenheitspauſe; niemand wußte was zu ſagen, bis die Baronin auf den Stamm einer ihr gegen¬ überſtehenden Ulme wies, drauf „Wiener Würſtel“ und daneben in noch dickeren Buchſtaben das gefällige Wort „Löwenbräu“ ſtand. In kürzeſter Friſt erſchien denn auch der Kellner wieder, und die Baronin hob ihr Seidel und ließ das Eierhäuschen und die Spree leben, zugleich ver¬ ſichernd, „daß man ein echtes Münchener überhaupt nur noch in Berlin tränke.“ Der alte Berchtesgaden wollte jedoch nichts davon wiſſen und drang in ſeine Frau, lieber mehr nach links zu rücken, um den Sonnenuntergang beſſer beobachten zu können; „der ſei freilich in Berlin ebenſo gut wie wo anders.“ Die Baronin hielt aber aus und rührte ſich nicht. „Was Sonnenuntergang! den ſeh' ich jeden Abend. Ich ſitze hier ſehr gut und freue mich ſchon auf die Lichter.“
Und nicht lange mehr, ſo waren dieſe Lichter auch wirklich da. Nicht nur das ganze Lokal erhellte ſich,
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0199"n="[192]"/><divn="2"><head><hirendition="#b #g">Fünfzehntes Kapitel.</hi><lb/></head><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Unſere Landpartieler waren im Angeſicht von Spindlers¬<lb/>
felde nach dem Eierhäuschen zurückgekehrt und hatten ſich<lb/>
hier an zwei dicht am Ufer zuſammengerückten Tiſchen<lb/>
niedergelaſſen, eine Laube von Baumkronen über ſich.<lb/>
Sperlinge hüpften umher und warteten auf ihre Zeit.<lb/>
Gleich danach erſchien auch ein Kellner, um die Be¬<lb/>ſtellungen entgegen zu nehmen. Es entſtand dabei die<lb/>
herkömmliche Verlegenheitspauſe; niemand wußte was zu<lb/>ſagen, bis die Baronin auf den Stamm einer ihr gegen¬<lb/>
überſtehenden Ulme wies, drauf „Wiener Würſtel“ und<lb/>
daneben in noch dickeren Buchſtaben das gefällige Wort<lb/>„Löwenbräu“ſtand. In kürzeſter Friſt erſchien denn auch<lb/>
der Kellner wieder, und die Baronin hob ihr Seidel und<lb/>
ließ das Eierhäuschen und die Spree leben, zugleich ver¬<lb/>ſichernd, „daß man ein echtes Münchener überhaupt nur<lb/>
noch in Berlin tränke.“ Der alte Berchtesgaden wollte<lb/>
jedoch nichts davon wiſſen und drang in ſeine Frau, lieber<lb/>
mehr nach links zu rücken, um den Sonnenuntergang<lb/>
beſſer beobachten zu können; „der ſei freilich in Berlin<lb/>
ebenſo gut wie wo anders.“ Die Baronin hielt aber<lb/>
aus und rührte ſich nicht. „Was Sonnenuntergang! den<lb/>ſeh' ich jeden Abend. Ich ſitze hier ſehr gut und freue<lb/>
mich ſchon auf die Lichter.“</p><lb/><p>Und nicht lange mehr, ſo waren dieſe Lichter auch<lb/>
wirklich da. Nicht nur das ganze Lokal erhellte ſich,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[[192]/0199]
Fünfzehntes Kapitel.
Unſere Landpartieler waren im Angeſicht von Spindlers¬
felde nach dem Eierhäuschen zurückgekehrt und hatten ſich
hier an zwei dicht am Ufer zuſammengerückten Tiſchen
niedergelaſſen, eine Laube von Baumkronen über ſich.
Sperlinge hüpften umher und warteten auf ihre Zeit.
Gleich danach erſchien auch ein Kellner, um die Be¬
ſtellungen entgegen zu nehmen. Es entſtand dabei die
herkömmliche Verlegenheitspauſe; niemand wußte was zu
ſagen, bis die Baronin auf den Stamm einer ihr gegen¬
überſtehenden Ulme wies, drauf „Wiener Würſtel“ und
daneben in noch dickeren Buchſtaben das gefällige Wort
„Löwenbräu“ ſtand. In kürzeſter Friſt erſchien denn auch
der Kellner wieder, und die Baronin hob ihr Seidel und
ließ das Eierhäuschen und die Spree leben, zugleich ver¬
ſichernd, „daß man ein echtes Münchener überhaupt nur
noch in Berlin tränke.“ Der alte Berchtesgaden wollte
jedoch nichts davon wiſſen und drang in ſeine Frau, lieber
mehr nach links zu rücken, um den Sonnenuntergang
beſſer beobachten zu können; „der ſei freilich in Berlin
ebenſo gut wie wo anders.“ Die Baronin hielt aber
aus und rührte ſich nicht. „Was Sonnenuntergang! den
ſeh' ich jeden Abend. Ich ſitze hier ſehr gut und freue
mich ſchon auf die Lichter.“
Und nicht lange mehr, ſo waren dieſe Lichter auch
wirklich da. Nicht nur das ganze Lokal erhellte ſich,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. [192]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/199>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.