Fontane, Theodor: Von vor und nach der Reise. 2. Aufl. Berlin, 1894.geworden ist, hat nicht Willfährigkeit und Entgegenkommen, sondern das Gegenteil davon erzeugt. Vielfach reine Wegelagerei. Wirte, Mietskutscher und Führer überbieten sich in Gewinnsucht und Rücksichtslosigkeit, und wer - im Gegensatz zu den vorgeschilderten, relativ seßhaften Reisenden - sein Reiseglück auf diese drei Karten gestellt hat, der wird freilich wohl thun, mit niedrigsten Erwartungen in die Situation einzutreten. War es immer so? Mit nichten. Wie ganz anders erwiesen sich die Wirte vergangener Tage! Nur noch Einzel-Exemplare kommen vor, an denen sich die Tugenden eines ausgestorbenen Geschlechts studieren lassen. Wer sie voll erkennen will, der lese die englischen Romane des vorigen Jahrhunderts. Auch noch in W. Scott finden sich solche Gestalten. Es gab nichts Liebenswürdigeres als solchen englischen Landlord, der in heiterer Würde seine Gäste auf dem Vorflur begrüßte und mit der Miene eines fürstlichen Menschenfreundes seine Weisungen gab. Er vertrat jeden Augenblick die Ehre seines Standes. Er war nicht dazu da, um in den drei Reisemonaten reich zu werden, still und allmählich sah er sein Vermögen wachsen und gab dem Sohne ein Eigentum, das er selbst einst vom Vater empfangen hatte. Er waltete seines Amts aus gutem Herzen geworden ist, hat nicht Willfährigkeit und Entgegenkommen, sondern das Gegenteil davon erzeugt. Vielfach reine Wegelagerei. Wirte, Mietskutscher und Führer überbieten sich in Gewinnsucht und Rücksichtslosigkeit, und wer – im Gegensatz zu den vorgeschilderten, relativ seßhaften Reisenden – sein Reiseglück auf diese drei Karten gestellt hat, der wird freilich wohl thun, mit niedrigsten Erwartungen in die Situation einzutreten. War es immer so? Mit nichten. Wie ganz anders erwiesen sich die Wirte vergangener Tage! Nur noch Einzel-Exemplare kommen vor, an denen sich die Tugenden eines ausgestorbenen Geschlechts studieren lassen. Wer sie voll erkennen will, der lese die englischen Romane des vorigen Jahrhunderts. Auch noch in W. Scott finden sich solche Gestalten. Es gab nichts Liebenswürdigeres als solchen englischen Landlord, der in heiterer Würde seine Gäste auf dem Vorflur begrüßte und mit der Miene eines fürstlichen Menschenfreundes seine Weisungen gab. Er vertrat jeden Augenblick die Ehre seines Standes. Er war nicht dazu da, um in den drei Reisemonaten reich zu werden, still und allmählich sah er sein Vermögen wachsen und gab dem Sohne ein Eigentum, das er selbst einst vom Vater empfangen hatte. Er waltete seines Amts aus gutem Herzen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0011" n="9"/> geworden ist, hat nicht Willfährigkeit und Entgegenkommen, sondern das Gegenteil davon erzeugt. Vielfach reine Wegelagerei. <hi rendition="#g">Wirte</hi>, <hi rendition="#g">Mietskutscher</hi> und <hi rendition="#g">Führer</hi> überbieten sich in Gewinnsucht und Rücksichtslosigkeit, und wer – im Gegensatz zu den vorgeschilderten, relativ seßhaften Reisenden – sein Reiseglück auf <hi rendition="#g">diese</hi> drei Karten gestellt hat, der wird freilich wohl thun, mit niedrigsten Erwartungen in die Situation einzutreten.</p><lb/> <p>War es immer so? Mit nichten. Wie ganz anders erwiesen sich die Wirte vergangener Tage! Nur noch Einzel-Exemplare kommen vor, an denen sich die Tugenden eines ausgestorbenen Geschlechts studieren lassen. Wer sie voll erkennen will, der lese die englischen Romane des vorigen Jahrhunderts. Auch noch in W. Scott finden sich solche Gestalten. Es gab nichts Liebenswürdigeres als solchen englischen Landlord, der in heiterer Würde seine Gäste auf dem Vorflur begrüßte und mit der Miene eines fürstlichen Menschenfreundes seine Weisungen gab. Er vertrat jeden Augenblick die Ehre seines Standes. Er war nicht dazu da, um in den drei Reisemonaten reich zu werden, still und allmählich sah er sein Vermögen wachsen und gab dem Sohne ein Eigentum, das er selbst einst vom Vater empfangen hatte. Er waltete seines Amts aus gutem Herzen </p> </div> </body> </text> </TEI> [9/0011]
geworden ist, hat nicht Willfährigkeit und Entgegenkommen, sondern das Gegenteil davon erzeugt. Vielfach reine Wegelagerei. Wirte, Mietskutscher und Führer überbieten sich in Gewinnsucht und Rücksichtslosigkeit, und wer – im Gegensatz zu den vorgeschilderten, relativ seßhaften Reisenden – sein Reiseglück auf diese drei Karten gestellt hat, der wird freilich wohl thun, mit niedrigsten Erwartungen in die Situation einzutreten.
War es immer so? Mit nichten. Wie ganz anders erwiesen sich die Wirte vergangener Tage! Nur noch Einzel-Exemplare kommen vor, an denen sich die Tugenden eines ausgestorbenen Geschlechts studieren lassen. Wer sie voll erkennen will, der lese die englischen Romane des vorigen Jahrhunderts. Auch noch in W. Scott finden sich solche Gestalten. Es gab nichts Liebenswürdigeres als solchen englischen Landlord, der in heiterer Würde seine Gäste auf dem Vorflur begrüßte und mit der Miene eines fürstlichen Menschenfreundes seine Weisungen gab. Er vertrat jeden Augenblick die Ehre seines Standes. Er war nicht dazu da, um in den drei Reisemonaten reich zu werden, still und allmählich sah er sein Vermögen wachsen und gab dem Sohne ein Eigentum, das er selbst einst vom Vater empfangen hatte. Er waltete seines Amts aus gutem Herzen
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_reise_1894 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_reise_1894/11 |
Zitationshilfe: | Fontane, Theodor: Von vor und nach der Reise. 2. Aufl. Berlin, 1894, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_reise_1894/11>, abgerufen am 04.07.2024. |