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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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"Gewiß nicht. Aber Wrschowitz und Niels! Er litt,
glaub' ich, unter diesem Gegensatz."

Woldemar lachte. "Das kenn' ich. Das kenn' ich
von meinem Vater her, der Dubslav heißt, was ihm auch
immer höchst unbequem war. Und da reichen wohl nicht
hundertmal, daß ich ihn wegen dieses Namens seinen
Vater habe verklagen hören."

"Genau so hier," fuhr der Graf in seiner Erzählung
fort. "Wrschowitz' Vater, ein kleiner Kapellmeister an der
tschechisch-polnischen Grenze, war ein Niels Gade-Schwärmer,
woraufhin er seinen Jungen einfach Niels taufte. Das
war nun wegen des Kontrastes schon gerade bedenklich
genug. Aber das eigentlich Bedenkliche kam doch erst, als
der allmählich ein scharfer Wagnerianer werdende Wrscho¬
witz sich zum direkten Niels Gade-Verächter ausbildete.
Niels Gade war ihm der Inbegriff alles Trivialen und
Unbedeutenden, und dazu kam noch, wie Amen in der
Kirche, daß unser junger Freund, wenn er als ,Niels
Wrschowitz' vorgestellt wurde, mit einer Art Sicherheit
der Phrase begegnete: ,Niels? Ah, Niels. Ein schöner
Name innerhalb unsrer musikalischen Welt. Und hoch er¬
freulich, ihn hier zum zweitenmale vertreten zu sehen.'
All das konnte der arme Kerl auf die Dauer nicht aus¬
halten, und so kam er auf den Gedanken, den Vornamen
auf seiner Karte durch einen Doktortitel weg zu eskamotieren."

Woldemar nickte.

"Jedenfalls, lieber Stechlin, ersehen Sie daraus zur
Genüge, daß unser Wrschowitz, als richtiger Künstler, in
die Gruppe gens irrtabilis gehört, und wenn Armgard
ihn vielleicht aufgefordert haben sollte, zum Thee zu bleiben,
so bitt' ich Sie herzlich, dieser Reizbarkeit eingedenk zu
sein. Wenn irgend möglich, vermeiden Sie Beziehungen
auf die ganze skandinavische Welt, besonders aber auf
Dänemark direkt. Er wittert überall Verrat. Übrigens,
wenn man auf seiner Hut ist, ist er ein feiner und gebildeter

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„Gewiß nicht. Aber Wrſchowitz und Niels! Er litt,
glaub’ ich, unter dieſem Gegenſatz.“

Woldemar lachte. „Das kenn’ ich. Das kenn’ ich
von meinem Vater her, der Dubslav heißt, was ihm auch
immer höchſt unbequem war. Und da reichen wohl nicht
hundertmal, daß ich ihn wegen dieſes Namens ſeinen
Vater habe verklagen hören.“

„Genau ſo hier,“ fuhr der Graf in ſeiner Erzählung
fort. „Wrſchowitz’ Vater, ein kleiner Kapellmeiſter an der
tſchechiſch-polniſchen Grenze, war ein Niels Gade-Schwärmer,
woraufhin er ſeinen Jungen einfach Niels taufte. Das
war nun wegen des Kontraſtes ſchon gerade bedenklich
genug. Aber das eigentlich Bedenkliche kam doch erſt, als
der allmählich ein ſcharfer Wagnerianer werdende Wrſcho¬
witz ſich zum direkten Niels Gade-Verächter ausbildete.
Niels Gade war ihm der Inbegriff alles Trivialen und
Unbedeutenden, und dazu kam noch, wie Amen in der
Kirche, daß unſer junger Freund, wenn er als ‚Niels
Wrſchowitz‘ vorgeſtellt wurde, mit einer Art Sicherheit
der Phraſe begegnete: ‚Niels? Ah, Niels. Ein ſchöner
Name innerhalb unſrer muſikaliſchen Welt. Und hoch er¬
freulich, ihn hier zum zweitenmale vertreten zu ſehen.‘
All das konnte der arme Kerl auf die Dauer nicht aus¬
halten, und ſo kam er auf den Gedanken, den Vornamen
auf ſeiner Karte durch einen Doktortitel weg zu eskamotieren.“

Woldemar nickte.

„Jedenfalls, lieber Stechlin, erſehen Sie daraus zur
Genüge, daß unſer Wrſchowitz, als richtiger Künſtler, in
die Gruppe gens irrtabilis gehört, und wenn Armgard
ihn vielleicht aufgefordert haben ſollte, zum Thee zu bleiben,
ſo bitt' ich Sie herzlich, dieſer Reizbarkeit eingedenk zu
ſein. Wenn irgend möglich, vermeiden Sie Beziehungen
auf die ganze ſkandinaviſche Welt, beſonders aber auf
Dänemark direkt. Er wittert überall Verrat. Übrigens,
wenn man auf ſeiner Hut iſt, iſt er ein feiner und gebildeter

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[163/0170] „Gewiß nicht. Aber Wrſchowitz und Niels! Er litt, glaub’ ich, unter dieſem Gegenſatz.“ Woldemar lachte. „Das kenn’ ich. Das kenn’ ich von meinem Vater her, der Dubslav heißt, was ihm auch immer höchſt unbequem war. Und da reichen wohl nicht hundertmal, daß ich ihn wegen dieſes Namens ſeinen Vater habe verklagen hören.“ „Genau ſo hier,“ fuhr der Graf in ſeiner Erzählung fort. „Wrſchowitz’ Vater, ein kleiner Kapellmeiſter an der tſchechiſch-polniſchen Grenze, war ein Niels Gade-Schwärmer, woraufhin er ſeinen Jungen einfach Niels taufte. Das war nun wegen des Kontraſtes ſchon gerade bedenklich genug. Aber das eigentlich Bedenkliche kam doch erſt, als der allmählich ein ſcharfer Wagnerianer werdende Wrſcho¬ witz ſich zum direkten Niels Gade-Verächter ausbildete. Niels Gade war ihm der Inbegriff alles Trivialen und Unbedeutenden, und dazu kam noch, wie Amen in der Kirche, daß unſer junger Freund, wenn er als ‚Niels Wrſchowitz‘ vorgeſtellt wurde, mit einer Art Sicherheit der Phraſe begegnete: ‚Niels? Ah, Niels. Ein ſchöner Name innerhalb unſrer muſikaliſchen Welt. Und hoch er¬ freulich, ihn hier zum zweitenmale vertreten zu ſehen.‘ All das konnte der arme Kerl auf die Dauer nicht aus¬ halten, und ſo kam er auf den Gedanken, den Vornamen auf ſeiner Karte durch einen Doktortitel weg zu eskamotieren.“ Woldemar nickte. „Jedenfalls, lieber Stechlin, erſehen Sie daraus zur Genüge, daß unſer Wrſchowitz, als richtiger Künſtler, in die Gruppe gens irrtabilis gehört, und wenn Armgard ihn vielleicht aufgefordert haben ſollte, zum Thee zu bleiben, ſo bitt' ich Sie herzlich, dieſer Reizbarkeit eingedenk zu ſein. Wenn irgend möglich, vermeiden Sie Beziehungen auf die ganze ſkandinaviſche Welt, beſonders aber auf Dänemark direkt. Er wittert überall Verrat. Übrigens, wenn man auf ſeiner Hut iſt, iſt er ein feiner und gebildeter 11*

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/170>, abgerufen am 22.11.2024.