noch in der "Perspektive" sah, das wäre vielleicht schon Wirklichkeit geworden, wenn nicht des alten Dubslav um zehn Jahre ältere Schwester mit ihrem von der Mutter her ererbten Vermögen gewesen wäre: Schwester Adelheid, Domina zu Kloster Wutz. Die half und sagte gut, wenn es schlecht stand oder gar zum Äußersten zu kommen schien. Aber sie half nicht aus Liebe zu dem Bruder -- gegen den sie, ganz im Gegenteil, viel einzuwenden hatte --, sondern lediglich aus einem allgemeinen Stech¬ linschen Familiengefühl. Preußen war was und die Mark Brandenburg auch; aber das Wichtigste waren doch die Stechlins, und der Gedanke, das alte Schloß in andern Besitz und nun gar in einen solchen über¬ gehen zu sehen, war ihr unerträglich. Und über all dies hinaus war ja noch ihr Patenkind da, ihr Neffe Wolde¬ mar, für den sie all die Liebe hegte, die sie dem Bruder versagte.
Ja, die Domina half, aber solcher Hilfen unerachtet wuchs das Gefühl der Entfremdung zwischen den Ge¬ schwistern, und so kam es denn, daß der alte Dubslav, der die Schwester in Kloster Wutz weder gern besuchte noch auch ihren Besuch gern empfing, nichts von Um¬ gang besaß als seinen Pastor Lorenzen (den früheren Erzieher Woldemars) und seinen Küster und Dorfschul¬ lehrer Krippenstapel, zu denen sich allenfalls noch Ober¬ förster Katzler gesellte, Katzler, der Feldjäger gewesen war und ein gut Stück Welt gesehen hatte. Doch auch diese drei kamen nur, wenn sie gerufen wurden, und so war eigentlich nur einer da, der in jedem Augenblicke Red' und Antwort stand. Das war Engelke, sein alter Diener, der seit beinahe fünfzig Jahren alles mit seinem Herrn durchlebt hatte, seine glücklichen Leutnantstage, seine kurze Ehe und seine lange Einsamkeit. Engelke, noch um ein Jahr älter als sein Herr, war dessen Ver¬ trauter geworden, aber ohne Vertraulichkeit. Dubslav
noch in der „Perſpektive“ ſah, das wäre vielleicht ſchon Wirklichkeit geworden, wenn nicht des alten Dubslav um zehn Jahre ältere Schweſter mit ihrem von der Mutter her ererbten Vermögen geweſen wäre: Schweſter Adelheid, Domina zu Kloſter Wutz. Die half und ſagte gut, wenn es ſchlecht ſtand oder gar zum Äußerſten zu kommen ſchien. Aber ſie half nicht aus Liebe zu dem Bruder — gegen den ſie, ganz im Gegenteil, viel einzuwenden hatte —, ſondern lediglich aus einem allgemeinen Stech¬ linſchen Familiengefühl. Preußen war was und die Mark Brandenburg auch; aber das Wichtigſte waren doch die Stechlins, und der Gedanke, das alte Schloß in andern Beſitz und nun gar in einen ſolchen über¬ gehen zu ſehen, war ihr unerträglich. Und über all dies hinaus war ja noch ihr Patenkind da, ihr Neffe Wolde¬ mar, für den ſie all die Liebe hegte, die ſie dem Bruder verſagte.
Ja, die Domina half, aber ſolcher Hilfen unerachtet wuchs das Gefühl der Entfremdung zwiſchen den Ge¬ ſchwiſtern, und ſo kam es denn, daß der alte Dubslav, der die Schweſter in Kloſter Wutz weder gern beſuchte noch auch ihren Beſuch gern empfing, nichts von Um¬ gang beſaß als ſeinen Paſtor Lorenzen (den früheren Erzieher Woldemars) und ſeinen Küſter und Dorfſchul¬ lehrer Krippenſtapel, zu denen ſich allenfalls noch Ober¬ förſter Katzler geſellte, Katzler, der Feldjäger geweſen war und ein gut Stück Welt geſehen hatte. Doch auch dieſe drei kamen nur, wenn ſie gerufen wurden, und ſo war eigentlich nur einer da, der in jedem Augenblicke Red' und Antwort ſtand. Das war Engelke, ſein alter Diener, der ſeit beinahe fünfzig Jahren alles mit ſeinem Herrn durchlebt hatte, ſeine glücklichen Leutnantstage, ſeine kurze Ehe und ſeine lange Einſamkeit. Engelke, noch um ein Jahr älter als ſein Herr, war deſſen Ver¬ trauter geworden, aber ohne Vertraulichkeit. Dubslav
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0018"n="11"/>
noch in der „Perſpektive“ſah, das wäre vielleicht ſchon<lb/>
Wirklichkeit geworden, wenn nicht des alten Dubslav um<lb/>
zehn Jahre ältere Schweſter mit ihrem von der Mutter her<lb/>
ererbten Vermögen geweſen wäre: Schweſter Adelheid,<lb/>
Domina zu Kloſter Wutz. Die half und ſagte gut, wenn<lb/>
es ſchlecht ſtand oder gar zum Äußerſten zu kommen<lb/>ſchien. Aber ſie half nicht aus Liebe zu dem Bruder<lb/>— gegen den ſie, ganz im Gegenteil, viel einzuwenden<lb/>
hatte —, ſondern lediglich aus einem allgemeinen Stech¬<lb/>
linſchen Familiengefühl. Preußen war was und die<lb/>
Mark Brandenburg auch; aber das Wichtigſte waren<lb/>
doch die Stechlins, und der Gedanke, das alte Schloß<lb/>
in andern Beſitz und nun gar in einen ſolchen über¬<lb/>
gehen zu ſehen, war ihr unerträglich. Und über all dies<lb/>
hinaus war ja noch ihr Patenkind da, ihr Neffe Wolde¬<lb/>
mar, für den ſie all die Liebe hegte, die ſie dem Bruder<lb/>
verſagte.</p><lb/><p>Ja, die Domina half, aber ſolcher Hilfen unerachtet<lb/>
wuchs das Gefühl der Entfremdung zwiſchen den Ge¬<lb/>ſchwiſtern, und ſo kam es denn, daß der alte Dubslav,<lb/>
der die Schweſter in Kloſter Wutz weder gern beſuchte<lb/>
noch auch ihren Beſuch gern empfing, nichts von Um¬<lb/>
gang beſaß als ſeinen Paſtor Lorenzen (den früheren<lb/>
Erzieher Woldemars) und ſeinen Küſter und Dorfſchul¬<lb/>
lehrer Krippenſtapel, zu denen ſich allenfalls noch Ober¬<lb/>
förſter Katzler geſellte, Katzler, der Feldjäger geweſen<lb/>
war und ein gut Stück Welt geſehen hatte. Doch auch<lb/>
dieſe drei kamen nur, wenn ſie gerufen wurden, und ſo<lb/>
war eigentlich nur einer da, der in jedem Augenblicke<lb/>
Red' und Antwort ſtand. Das war Engelke, ſein alter<lb/>
Diener, der ſeit beinahe fünfzig Jahren alles mit ſeinem<lb/>
Herrn durchlebt hatte, ſeine glücklichen Leutnantstage,<lb/>ſeine kurze Ehe und ſeine lange Einſamkeit. Engelke,<lb/>
noch um ein Jahr älter als ſein Herr, war deſſen Ver¬<lb/>
trauter geworden, aber ohne Vertraulichkeit. Dubslav<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[11/0018]
noch in der „Perſpektive“ ſah, das wäre vielleicht ſchon
Wirklichkeit geworden, wenn nicht des alten Dubslav um
zehn Jahre ältere Schweſter mit ihrem von der Mutter her
ererbten Vermögen geweſen wäre: Schweſter Adelheid,
Domina zu Kloſter Wutz. Die half und ſagte gut, wenn
es ſchlecht ſtand oder gar zum Äußerſten zu kommen
ſchien. Aber ſie half nicht aus Liebe zu dem Bruder
— gegen den ſie, ganz im Gegenteil, viel einzuwenden
hatte —, ſondern lediglich aus einem allgemeinen Stech¬
linſchen Familiengefühl. Preußen war was und die
Mark Brandenburg auch; aber das Wichtigſte waren
doch die Stechlins, und der Gedanke, das alte Schloß
in andern Beſitz und nun gar in einen ſolchen über¬
gehen zu ſehen, war ihr unerträglich. Und über all dies
hinaus war ja noch ihr Patenkind da, ihr Neffe Wolde¬
mar, für den ſie all die Liebe hegte, die ſie dem Bruder
verſagte.
Ja, die Domina half, aber ſolcher Hilfen unerachtet
wuchs das Gefühl der Entfremdung zwiſchen den Ge¬
ſchwiſtern, und ſo kam es denn, daß der alte Dubslav,
der die Schweſter in Kloſter Wutz weder gern beſuchte
noch auch ihren Beſuch gern empfing, nichts von Um¬
gang beſaß als ſeinen Paſtor Lorenzen (den früheren
Erzieher Woldemars) und ſeinen Küſter und Dorfſchul¬
lehrer Krippenſtapel, zu denen ſich allenfalls noch Ober¬
förſter Katzler geſellte, Katzler, der Feldjäger geweſen
war und ein gut Stück Welt geſehen hatte. Doch auch
dieſe drei kamen nur, wenn ſie gerufen wurden, und ſo
war eigentlich nur einer da, der in jedem Augenblicke
Red' und Antwort ſtand. Das war Engelke, ſein alter
Diener, der ſeit beinahe fünfzig Jahren alles mit ſeinem
Herrn durchlebt hatte, ſeine glücklichen Leutnantstage,
ſeine kurze Ehe und ſeine lange Einſamkeit. Engelke,
noch um ein Jahr älter als ſein Herr, war deſſen Ver¬
trauter geworden, aber ohne Vertraulichkeit. Dubslav
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/18>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.