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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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Verzug. Man weiß immer, wenn man Verzug ist. Ich
wenigstens hab' es immer gewußt."

"Das glaub' ich."

"Das glaub' ich! Wie wollen Sie das erklären?"

"Einfach genug, gnädigste Gräfin. Jede Sache
will gelernt sein. Alles ist schließlich Erfahrung. Und
ich glaube, daß Ihnen reichlich Gelegenheit gegeben
wurde, der Frage ,Verzug oder Nichtverzug' praktisch
näherzutreten."

"Gut herausgeredet. Aber nun, Armgard, sage
dem Herrn von Stechlin (ich persönlich getraue mich's
nicht), daß wir in einer halben Stunde fort müssen,
Opernhaus, ,Tristan und Isolde'. Was sagen Sie da¬
zu? Nicht zu Tristan und Isolde, nein zu der heikleren
Frage, daß wir eben gehen, im selben Augenblick, wo
Sie kommen. Denn ich seh' es Ihnen an, Sie kamen
nicht so bloß um ,five o'clock tea's' willen, Sie hatten
es besser mit uns vor. Sie wollten bleiben ..."

"Ich bekenne ..."

"Also getroffen. Und zum Zeichen, daß Sie gro߬
mütig sind und Verzeihung üben, versprechen Sie, daß
wir Sie bald wiedersehen, recht, recht bald. Ihr Wort
darauf. Und dem Papa, der Sie vielleicht erwartet,
wenn es Jeserich für gut befunden hat, die Meldung
auszurichten, -- dem Papa werd' ich sagen, Sie hätten
nicht bleiben können, eine Verabredung, Klub oder
sonst was."


Während Woldemar nach diesem abschließenden
Gespräch mit Melusine die Treppe hinabstieg und auf
den nächsten Droschkenstand zuschritt, saß der alte Graf
in seinem Zimmer und sah, den rechten Fuß auf einen
Stuhl gelehnt, durch das Balkonfenster auf den Abend¬

Fontane, Der Stechlin. 10

Verzug. Man weiß immer, wenn man Verzug iſt. Ich
wenigſtens hab' es immer gewußt.“

„Das glaub' ich.“

„Das glaub' ich! Wie wollen Sie das erklären?“

„Einfach genug, gnädigſte Gräfin. Jede Sache
will gelernt ſein. Alles iſt ſchließlich Erfahrung. Und
ich glaube, daß Ihnen reichlich Gelegenheit gegeben
wurde, der Frage ‚Verzug oder Nichtverzug‘ praktiſch
näherzutreten.“

„Gut herausgeredet. Aber nun, Armgard, ſage
dem Herrn von Stechlin (ich perſönlich getraue mich's
nicht), daß wir in einer halben Stunde fort müſſen,
Opernhaus, ‚Triſtan und Iſolde‘. Was ſagen Sie da¬
zu? Nicht zu Triſtan und Iſolde, nein zu der heikleren
Frage, daß wir eben gehen, im ſelben Augenblick, wo
Sie kommen. Denn ich ſeh' es Ihnen an, Sie kamen
nicht ſo bloß um ‚five o'clock tea's‘ willen, Sie hatten
es beſſer mit uns vor. Sie wollten bleiben ...“

„Ich bekenne ...“

„Alſo getroffen. Und zum Zeichen, daß Sie gro߬
mütig ſind und Verzeihung üben, verſprechen Sie, daß
wir Sie bald wiederſehen, recht, recht bald. Ihr Wort
darauf. Und dem Papa, der Sie vielleicht erwartet,
wenn es Jeſerich für gut befunden hat, die Meldung
auszurichten, — dem Papa werd' ich ſagen, Sie hätten
nicht bleiben können, eine Verabredung, Klub oder
ſonſt was.“


Während Woldemar nach dieſem abſchließenden
Geſpräch mit Meluſine die Treppe hinabſtieg und auf
den nächſten Droſchkenſtand zuſchritt, ſaß der alte Graf
in ſeinem Zimmer und ſah, den rechten Fuß auf einen
Stuhl gelehnt, durch das Balkonfenſter auf den Abend¬

Fontane, Der Stechlin. 10
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[145/0152] Verzug. Man weiß immer, wenn man Verzug iſt. Ich wenigſtens hab' es immer gewußt.“ „Das glaub' ich.“ „Das glaub' ich! Wie wollen Sie das erklären?“ „Einfach genug, gnädigſte Gräfin. Jede Sache will gelernt ſein. Alles iſt ſchließlich Erfahrung. Und ich glaube, daß Ihnen reichlich Gelegenheit gegeben wurde, der Frage ‚Verzug oder Nichtverzug‘ praktiſch näherzutreten.“ „Gut herausgeredet. Aber nun, Armgard, ſage dem Herrn von Stechlin (ich perſönlich getraue mich's nicht), daß wir in einer halben Stunde fort müſſen, Opernhaus, ‚Triſtan und Iſolde‘. Was ſagen Sie da¬ zu? Nicht zu Triſtan und Iſolde, nein zu der heikleren Frage, daß wir eben gehen, im ſelben Augenblick, wo Sie kommen. Denn ich ſeh' es Ihnen an, Sie kamen nicht ſo bloß um ‚five o'clock tea's‘ willen, Sie hatten es beſſer mit uns vor. Sie wollten bleiben ...“ „Ich bekenne ...“ „Alſo getroffen. Und zum Zeichen, daß Sie gro߬ mütig ſind und Verzeihung üben, verſprechen Sie, daß wir Sie bald wiederſehen, recht, recht bald. Ihr Wort darauf. Und dem Papa, der Sie vielleicht erwartet, wenn es Jeſerich für gut befunden hat, die Meldung auszurichten, — dem Papa werd' ich ſagen, Sie hätten nicht bleiben können, eine Verabredung, Klub oder ſonſt was.“ Während Woldemar nach dieſem abſchließenden Geſpräch mit Meluſine die Treppe hinabſtieg und auf den nächſten Droſchkenſtand zuſchritt, ſaß der alte Graf in ſeinem Zimmer und ſah, den rechten Fuß auf einen Stuhl gelehnt, durch das Balkonfenſter auf den Abend¬ Fontane, Der Stechlin. 10

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/152>, abgerufen am 22.11.2024.