Fontane, Theodor: Meine Kinderjahre. Berlin, 1894.nie gesprochen. Da sollt' ich nun Abschied nehmen. Es war mir sehr zuwider und kurz und gut, ich unterließ es und sagte nur zu Hause "ich sei dagewesen". Alles in dem Vertrauen, daß es wohl erst herauskommen würde, wenn ich fort wäre. Kam es dann zur Sprache, so hatte das nicht viel mehr zu bedeuten. Es kam jedoch eher heraus und so hatte ich das Vergnügen, zu guterletzt noch als Lügner entlarvt zu werden. Ich schämte mich. Aber freilich wohl nicht genug. Des Schicksals Tücke hatte mir bei dieser Gelegenheit übel genug mitgespielt, ohne sich jedoch dadurch erschöpft zu fühlen. Das Schlimmste kam vielmehr nach und fiel auf den Tag unmittelbar vor der Abreise. Meine Mutter, in unbegreiflicher Verkennung des sonst so gut von ihr gekannten Charakters meines Vaters, hatte diesen beauftragt, mir zum Abschiede noch eine Standrede zu halten und mich zur Sittlichkeit zu ermahnen. An und für sich war dagegen nichts einzuwenden und wenn meine Mutter selber die Standrede gehalten hätte, so hätte diese, wenn auch vielleicht nicht viel geholfen so doch im Augenblicke wenigstens mächtig auf mich gewirkt. Ich hätte ihr die Hände geküßt und unter Thränen ein Festhalten an dem von mir geforderten Gelübde versprochen. Aber statt ihrer trat nun nie gesprochen. Da sollt’ ich nun Abschied nehmen. Es war mir sehr zuwider und kurz und gut, ich unterließ es und sagte nur zu Hause „ich sei dagewesen“. Alles in dem Vertrauen, daß es wohl erst herauskommen würde, wenn ich fort wäre. Kam es dann zur Sprache, so hatte das nicht viel mehr zu bedeuten. Es kam jedoch eher heraus und so hatte ich das Vergnügen, zu guterletzt noch als Lügner entlarvt zu werden. Ich schämte mich. Aber freilich wohl nicht genug. Des Schicksals Tücke hatte mir bei dieser Gelegenheit übel genug mitgespielt, ohne sich jedoch dadurch erschöpft zu fühlen. Das Schlimmste kam vielmehr nach und fiel auf den Tag unmittelbar vor der Abreise. Meine Mutter, in unbegreiflicher Verkennung des sonst so gut von ihr gekannten Charakters meines Vaters, hatte diesen beauftragt, mir zum Abschiede noch eine Standrede zu halten und mich zur Sittlichkeit zu ermahnen. An und für sich war dagegen nichts einzuwenden und wenn meine Mutter selber die Standrede gehalten hätte, so hätte diese, wenn auch vielleicht nicht viel geholfen so doch im Augenblicke wenigstens mächtig auf mich gewirkt. Ich hätte ihr die Hände geküßt und unter Thränen ein Festhalten an dem von mir geforderten Gelübde versprochen. Aber statt ihrer trat nun <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0323" n="315"/> nie gesprochen. Da sollt’ ich nun Abschied nehmen. Es war mir sehr zuwider und kurz und gut, ich unterließ es und sagte nur zu Hause „ich sei dagewesen“. Alles in dem Vertrauen, daß es wohl erst herauskommen würde, wenn ich fort wäre. Kam es dann zur Sprache, so hatte das nicht viel mehr zu bedeuten. Es kam jedoch eher heraus und so hatte ich das Vergnügen, zu guterletzt noch als Lügner entlarvt zu werden. Ich schämte mich. Aber freilich wohl nicht genug.</p> <p>Des Schicksals Tücke hatte mir bei dieser Gelegenheit übel genug mitgespielt, ohne sich jedoch dadurch erschöpft zu fühlen. Das Schlimmste kam vielmehr nach und fiel auf den Tag unmittelbar vor der Abreise. Meine Mutter, in unbegreiflicher Verkennung des sonst so gut von ihr gekannten Charakters meines Vaters, hatte diesen beauftragt, mir zum Abschiede noch eine Standrede zu halten und mich zur Sittlichkeit zu ermahnen. An und für sich war dagegen nichts einzuwenden und wenn meine Mutter selber die Standrede gehalten hätte, so hätte diese, wenn auch vielleicht nicht viel geholfen so doch im Augenblicke wenigstens mächtig auf mich gewirkt. Ich hätte ihr die Hände geküßt und unter Thränen ein Festhalten an dem von mir geforderten Gelübde versprochen. Aber statt ihrer trat nun </p> </div> </body> </text> </TEI> [315/0323]
nie gesprochen. Da sollt’ ich nun Abschied nehmen. Es war mir sehr zuwider und kurz und gut, ich unterließ es und sagte nur zu Hause „ich sei dagewesen“. Alles in dem Vertrauen, daß es wohl erst herauskommen würde, wenn ich fort wäre. Kam es dann zur Sprache, so hatte das nicht viel mehr zu bedeuten. Es kam jedoch eher heraus und so hatte ich das Vergnügen, zu guterletzt noch als Lügner entlarvt zu werden. Ich schämte mich. Aber freilich wohl nicht genug.
Des Schicksals Tücke hatte mir bei dieser Gelegenheit übel genug mitgespielt, ohne sich jedoch dadurch erschöpft zu fühlen. Das Schlimmste kam vielmehr nach und fiel auf den Tag unmittelbar vor der Abreise. Meine Mutter, in unbegreiflicher Verkennung des sonst so gut von ihr gekannten Charakters meines Vaters, hatte diesen beauftragt, mir zum Abschiede noch eine Standrede zu halten und mich zur Sittlichkeit zu ermahnen. An und für sich war dagegen nichts einzuwenden und wenn meine Mutter selber die Standrede gehalten hätte, so hätte diese, wenn auch vielleicht nicht viel geholfen so doch im Augenblicke wenigstens mächtig auf mich gewirkt. Ich hätte ihr die Hände geküßt und unter Thränen ein Festhalten an dem von mir geforderten Gelübde versprochen. Aber statt ihrer trat nun
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Zitationshilfe: | Fontane, Theodor: Meine Kinderjahre. Berlin, 1894, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_kinderjahre_1894/323>, abgerufen am 16.07.2024. |