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Fontane, Theodor: Die Poggenpuhls. 6. Aufl. Berlin, 1902.

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"Cynisch?"

"Ja. Man sieht Statuen und Reliefs, die das Cynische rücksichtslos herauskehren. Jch wähle diesen Ausdruck absichtlich. Es ist das eben die Vorliebe für das Natürliche, das die moderne Kunst als ihr gutes Recht ansieht; ich glaube aber umgekehrt, daß die Kunst verhüllen soll. Jndessen dies alles mag auf sich beruhen, ich will davon nicht sprechen; als ich vorhin mit Vorbedacht das Wort cynisch gebrauchte, dachte ich vielmehr an die lebendigen Bilder und Scenen, an die Menschen also, die man dort findet. Auf jeder Bank sitzt ein Paar und verletzt durch seine Haltung. Und wenn man endlich wo Platz nehmen will, an einer Stelle, wo sich zufällig kein Paar befindet, so kann man es auch nicht, weil man nie weiß, wer vorher da gesessen hat. Gerade im Tiergarten soll es so furchtbare Menschen geben."

"Jch setze mich immer da, wo Kinder spielen."

"Das solltest du nicht thun, Manon. Man ist auch da nicht sicher, oft da am wenigsten. Und jedenfalls fehlt allem der Zauber des Unberührten; hier weiß ich, ich atme eine reine Luft. Sieh doch, wie das da plätschert; bei uns ist alles trübe Lache."

Therese sprach noch weiter in dieser Richtung und verstieg sich dabei bis zu hoher Anerkennung der Tante. "Sophie hat uns nicht zu viel geschrieben,

„Cynisch?“

„Ja. Man sieht Statuen und Reliefs, die das Cynische rücksichtslos herauskehren. Jch wähle diesen Ausdruck absichtlich. Es ist das eben die Vorliebe für das Natürliche, das die moderne Kunst als ihr gutes Recht ansieht; ich glaube aber umgekehrt, daß die Kunst verhüllen soll. Jndessen dies alles mag auf sich beruhen, ich will davon nicht sprechen; als ich vorhin mit Vorbedacht das Wort cynisch gebrauchte, dachte ich vielmehr an die lebendigen Bilder und Scenen, an die Menschen also, die man dort findet. Auf jeder Bank sitzt ein Paar und verletzt durch seine Haltung. Und wenn man endlich wo Platz nehmen will, an einer Stelle, wo sich zufällig kein Paar befindet, so kann man es auch nicht, weil man nie weiß, wer vorher da gesessen hat. Gerade im Tiergarten soll es so furchtbare Menschen geben.“

„Jch setze mich immer da, wo Kinder spielen.“

„Das solltest du nicht thun, Manon. Man ist auch da nicht sicher, oft da am wenigsten. Und jedenfalls fehlt allem der Zauber des Unberührten; hier weiß ich, ich atme eine reine Luft. Sieh doch, wie das da plätschert; bei uns ist alles trübe Lache.“

Therese sprach noch weiter in dieser Richtung und verstieg sich dabei bis zu hoher Anerkennung der Tante. „Sophie hat uns nicht zu viel geschrieben,

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[158/0165] „Cynisch?“ „Ja. Man sieht Statuen und Reliefs, die das Cynische rücksichtslos herauskehren. Jch wähle diesen Ausdruck absichtlich. Es ist das eben die Vorliebe für das Natürliche, das die moderne Kunst als ihr gutes Recht ansieht; ich glaube aber umgekehrt, daß die Kunst verhüllen soll. Jndessen dies alles mag auf sich beruhen, ich will davon nicht sprechen; als ich vorhin mit Vorbedacht das Wort cynisch gebrauchte, dachte ich vielmehr an die lebendigen Bilder und Scenen, an die Menschen also, die man dort findet. Auf jeder Bank sitzt ein Paar und verletzt durch seine Haltung. Und wenn man endlich wo Platz nehmen will, an einer Stelle, wo sich zufällig kein Paar befindet, so kann man es auch nicht, weil man nie weiß, wer vorher da gesessen hat. Gerade im Tiergarten soll es so furchtbare Menschen geben.“ „Jch setze mich immer da, wo Kinder spielen.“ „Das solltest du nicht thun, Manon. Man ist auch da nicht sicher, oft da am wenigsten. Und jedenfalls fehlt allem der Zauber des Unberührten; hier weiß ich, ich atme eine reine Luft. Sieh doch, wie das da plätschert; bei uns ist alles trübe Lache.“ Therese sprach noch weiter in dieser Richtung und verstieg sich dabei bis zu hoher Anerkennung der Tante. „Sophie hat uns nicht zu viel geschrieben,

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen, Theodor Fontane: Große Brandenburger Ausgabe (GBA): Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). (2018-07-25T11:03:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Alexandra Priesterath, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-07-25T11:03:16Z)

Weitere Informationen:

Theodor Fontane: Die Poggenpuhls. Hrsg. von Gabriele Radecke. Berlin 2006 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das erzählerische Werk, Bd. 16]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin).

Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).

Anmerkungen zur Transkription:

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Die Poggenpuhls. 6. Aufl. Berlin, 1902, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_poggenpuhls_1897/165>, abgerufen am 05.05.2024.