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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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ganz unbefangen. Ein Verlangen, etwas zu belauschen
oder von ungefähr in Familienangelegenheiten einge¬
weiht zu werden, lag ihr völlig fern, und alles, was
sie trotzdem zum Ausharren bestimmte, war lediglich
der Wunsch, solchem historischen Beisammensein eine
durch ihre Triglaffgegenwart gesteigerte Weihe zu
geben. Indessen schließlich ging auch sie. Man
hatte sich wenig um sie gekümmert, und Tante und
Neffe ließen sich, als sie jetzt allein waren, in zwei
braune Plüschfauteuils (Erbstücke noch vom Schloß
Stechlin her) nieder, Woldemar allerdings mit äußerster
Vorsicht, weil die Sprungfedern bereits jenen Alters¬
grad erreicht hatten, wo sie nicht nur einen dumpfen
Ton von sich zu geben, sondern auch zu stechen anfangen.

Die Tante bemerkte nichts davon, war vielmehr
froh, ihren Neffen endlich allein zu haben und sagte
mit rasch wiedergewonnenem Behagen: "Ich hätte dir
schon bei Tische gern was Bessres an die Seite gegeben;
aber wir haben hier, wie du weißt, nur unsre vier Kon¬
ventualinnen, und von diesen vieren sind die Schmargen¬
dorf und die Triglaff immer noch die besten. Unsre
gute Schimonski, die morgen einundachtzig wird, ist
eigentlich ein Schatz, aber leider stocktaub, und die
Teschendorf, die mal Gouvernante bei den Esterhazys
war und auch noch den Fürsten Schwarzenberg, dessen
Frau in Paris verbrannte, gekannt hat, ja, die hätt'
ich natürlich solchem feinen Herrn wie dem Herrn von
Rex, gerne vorgesetzt, aber es ist ein Unglück, die arme
Person, die Teschendorf, ist so zittrig und kann den
Löffel nicht recht mehr halten. Da hab' ich denn doch
lieber die Triglaff genommen; sie ist sehr dumm, aber
doch wenigstens manierlich, so viel muß man ihr lassen.
Und die Schmargendorf ..."

Woldemar lachte.

"Ja, du lachst, Woldemar, und ich will dir auch

ganz unbefangen. Ein Verlangen, etwas zu belauſchen
oder von ungefähr in Familienangelegenheiten einge¬
weiht zu werden, lag ihr völlig fern, und alles, was
ſie trotzdem zum Ausharren beſtimmte, war lediglich
der Wunſch, ſolchem hiſtoriſchen Beiſammenſein eine
durch ihre Triglaffgegenwart geſteigerte Weihe zu
geben. Indeſſen ſchließlich ging auch ſie. Man
hatte ſich wenig um ſie gekümmert, und Tante und
Neffe ließen ſich, als ſie jetzt allein waren, in zwei
braune Plüſchfauteuils (Erbſtücke noch vom Schloß
Stechlin her) nieder, Woldemar allerdings mit äußerſter
Vorſicht, weil die Sprungfedern bereits jenen Alters¬
grad erreicht hatten, wo ſie nicht nur einen dumpfen
Ton von ſich zu geben, ſondern auch zu ſtechen anfangen.

Die Tante bemerkte nichts davon, war vielmehr
froh, ihren Neffen endlich allein zu haben und ſagte
mit raſch wiedergewonnenem Behagen: „Ich hätte dir
ſchon bei Tiſche gern was Beſſres an die Seite gegeben;
aber wir haben hier, wie du weißt, nur unſre vier Kon¬
ventualinnen, und von dieſen vieren ſind die Schmargen¬
dorf und die Triglaff immer noch die beſten. Unſre
gute Schimonski, die morgen einundachtzig wird, iſt
eigentlich ein Schatz, aber leider ſtocktaub, und die
Teſchendorf, die mal Gouvernante bei den Eſterhazys
war und auch noch den Fürſten Schwarzenberg, deſſen
Frau in Paris verbrannte, gekannt hat, ja, die hätt'
ich natürlich ſolchem feinen Herrn wie dem Herrn von
Rex, gerne vorgeſetzt, aber es iſt ein Unglück, die arme
Perſon, die Teſchendorf, iſt ſo zittrig und kann den
Löffel nicht recht mehr halten. Da hab' ich denn doch
lieber die Triglaff genommen; ſie iſt ſehr dumm, aber
doch wenigſtens manierlich, ſo viel muß man ihr laſſen.
Und die Schmargendorf ...“

Woldemar lachte.

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[120/0127] ganz unbefangen. Ein Verlangen, etwas zu belauſchen oder von ungefähr in Familienangelegenheiten einge¬ weiht zu werden, lag ihr völlig fern, und alles, was ſie trotzdem zum Ausharren beſtimmte, war lediglich der Wunſch, ſolchem hiſtoriſchen Beiſammenſein eine durch ihre Triglaffgegenwart geſteigerte Weihe zu geben. Indeſſen ſchließlich ging auch ſie. Man hatte ſich wenig um ſie gekümmert, und Tante und Neffe ließen ſich, als ſie jetzt allein waren, in zwei braune Plüſchfauteuils (Erbſtücke noch vom Schloß Stechlin her) nieder, Woldemar allerdings mit äußerſter Vorſicht, weil die Sprungfedern bereits jenen Alters¬ grad erreicht hatten, wo ſie nicht nur einen dumpfen Ton von ſich zu geben, ſondern auch zu ſtechen anfangen. Die Tante bemerkte nichts davon, war vielmehr froh, ihren Neffen endlich allein zu haben und ſagte mit raſch wiedergewonnenem Behagen: „Ich hätte dir ſchon bei Tiſche gern was Beſſres an die Seite gegeben; aber wir haben hier, wie du weißt, nur unſre vier Kon¬ ventualinnen, und von dieſen vieren ſind die Schmargen¬ dorf und die Triglaff immer noch die beſten. Unſre gute Schimonski, die morgen einundachtzig wird, iſt eigentlich ein Schatz, aber leider ſtocktaub, und die Teſchendorf, die mal Gouvernante bei den Eſterhazys war und auch noch den Fürſten Schwarzenberg, deſſen Frau in Paris verbrannte, gekannt hat, ja, die hätt' ich natürlich ſolchem feinen Herrn wie dem Herrn von Rex, gerne vorgeſetzt, aber es iſt ein Unglück, die arme Perſon, die Teſchendorf, iſt ſo zittrig und kann den Löffel nicht recht mehr halten. Da hab' ich denn doch lieber die Triglaff genommen; ſie iſt ſehr dumm, aber doch wenigſtens manierlich, ſo viel muß man ihr laſſen. Und die Schmargendorf ...“ Woldemar lachte. „Ja, du lachſt, Woldemar, und ich will dir auch

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/127>, abgerufen am 22.11.2024.