Fontane, Theodor: Meine Kinderjahre. Berlin, 1894.und unter Ansprachen und Schwüren mit ihm vorgenommen. Er merkte nichts und wollt' auch nichts davon wissen, als ihm meine Mutter Tags darauf erklärte, daß man ihn gefoppt habe. Schließlich gab er es zu, aber mit der durchaus versöhnlichen Bemerkung: "Dann haben sie's wenigstens gut gemacht." Ich überlasse es Jedem, zu solchen gewagten Scherzen, sei's zustimmend, sei's mißbilligend, Stellung zu nehmen; wie man sich aber auch dazu stellen möge, das wird zugestanden werden müssen, daß in dem allem ein Etwas steckte, nach dem man sich in binnenländischen Nestern von 4000 Einwohnern vergeblich umgesehen hätte. Von Pfahlbürgerthum, von Engem und Kleinem überhaupt, existirte keine Spur. Und das gab dem ganzen Leben nicht blos Reiz und Unterhaltlichkeit, sondern, aller Tollheiten unerachtet, doch auch etwas von einem höheren Stempel. Ich habe später in jugendlichen Künstler- und Dichterkreisen oft Aehnliches erlebt, aber als stadtbeherrschendem Ton bin ich ihm nie wieder begegnet. und unter Ansprachen und Schwüren mit ihm vorgenommen. Er merkte nichts und wollt’ auch nichts davon wissen, als ihm meine Mutter Tags darauf erklärte, daß man ihn gefoppt habe. Schließlich gab er es zu, aber mit der durchaus versöhnlichen Bemerkung: „Dann haben sie’s wenigstens gut gemacht.“ Ich überlasse es Jedem, zu solchen gewagten Scherzen, sei’s zustimmend, sei’s mißbilligend, Stellung zu nehmen; wie man sich aber auch dazu stellen möge, das wird zugestanden werden müssen, daß in dem allem ein Etwas steckte, nach dem man sich in binnenländischen Nestern von 4000 Einwohnern vergeblich umgesehen hätte. Von Pfahlbürgerthum, von Engem und Kleinem überhaupt, existirte keine Spur. Und das gab dem ganzen Leben nicht blos Reiz und Unterhaltlichkeit, sondern, aller Tollheiten unerachtet, doch auch etwas von einem höheren Stempel. Ich habe später in jugendlichen Künstler- und Dichterkreisen oft Aehnliches erlebt, aber als stadtbeherrschendem Ton bin ich ihm nie wieder begegnet. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0139" n="131"/> und unter Ansprachen und Schwüren mit ihm vorgenommen. Er merkte nichts und wollt’ auch nichts davon wissen, als ihm meine Mutter Tags darauf erklärte, daß man ihn gefoppt habe. Schließlich gab er es zu, aber mit der durchaus versöhnlichen Bemerkung: „Dann haben sie’s wenigstens gut gemacht.“</p> <p>Ich überlasse es Jedem, zu solchen gewagten Scherzen, sei’s zustimmend, sei’s mißbilligend, Stellung zu nehmen; wie man sich aber auch dazu stellen möge, <hi rendition="#g">das</hi> wird zugestanden werden müssen, daß in dem allem ein Etwas steckte, nach dem man sich in binnenländischen Nestern von 4000 Einwohnern vergeblich umgesehen hätte. Von Pfahlbürgerthum, von Engem und Kleinem überhaupt, existirte keine Spur. Und das gab dem ganzen Leben nicht blos Reiz und Unterhaltlichkeit, sondern, aller Tollheiten unerachtet, doch auch etwas von einem höheren Stempel. Ich habe später in jugendlichen Künstler- und Dichterkreisen oft Aehnliches erlebt, aber als <hi rendition="#g">stadtbeherrschendem Ton</hi> bin ich ihm nie wieder begegnet.</p> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </body> </text> </TEI> [131/0139]
und unter Ansprachen und Schwüren mit ihm vorgenommen. Er merkte nichts und wollt’ auch nichts davon wissen, als ihm meine Mutter Tags darauf erklärte, daß man ihn gefoppt habe. Schließlich gab er es zu, aber mit der durchaus versöhnlichen Bemerkung: „Dann haben sie’s wenigstens gut gemacht.“
Ich überlasse es Jedem, zu solchen gewagten Scherzen, sei’s zustimmend, sei’s mißbilligend, Stellung zu nehmen; wie man sich aber auch dazu stellen möge, das wird zugestanden werden müssen, daß in dem allem ein Etwas steckte, nach dem man sich in binnenländischen Nestern von 4000 Einwohnern vergeblich umgesehen hätte. Von Pfahlbürgerthum, von Engem und Kleinem überhaupt, existirte keine Spur. Und das gab dem ganzen Leben nicht blos Reiz und Unterhaltlichkeit, sondern, aller Tollheiten unerachtet, doch auch etwas von einem höheren Stempel. Ich habe später in jugendlichen Künstler- und Dichterkreisen oft Aehnliches erlebt, aber als stadtbeherrschendem Ton bin ich ihm nie wieder begegnet.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_kinderjahre_1894 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_kinderjahre_1894/139 |
Zitationshilfe: | Fontane, Theodor: Meine Kinderjahre. Berlin, 1894, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_kinderjahre_1894/139>, abgerufen am 16.07.2024. |