Fontane, Theodor: Von vor und nach der Reise. 2. Aufl. Berlin, 1894.Erdmannsdorf, und das Schweizerhaus daneben, das ist Sieckes Hotel, wo man die guten Forellen und das gute Pilsener kriegt, und die weiße Steinmauer dicht dahinter (aber es sind noch fast zwei Stunden), das ist der Hirschberger Kirchhof." All das richtete sich selbstverständlich an das große Publikum, aber auch die daneben sitzenden jungen Herren vernahmen, sie mochten wollen oder nicht, jeden Namen und jede Ortsbezeichnung, und als der Ganzjugendliche, der eben noch der Harfenistin den Hof gemacht hatte, das Wort "Kirchhof" hörte, zog er, sentimental werdend, sein Gesicht in feierliche Falten und begann dabei vor sich hinzusummen: "es ist bestimmt in Gottes Rat". Es waren im ersten Augenblick nur halblaute Versuchsklänge, bis seine Commilitonen, denen solcher Stimmungswechsel ebenfalls passen mochte, mit ihren angehenden Bierstimmen einfielen. Elegisch klang es über den Vorplatz hin und auch zu Pohl hinauf. Der lag sterbenskrank auf seinem Bett, und einer von der Familie, der wohl sah, wie schwer er litt, sagte, während er sich niederbeugte: "Sollen wir 'runterschicken und bitten lassen, daß sie nicht weiter singen?" Aber Pohl schüttelte den Kopf und sprach etwas, was freilich nur der Nächststehende hören konnte. "Was sagt Vater?" fragten die Erdmannsdorf, und das Schweizerhaus daneben, das ist Sieckes Hotel, wo man die guten Forellen und das gute Pilsener kriegt, und die weiße Steinmauer dicht dahinter (aber es sind noch fast zwei Stunden), das ist der Hirschberger Kirchhof.“ All das richtete sich selbstverständlich an das große Publikum, aber auch die daneben sitzenden jungen Herren vernahmen, sie mochten wollen oder nicht, jeden Namen und jede Ortsbezeichnung, und als der Ganzjugendliche, der eben noch der Harfenistin den Hof gemacht hatte, das Wort „Kirchhof“ hörte, zog er, sentimental werdend, sein Gesicht in feierliche Falten und begann dabei vor sich hinzusummen: „es ist bestimmt in Gottes Rat“. Es waren im ersten Augenblick nur halblaute Versuchsklänge, bis seine Commilitonen, denen solcher Stimmungswechsel ebenfalls passen mochte, mit ihren angehenden Bierstimmen einfielen. Elegisch klang es über den Vorplatz hin und auch zu Pohl hinauf. Der lag sterbenskrank auf seinem Bett, und einer von der Familie, der wohl sah, wie schwer er litt, sagte, während er sich niederbeugte: „Sollen wir ’runterschicken und bitten lassen, daß sie nicht weiter singen?“ Aber Pohl schüttelte den Kopf und sprach etwas, was freilich nur der Nächststehende hören konnte. „Was sagt Vater?“ fragten die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0173" n="171"/> Erdmannsdorf, und das Schweizerhaus daneben, das ist Sieckes Hotel, wo man die guten Forellen und das gute Pilsener kriegt, und die weiße Steinmauer dicht dahinter (aber es sind noch fast zwei Stunden), das ist der Hirschberger Kirchhof.“ All das richtete sich selbstverständlich an das große Publikum, aber auch die daneben sitzenden jungen Herren vernahmen, sie mochten wollen oder nicht, jeden Namen und jede Ortsbezeichnung, und als der Ganzjugendliche, der eben noch der Harfenistin den Hof gemacht hatte, das Wort „Kirchhof“ hörte, zog er, sentimental werdend, sein Gesicht in feierliche Falten und begann dabei vor sich hinzusummen: „es ist bestimmt in Gottes Rat“. Es waren im ersten Augenblick nur halblaute Versuchsklänge, bis seine Commilitonen, denen solcher Stimmungswechsel ebenfalls passen mochte, mit ihren angehenden Bierstimmen einfielen.</p><lb/> <p>Elegisch klang es über den Vorplatz hin und auch zu Pohl hinauf. Der lag sterbenskrank auf seinem Bett, und einer von der Familie, der wohl sah, wie schwer er litt, sagte, während er sich niederbeugte: „Sollen wir ’runterschicken und bitten lassen, daß sie nicht weiter singen?“ Aber Pohl schüttelte den Kopf und sprach etwas, was freilich nur der Nächststehende hören konnte. „Was sagt Vater?“ fragten die </p> </div> </body> </text> </TEI> [171/0173]
Erdmannsdorf, und das Schweizerhaus daneben, das ist Sieckes Hotel, wo man die guten Forellen und das gute Pilsener kriegt, und die weiße Steinmauer dicht dahinter (aber es sind noch fast zwei Stunden), das ist der Hirschberger Kirchhof.“ All das richtete sich selbstverständlich an das große Publikum, aber auch die daneben sitzenden jungen Herren vernahmen, sie mochten wollen oder nicht, jeden Namen und jede Ortsbezeichnung, und als der Ganzjugendliche, der eben noch der Harfenistin den Hof gemacht hatte, das Wort „Kirchhof“ hörte, zog er, sentimental werdend, sein Gesicht in feierliche Falten und begann dabei vor sich hinzusummen: „es ist bestimmt in Gottes Rat“. Es waren im ersten Augenblick nur halblaute Versuchsklänge, bis seine Commilitonen, denen solcher Stimmungswechsel ebenfalls passen mochte, mit ihren angehenden Bierstimmen einfielen.
Elegisch klang es über den Vorplatz hin und auch zu Pohl hinauf. Der lag sterbenskrank auf seinem Bett, und einer von der Familie, der wohl sah, wie schwer er litt, sagte, während er sich niederbeugte: „Sollen wir ’runterschicken und bitten lassen, daß sie nicht weiter singen?“ Aber Pohl schüttelte den Kopf und sprach etwas, was freilich nur der Nächststehende hören konnte. „Was sagt Vater?“ fragten die
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Zitationshilfe: | Fontane, Theodor: Von vor und nach der Reise. 2. Aufl. Berlin, 1894, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_reise_1894/173>, abgerufen am 25.07.2024. |