Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Von vor und nach der Reise. 2. Aufl. Berlin, 1894.

Bild:
<< vorherige Seite

tativ fächelte: "Kinder, es ist reizend bei Euch, aber eine kannibalische Hitze: wenn ich nicht Maud und Alice vis-a-vis hätte, würd' ich glauben, in einem russischen Bade zu sitzen. Oder doch in einem römischen, was um einen Grad anständiger und civilisierter ist. Ich bitte das Fenster aufmachen zu dürfen."

Und er wollte sich erheben. Aber Karoline sagte: "Du mußt verzeihen, lieber Onkel, unser Freund ist Reconvalescent und sehr empfindlich gegen Zug."

Onkel Dodo lachte. "Zug, Zug. Es ist noch kein halbes Jahr, daß ich mit einem Australier, einem älteren Herrn aus Melbourne oder Sydney, von Meiningen nach Kissingen fuhr. Charmanter Kerl, noch frisch trotz seiner fünfzig. Er sagte mir, daß er alle zwei Jahre herüber käme, Geschäfte halber, und das erste Wort, das er jedesmal höre, wäre ,es zieht.' Und gleich darauf würd' alles herunter gelassen und hermetisch verschlossen. Ja, liebe Karoline, so sprechen Australier über Deutschland, Antipoden, Papuas und halbe Känguruhvettern. Und was das schlimmste ist, sie haben recht. Es giebt viele Lächerlichkeiten, aber das lächerlichste ist die Furcht vor dem Zug. Und damit müssen wir brechen. Denn was ist Zug? Zug ist eine Art

tativ fächelte: „Kinder, es ist reizend bei Euch, aber eine kannibalische Hitze: wenn ich nicht Maud und Alice vis-à-vis hätte, würd’ ich glauben, in einem russischen Bade zu sitzen. Oder doch in einem römischen, was um einen Grad anständiger und civilisierter ist. Ich bitte das Fenster aufmachen zu dürfen.“

Und er wollte sich erheben. Aber Karoline sagte: „Du mußt verzeihen, lieber Onkel, unser Freund ist Reconvalescent und sehr empfindlich gegen Zug.“

Onkel Dodo lachte. „Zug, Zug. Es ist noch kein halbes Jahr, daß ich mit einem Australier, einem älteren Herrn aus Melbourne oder Sydney, von Meiningen nach Kissingen fuhr. Charmanter Kerl, noch frisch trotz seiner fünfzig. Er sagte mir, daß er alle zwei Jahre herüber käme, Geschäfte halber, und das erste Wort, das er jedesmal höre, wäre ‚es zieht.‘ Und gleich darauf würd’ alles herunter gelassen und hermetisch verschlossen. Ja, liebe Karoline, so sprechen Australier über Deutschland, Antipoden, Papuas und halbe Känguruhvettern. Und was das schlimmste ist, sie haben recht. Es giebt viele Lächerlichkeiten, aber das lächerlichste ist die Furcht vor dem Zug. Und damit müssen wir brechen. Denn was ist Zug? Zug ist eine Art

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0099" n="97"/>
tativ fächelte: &#x201E;Kinder, es ist reizend bei                     Euch, aber eine kannibalische Hitze: wenn ich nicht Maud und Alice vis-à-vis                     hätte, würd&#x2019; ich glauben, in einem russischen Bade zu sitzen. Oder doch in einem                     römischen, was um einen Grad anständiger und civilisierter ist. Ich bitte das                     Fenster aufmachen zu dürfen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Und er wollte sich erheben. Aber Karoline sagte: &#x201E;Du mußt verzeihen, lieber                     Onkel, unser Freund ist Reconvalescent und sehr empfindlich gegen Zug.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Onkel Dodo lachte. &#x201E;Zug, Zug. Es ist noch kein halbes Jahr, daß ich mit einem                     Australier, einem älteren Herrn aus Melbourne oder Sydney, von Meiningen nach                     Kissingen fuhr. Charmanter Kerl, noch frisch trotz seiner fünfzig. Er sagte mir,                     daß er alle zwei Jahre herüber käme, Geschäfte halber, und das erste Wort, das                     er jedesmal höre, wäre &#x201A;es zieht.&#x2018; Und gleich darauf würd&#x2019; alles herunter                     gelassen und hermetisch verschlossen. Ja, liebe Karoline, so sprechen Australier                     über Deutschland, Antipoden, Papuas und halbe Känguruhvettern. Und was das                     schlimmste ist, sie haben recht. Es giebt viele Lächerlichkeiten, aber das                     lächerlichste ist die Furcht vor dem Zug. Und damit müssen wir brechen. Denn was                     ist Zug? Zug ist eine Art
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[97/0099] tativ fächelte: „Kinder, es ist reizend bei Euch, aber eine kannibalische Hitze: wenn ich nicht Maud und Alice vis-à-vis hätte, würd’ ich glauben, in einem russischen Bade zu sitzen. Oder doch in einem römischen, was um einen Grad anständiger und civilisierter ist. Ich bitte das Fenster aufmachen zu dürfen.“ Und er wollte sich erheben. Aber Karoline sagte: „Du mußt verzeihen, lieber Onkel, unser Freund ist Reconvalescent und sehr empfindlich gegen Zug.“ Onkel Dodo lachte. „Zug, Zug. Es ist noch kein halbes Jahr, daß ich mit einem Australier, einem älteren Herrn aus Melbourne oder Sydney, von Meiningen nach Kissingen fuhr. Charmanter Kerl, noch frisch trotz seiner fünfzig. Er sagte mir, daß er alle zwei Jahre herüber käme, Geschäfte halber, und das erste Wort, das er jedesmal höre, wäre ‚es zieht.‘ Und gleich darauf würd’ alles herunter gelassen und hermetisch verschlossen. Ja, liebe Karoline, so sprechen Australier über Deutschland, Antipoden, Papuas und halbe Känguruhvettern. Und was das schlimmste ist, sie haben recht. Es giebt viele Lächerlichkeiten, aber das lächerlichste ist die Furcht vor dem Zug. Und damit müssen wir brechen. Denn was ist Zug? Zug ist eine Art

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen, Theodor Fontane: Große Brandenburger Ausgabe (GBA): Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). (2014-01-22T15:28:28Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-22T15:28:28Z)
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2014-01-22T15:28:28Z)

Weitere Informationen:

Theodor Fontane: Von vor und nach der Reise. Plaudereien und kleine Geschichten. Hrsg. von Walter Hettche und Gabriele Radecke. Berlin 2007 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das erzählerische Werk, Bd. 19]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin).

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet;
  • Druckfehler: stillschweigend korrigiert;
  • fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;
  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert;
  • Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet;
  • Kustoden: nicht gekennzeichnet;
  • langes s (ſ): als s transkribiert;
  • rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;
  • Silbentrennung: aufgelöst;
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;
  • Zeilenumbrüche markiert: nein.

Auslassungszeichen im Text werden einheitlich als U+2026 <…> (HORIZONTAL ELLIPSIS) wiedergegeben.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_reise_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_reise_1894/99
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Von vor und nach der Reise. 2. Aufl. Berlin, 1894, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_reise_1894/99>, abgerufen am 21.11.2024.