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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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wollen, daß wir in einem Stift, einem Kloster sind ...
und so meine ich denn, der Ort, an dem wir leben,
giebt uns doch auch ein Recht und eine Weihe."

"Kein Zweifel. Und ich muß nachträglich die Be¬
denken Ihres Herrn Bruders als irrtümlich anerkennen.
Aber wenn ich mich so ausdrücken darf, ein kleidsamer
Irrtum ... Auf das Wohl Ihres Herrn Bruders!"

Damit schloß das etwas difficile Zwiegespräch, dem
alle mit einiger Verlegenheit gefolgt waren. Nur nicht
die Schmargendorf. "Ach," sagte diese, während sie sich
halb in den Vorhängen versteckte, "wenn wir von dem
Wein trinken, dann hören wir auch immer dieselbe Ge¬
schichte. Die Domina muß sich damals sehr über den
alten Herrn von Stechlin geärgert haben. Und doch
hat er eigentlich recht; schon der bloße Name stimmt
ernst und feierlich und es liegt was drin, das einem
Christenmenschen denn doch zu denken giebt. Und
gerade wenn man so recht vergnügt ist."

"Darauf wollen wir anstoßen," sagte Czako, völlig
im Dunkeln lassend, ob er mehr den Christenmenschen
oder den Ernst oder das Vergnügtsein meinte.

"Und überhaupt," fuhr die Schmargendorf fort,
"die Weine müßten eigentlich alle anders heißen, oder
wenigstens sehr sehr viele."

"Ganz meine Meinung, meine Gnädigste," sagte
Czako. "Da sind wirklich so manche ... Man darf
aber andrerseits das Zartgefühl nicht überspannen. Will
man das, so bringen wir uns einfach um die reichsten
Quellen wahrer Poesie. Da haben wie beispielsweise,
so ganz allgemein und bloß als Gattungsbegriff, die
,Milch der Greise', -- zunächst ein durchaus unbean¬
standenswertes Wort. Aber alsbald (denn unsre Sprache
liebt solche Spiele) treten mannigfache Fort- und Weiter¬
bildungen, selbst Geschlechtsüberspringungen an uns
heran, und ehe wir's uns versehen, hat sich

wollen, daß wir in einem Stift, einem Kloſter ſind ...
und ſo meine ich denn, der Ort, an dem wir leben,
giebt uns doch auch ein Recht und eine Weihe.“

„Kein Zweifel. Und ich muß nachträglich die Be¬
denken Ihres Herrn Bruders als irrtümlich anerkennen.
Aber wenn ich mich ſo ausdrücken darf, ein kleidſamer
Irrtum ... Auf das Wohl Ihres Herrn Bruders!“

Damit ſchloß das etwas difficile Zwiegeſpräch, dem
alle mit einiger Verlegenheit gefolgt waren. Nur nicht
die Schmargendorf. „Ach,“ ſagte dieſe, während ſie ſich
halb in den Vorhängen verſteckte, „wenn wir von dem
Wein trinken, dann hören wir auch immer dieſelbe Ge¬
ſchichte. Die Domina muß ſich damals ſehr über den
alten Herrn von Stechlin geärgert haben. Und doch
hat er eigentlich recht; ſchon der bloße Name ſtimmt
ernſt und feierlich und es liegt was drin, das einem
Chriſtenmenſchen denn doch zu denken giebt. Und
gerade wenn man ſo recht vergnügt iſt.“

„Darauf wollen wir anſtoßen,“ ſagte Czako, völlig
im Dunkeln laſſend, ob er mehr den Chriſtenmenſchen
oder den Ernſt oder das Vergnügtſein meinte.

„Und überhaupt,“ fuhr die Schmargendorf fort,
„die Weine müßten eigentlich alle anders heißen, oder
wenigſtens ſehr ſehr viele.“

„Ganz meine Meinung, meine Gnädigſte,“ ſagte
Czako. „Da ſind wirklich ſo manche ... Man darf
aber andrerſeits das Zartgefühl nicht überſpannen. Will
man das, ſo bringen wir uns einfach um die reichſten
Quellen wahrer Poeſie. Da haben wie beiſpielsweiſe,
ſo ganz allgemein und bloß als Gattungsbegriff, die
‚Milch der Greiſe‘, — zunächſt ein durchaus unbean¬
ſtandenswertes Wort. Aber alsbald (denn unſre Sprache
liebt ſolche Spiele) treten mannigfache Fort- und Weiter¬
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[116/0123] wollen, daß wir in einem Stift, einem Kloſter ſind ... und ſo meine ich denn, der Ort, an dem wir leben, giebt uns doch auch ein Recht und eine Weihe.“ „Kein Zweifel. Und ich muß nachträglich die Be¬ denken Ihres Herrn Bruders als irrtümlich anerkennen. Aber wenn ich mich ſo ausdrücken darf, ein kleidſamer Irrtum ... Auf das Wohl Ihres Herrn Bruders!“ Damit ſchloß das etwas difficile Zwiegeſpräch, dem alle mit einiger Verlegenheit gefolgt waren. Nur nicht die Schmargendorf. „Ach,“ ſagte dieſe, während ſie ſich halb in den Vorhängen verſteckte, „wenn wir von dem Wein trinken, dann hören wir auch immer dieſelbe Ge¬ ſchichte. Die Domina muß ſich damals ſehr über den alten Herrn von Stechlin geärgert haben. Und doch hat er eigentlich recht; ſchon der bloße Name ſtimmt ernſt und feierlich und es liegt was drin, das einem Chriſtenmenſchen denn doch zu denken giebt. Und gerade wenn man ſo recht vergnügt iſt.“ „Darauf wollen wir anſtoßen,“ ſagte Czako, völlig im Dunkeln laſſend, ob er mehr den Chriſtenmenſchen oder den Ernſt oder das Vergnügtſein meinte. „Und überhaupt,“ fuhr die Schmargendorf fort, „die Weine müßten eigentlich alle anders heißen, oder wenigſtens ſehr ſehr viele.“ „Ganz meine Meinung, meine Gnädigſte,“ ſagte Czako. „Da ſind wirklich ſo manche ... Man darf aber andrerſeits das Zartgefühl nicht überſpannen. Will man das, ſo bringen wir uns einfach um die reichſten Quellen wahrer Poeſie. Da haben wie beiſpielsweiſe, ſo ganz allgemein und bloß als Gattungsbegriff, die ‚Milch der Greiſe‘, — zunächſt ein durchaus unbean¬ ſtandenswertes Wort. Aber alsbald (denn unſre Sprache liebt ſolche Spiele) treten mannigfache Fort- und Weiter¬ bildungen, ſelbſt Geſchlechtsüberſpringungen an uns heran, und ehe wir's uns verſehen, hat ſich

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/123>, abgerufen am 04.05.2024.