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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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Beide Damen stellten sich jetzt vor den Spiegel; Arm¬
gard, hinter der Schwester stehend und größer als diese,
sah über deren linke Schulter fort. Beide gefielen sich
ungemein und schließlich lachten sie, weil jede der andern
ansah, wie hübsch sie sich fand.

"Ich möchte doch beinah glauben ..." sagte
Melusine, kam aber nicht weiter, denn in eben diesem
Augenblicke trat ein in schwarzen Frack und Escarpins
gekleideter alter Diener ein und meldete: "Rittmeister
von Stechlin."

Unmittelbar darauf erschien denn auch Woldemar selbst
und verbeugte sich gegen die Damen. "Ich fürchte,
daß ich zu sehr ungelegener Stunde komme."

"Ganz im Gegenteil, lieber Stechlin. Um wessent¬
willen quälen wir uns denn überhaupt mit solchen
Sachen? Doch bloß um unsrer Gebieter willen, die
man ja (vielleicht leider) auch noch hat, wenn man sie
nicht mehr hat."

"Immer die liebenswürdige Frau."

"Keine Schmeicheleien. Und dann, diese Hüte sind
wichtig. Ich nehm es als eine Fügung, daß Sie da
gerade hinzukommen; Sie sollen entscheiden. Wir haben
freilich schon Lizzis Meinung angerufen, aber Lizzi ist
zu diplomatisch; Sie sind Soldat und müssen mehr
Mut haben; Armgard sprich auch; du bist nicht mehr
jung genug, um noch ewig die Verlegene zu spielen.
Ich bin sonst gegen alle Gutachten, namentlich in Pro¬
zeßsachen (ich weiß ein Lied davon zu singen), aber ein
Gutachten von Ihnen, da laß ich all meine Bedenken
fallen. Außerdem bin ich für Autoritäten, und wenn
es überhaupt Autoritäten in Sachen von Geschmack und
Mode giebt, wo wären sie besser zu finden als im
Regiment Ihrer Kaiserlich Königlichen Majestät von
Großbritannien und Indien? Irland laß ich absichtlich
fallen und nehme lieber Indien, woher aller gute Ge¬

Beide Damen ſtellten ſich jetzt vor den Spiegel; Arm¬
gard, hinter der Schweſter ſtehend und größer als dieſe,
ſah über deren linke Schulter fort. Beide gefielen ſich
ungemein und ſchließlich lachten ſie, weil jede der andern
anſah, wie hübſch ſie ſich fand.

„Ich möchte doch beinah glauben ...“ ſagte
Meluſine, kam aber nicht weiter, denn in eben dieſem
Augenblicke trat ein in ſchwarzen Frack und Escarpins
gekleideter alter Diener ein und meldete: „Rittmeiſter
von Stechlin.“

Unmittelbar darauf erſchien denn auch Woldemar ſelbſt
und verbeugte ſich gegen die Damen. „Ich fürchte,
daß ich zu ſehr ungelegener Stunde komme.“

„Ganz im Gegenteil, lieber Stechlin. Um weſſent¬
willen quälen wir uns denn überhaupt mit ſolchen
Sachen? Doch bloß um unſrer Gebieter willen, die
man ja (vielleicht leider) auch noch hat, wenn man ſie
nicht mehr hat.“

„Immer die liebenswürdige Frau.“

„Keine Schmeicheleien. Und dann, dieſe Hüte ſind
wichtig. Ich nehm es als eine Fügung, daß Sie da
gerade hinzukommen; Sie ſollen entſcheiden. Wir haben
freilich ſchon Lizzis Meinung angerufen, aber Lizzi iſt
zu diplomatiſch; Sie ſind Soldat und müſſen mehr
Mut haben; Armgard ſprich auch; du biſt nicht mehr
jung genug, um noch ewig die Verlegene zu ſpielen.
Ich bin ſonſt gegen alle Gutachten, namentlich in Pro¬
zeßſachen (ich weiß ein Lied davon zu ſingen), aber ein
Gutachten von Ihnen, da laß ich all meine Bedenken
fallen. Außerdem bin ich für Autoritäten, und wenn
es überhaupt Autoritäten in Sachen von Geſchmack und
Mode giebt, wo wären ſie beſſer zu finden als im
Regiment Ihrer Kaiſerlich Königlichen Majeſtät von
Großbritannien und Indien? Irland laß ich abſichtlich
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[143/0150] Beide Damen ſtellten ſich jetzt vor den Spiegel; Arm¬ gard, hinter der Schweſter ſtehend und größer als dieſe, ſah über deren linke Schulter fort. Beide gefielen ſich ungemein und ſchließlich lachten ſie, weil jede der andern anſah, wie hübſch ſie ſich fand. „Ich möchte doch beinah glauben ...“ ſagte Meluſine, kam aber nicht weiter, denn in eben dieſem Augenblicke trat ein in ſchwarzen Frack und Escarpins gekleideter alter Diener ein und meldete: „Rittmeiſter von Stechlin.“ Unmittelbar darauf erſchien denn auch Woldemar ſelbſt und verbeugte ſich gegen die Damen. „Ich fürchte, daß ich zu ſehr ungelegener Stunde komme.“ „Ganz im Gegenteil, lieber Stechlin. Um weſſent¬ willen quälen wir uns denn überhaupt mit ſolchen Sachen? Doch bloß um unſrer Gebieter willen, die man ja (vielleicht leider) auch noch hat, wenn man ſie nicht mehr hat.“ „Immer die liebenswürdige Frau.“ „Keine Schmeicheleien. Und dann, dieſe Hüte ſind wichtig. Ich nehm es als eine Fügung, daß Sie da gerade hinzukommen; Sie ſollen entſcheiden. Wir haben freilich ſchon Lizzis Meinung angerufen, aber Lizzi iſt zu diplomatiſch; Sie ſind Soldat und müſſen mehr Mut haben; Armgard ſprich auch; du biſt nicht mehr jung genug, um noch ewig die Verlegene zu ſpielen. Ich bin ſonſt gegen alle Gutachten, namentlich in Pro¬ zeßſachen (ich weiß ein Lied davon zu ſingen), aber ein Gutachten von Ihnen, da laß ich all meine Bedenken fallen. Außerdem bin ich für Autoritäten, und wenn es überhaupt Autoritäten in Sachen von Geſchmack und Mode giebt, wo wären ſie beſſer zu finden als im Regiment Ihrer Kaiſerlich Königlichen Majeſtät von Großbritannien und Indien? Irland laß ich abſichtlich fallen und nehme lieber Indien, woher aller gute Ge¬

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/150>, abgerufen am 22.11.2024.