Fontane, Theodor: Meine Kinderjahre. Berlin, 1894.zu Händen kommenden Briefen der Rahel Levin den Namen Skrzynecki und Rybinski begegnete, wie auf einen Schlag den Insurrektionskrieg von 30 und 31, einen der erbittertsten, die je ausgefochten wurden, wieder vor Augen hatte. Kein anderer Krieg, unsere eigenen nicht ausgeschlossen, hat von meiner Phantasie je wieder so Besitz genommen wie diese Polenkämpfe und die Gedichte, die an jene Zeit anknüpfen (obenan die von Lenau und Julius Mosen) und dazu die Lieder aus Holtei's "Altem Feldherrn", sind mir bis diese Stunde geblieben, trotzdem die letztren poetisch nicht hoch stehen. Viele Jahre danach, als ich, dicht am Alexanderplatz, eine kleine Parterre-Wohnung inne hatte, stellte sich allwöchentlich einmal ein Musikanten-Ehepaar vor meinem Fenster auf, er blind, mit einer Klapptuba, sie, schwindsüchtig, mit einer Harfe. Und nun spielten sie: "Fordere niemand mein Schicksal zu hören" oder "Denkst du daran, mein tapferer Lagienka". Ich schickte ihnen dann ihren Obolus hinaus und ließ sie's noch einmal spielen und noch jetzt, ich muß es wiederholen, zieht, wenn ich die Lieder höre, die alte Zeit vor mir herauf und ich verfalle in eine unbezwingbare Rührung. Ich erzähle das so ausführlich, weil ich - in gewissem Sinne zu meinem Leidwesen und jedenfalls in einem Widerstreit zu Händen kommenden Briefen der Rahel Levin den Namen Skrzynecki und Rybinski begegnete, wie auf einen Schlag den Insurrektionskrieg von 30 und 31, einen der erbittertsten, die je ausgefochten wurden, wieder vor Augen hatte. Kein anderer Krieg, unsere eigenen nicht ausgeschlossen, hat von meiner Phantasie je wieder so Besitz genommen wie diese Polenkämpfe und die Gedichte, die an jene Zeit anknüpfen (obenan die von Lenau und Julius Mosen) und dazu die Lieder aus Holtei’s „Altem Feldherrn“, sind mir bis diese Stunde geblieben, trotzdem die letztren poetisch nicht hoch stehen. Viele Jahre danach, als ich, dicht am Alexanderplatz, eine kleine Parterre-Wohnung inne hatte, stellte sich allwöchentlich einmal ein Musikanten-Ehepaar vor meinem Fenster auf, er blind, mit einer Klapptuba, sie, schwindsüchtig, mit einer Harfe. Und nun spielten sie: „Fordere niemand mein Schicksal zu hören“ oder „Denkst du daran, mein tapferer Lagienka“. Ich schickte ihnen dann ihren Obolus hinaus und ließ sie’s noch einmal spielen und noch jetzt, ich muß es wiederholen, zieht, wenn ich die Lieder höre, die alte Zeit vor mir herauf und ich verfalle in eine unbezwingbare Rührung. Ich erzähle das so ausführlich, weil ich – in gewissem Sinne zu meinem Leidwesen und jedenfalls in einem Widerstreit <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0202" n="194"/> zu Händen kommenden Briefen der Rahel Levin den Namen Skrzynecki und Rybinski begegnete, wie auf einen Schlag den Insurrektionskrieg von 30 und 31, einen der erbittertsten, die je ausgefochten wurden, wieder vor Augen hatte. Kein anderer Krieg, unsere eigenen nicht ausgeschlossen, hat von meiner Phantasie je wieder so Besitz genommen wie diese Polenkämpfe und die Gedichte, die an jene Zeit anknüpfen (obenan die von Lenau und Julius Mosen) und dazu die Lieder aus Holtei’s „Altem Feldherrn“, sind mir bis diese Stunde geblieben, trotzdem die letztren poetisch nicht hoch stehen. Viele Jahre danach, als ich, dicht am Alexanderplatz, eine kleine Parterre-Wohnung inne hatte, stellte sich allwöchentlich einmal ein Musikanten-Ehepaar vor meinem Fenster auf, er blind, mit einer Klapptuba, sie, schwindsüchtig, mit einer Harfe. Und nun spielten sie: „Fordere niemand mein Schicksal zu hören“ oder „Denkst du daran, mein tapferer Lagienka“. Ich schickte ihnen dann ihren Obolus hinaus und ließ sie’s noch einmal spielen und noch jetzt, ich muß es wiederholen, zieht, wenn ich die Lieder höre, die alte Zeit vor mir herauf und ich verfalle in eine unbezwingbare Rührung. Ich erzähle das so ausführlich, weil ich – in gewissem Sinne zu meinem Leidwesen und jedenfalls in einem Widerstreit </p> </div> </body> </text> </TEI> [194/0202]
zu Händen kommenden Briefen der Rahel Levin den Namen Skrzynecki und Rybinski begegnete, wie auf einen Schlag den Insurrektionskrieg von 30 und 31, einen der erbittertsten, die je ausgefochten wurden, wieder vor Augen hatte. Kein anderer Krieg, unsere eigenen nicht ausgeschlossen, hat von meiner Phantasie je wieder so Besitz genommen wie diese Polenkämpfe und die Gedichte, die an jene Zeit anknüpfen (obenan die von Lenau und Julius Mosen) und dazu die Lieder aus Holtei’s „Altem Feldherrn“, sind mir bis diese Stunde geblieben, trotzdem die letztren poetisch nicht hoch stehen. Viele Jahre danach, als ich, dicht am Alexanderplatz, eine kleine Parterre-Wohnung inne hatte, stellte sich allwöchentlich einmal ein Musikanten-Ehepaar vor meinem Fenster auf, er blind, mit einer Klapptuba, sie, schwindsüchtig, mit einer Harfe. Und nun spielten sie: „Fordere niemand mein Schicksal zu hören“ oder „Denkst du daran, mein tapferer Lagienka“. Ich schickte ihnen dann ihren Obolus hinaus und ließ sie’s noch einmal spielen und noch jetzt, ich muß es wiederholen, zieht, wenn ich die Lieder höre, die alte Zeit vor mir herauf und ich verfalle in eine unbezwingbare Rührung. Ich erzähle das so ausführlich, weil ich – in gewissem Sinne zu meinem Leidwesen und jedenfalls in einem Widerstreit
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