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Fontane, Theodor: Die Poggenpuhls. 6. Aufl. Berlin, 1902.

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"Sage das nicht, Kind," bemerkte die Tante. "Dir erscheint es komisch; aber was Jahrhunderte mit Ernst und Achtung angeschaut haben, darin seh' ich immer etwas, was man respektieren muß."

Manon errötete und erhob sich dann und küßte der Tante die Hand.



Man trennte sich früh, aber doch mit der Zusicherung, am andern Tage spätestens um sieben beim Frühstück sein zu wollen. Es gab noch allerhand zu besprechen. Da kam man denn auch überein, daß Sophie, die nun schon so lange in halber Einsamkeit gelebt habe, wieder mit nach Berlin zurückkehren solle, aber nur auf kurze Zeit. Sophie, so äußerte sich die Tante, sei so gut und so klug und so bescheiden, daß ihre Nähe ihr ein Bedürfnis geworden sei; sie müsse sich freilich in der großen Stadt erholen, aber je eher sie zurückkehre, je lieber sei es ihr. Es wurde seitens der Tante festgesetzt, daß sie Mitte November wieder in Adamsdorf eintreffen solle; mit dem Malen würde es dann in den dunkeln Nebeltagen wohl vorbei sein, aber das schade nichts, und wenn Sophie neben ihr sitze und mit ihr ins Feuer sähe und des lieben Toten gedenke, so sei das noch besser als das beste Bild. Als sie das sagte, reichte sie Sophie die Hand,

„Sage das nicht, Kind,“ bemerkte die Tante. „Dir erscheint es komisch; aber was Jahrhunderte mit Ernst und Achtung angeschaut haben, darin seh’ ich immer etwas, was man respektieren muß.“

Manon errötete und erhob sich dann und küßte der Tante die Hand.



Man trennte sich früh, aber doch mit der Zusicherung, am andern Tage spätestens um sieben beim Frühstück sein zu wollen. Es gab noch allerhand zu besprechen. Da kam man denn auch überein, daß Sophie, die nun schon so lange in halber Einsamkeit gelebt habe, wieder mit nach Berlin zurückkehren solle, aber nur auf kurze Zeit. Sophie, so äußerte sich die Tante, sei so gut und so klug und so bescheiden, daß ihre Nähe ihr ein Bedürfnis geworden sei; sie müsse sich freilich in der großen Stadt erholen, aber je eher sie zurückkehre, je lieber sei es ihr. Es wurde seitens der Tante festgesetzt, daß sie Mitte November wieder in Adamsdorf eintreffen solle; mit dem Malen würde es dann in den dunkeln Nebeltagen wohl vorbei sein, aber das schade nichts, und wenn Sophie neben ihr sitze und mit ihr ins Feuer sähe und des lieben Toten gedenke, so sei das noch besser als das beste Bild. Als sie das sagte, reichte sie Sophie die Hand,

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[160/0167] „Sage das nicht, Kind,“ bemerkte die Tante. „Dir erscheint es komisch; aber was Jahrhunderte mit Ernst und Achtung angeschaut haben, darin seh’ ich immer etwas, was man respektieren muß.“ Manon errötete und erhob sich dann und küßte der Tante die Hand. Man trennte sich früh, aber doch mit der Zusicherung, am andern Tage spätestens um sieben beim Frühstück sein zu wollen. Es gab noch allerhand zu besprechen. Da kam man denn auch überein, daß Sophie, die nun schon so lange in halber Einsamkeit gelebt habe, wieder mit nach Berlin zurückkehren solle, aber nur auf kurze Zeit. Sophie, so äußerte sich die Tante, sei so gut und so klug und so bescheiden, daß ihre Nähe ihr ein Bedürfnis geworden sei; sie müsse sich freilich in der großen Stadt erholen, aber je eher sie zurückkehre, je lieber sei es ihr. Es wurde seitens der Tante festgesetzt, daß sie Mitte November wieder in Adamsdorf eintreffen solle; mit dem Malen würde es dann in den dunkeln Nebeltagen wohl vorbei sein, aber das schade nichts, und wenn Sophie neben ihr sitze und mit ihr ins Feuer sähe und des lieben Toten gedenke, so sei das noch besser als das beste Bild. Als sie das sagte, reichte sie Sophie die Hand,

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen, Theodor Fontane: Große Brandenburger Ausgabe (GBA): Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). (2018-07-25T11:03:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Alexandra Priesterath, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-07-25T11:03:16Z)

Weitere Informationen:

Theodor Fontane: Die Poggenpuhls. Hrsg. von Gabriele Radecke. Berlin 2006 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das erzählerische Werk, Bd. 16]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin).

Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet;
  • Druckfehler: stillschweigend korrigiert;
  • fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;
  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert;
  • Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet;
  • Kustoden: nicht gekennzeichnet;
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  • rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;
  • Silbentrennung: aufgelöst;
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;
  • Zeilenumbrüche markiert: nein.



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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Die Poggenpuhls. 6. Aufl. Berlin, 1902, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_poggenpuhls_1897/167>, abgerufen am 06.05.2024.