Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

blicken, besser als alle Orthographie der Welt. Und
wie klar die Handschrift. Und wie gut und
schelmisch, was sie da schreibt. Ach, sie hatte die
glücklichste Mischung und war vernünftig und leiden¬
schaftlich zugleich. Alles was sie sagte, hatte Charak¬
ter und Tiefe des Gemüths. Arme Bildung, wie
weit bleibst du dahinter zurück."

Er nahm nun auch den zweiten Brief und
wollte sich überhaupt vom Schluß her bis an den
Anfang der Korrespondenz durchlesen. Aber es that
ihm zu weh. "Wozu? Wozu beleben und auf¬
frischen, was todt ist und todt bleiben muß? Ich
muß aufräumen damit und dabei hoffen, daß mit
diesen Trägern der Erinnerung auch die Erinnerungen
selbst hinschwinden werden."

Und wirklich, er war es entschlossen und sich
rasch von seinem Schreibtisch erhebend, schob er einen
Kaminschirm bei Seit' und trat an den kleinen
Herd, um die Briefe darauf zu verbrennen. Und
siehe da, langsam, als ob er sich das Gefühl eines
süßen Schmerzes verlängern wolle, ließ er jetzt Blatt
auf Blatt auf die Herdstelle fallen und in Feuer
aufgehen. Das Letzte, was er in Händen hielt,
war das Sträußchen und während er sann und
grübelte, kam ihm eine Anwandlung, als ob er jede
Blume noch einmal einzeln betrachten und zu diesem
Zwecke das Haarfädchen lösen müsse. Plötzlich aber,

blicken, beſſer als alle Orthographie der Welt. Und
wie klar die Handſchrift. Und wie gut und
ſchelmiſch, was ſie da ſchreibt. Ach, ſie hatte die
glücklichſte Miſchung und war vernünftig und leiden¬
ſchaftlich zugleich. Alles was ſie ſagte, hatte Charak¬
ter und Tiefe des Gemüths. Arme Bildung, wie
weit bleibſt du dahinter zurück.“

Er nahm nun auch den zweiten Brief und
wollte ſich überhaupt vom Schluß her bis an den
Anfang der Korreſpondenz durchleſen. Aber es that
ihm zu weh. „Wozu? Wozu beleben und auf¬
friſchen, was todt iſt und todt bleiben muß? Ich
muß aufräumen damit und dabei hoffen, daß mit
dieſen Trägern der Erinnerung auch die Erinnerungen
ſelbſt hinſchwinden werden.“

Und wirklich, er war es entſchloſſen und ſich
raſch von ſeinem Schreibtiſch erhebend, ſchob er einen
Kaminſchirm bei Seit' und trat an den kleinen
Herd, um die Briefe darauf zu verbrennen. Und
ſiehe da, langſam, als ob er ſich das Gefühl eines
ſüßen Schmerzes verlängern wolle, ließ er jetzt Blatt
auf Blatt auf die Herdſtelle fallen und in Feuer
aufgehen. Das Letzte, was er in Händen hielt,
war das Sträußchen und während er ſann und
grübelte, kam ihm eine Anwandlung, als ob er jede
Blume noch einmal einzeln betrachten und zu dieſem
Zwecke das Haarfädchen löſen müſſe. Plötzlich aber,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0258" n="248"/>
blicken, be&#x017F;&#x017F;er als alle Orthographie der Welt. Und<lb/>
wie klar die Hand&#x017F;chrift. Und wie gut und<lb/>
&#x017F;chelmi&#x017F;ch, was &#x017F;ie da &#x017F;chreibt. Ach, &#x017F;ie hatte die<lb/>
glücklich&#x017F;te Mi&#x017F;chung und war vernünftig und leiden¬<lb/>
&#x017F;chaftlich zugleich. Alles was &#x017F;ie &#x017F;agte, hatte Charak¬<lb/>
ter und Tiefe des Gemüths. Arme Bildung, wie<lb/>
weit bleib&#x017F;t du dahinter zurück.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Er nahm nun auch den zweiten Brief und<lb/>
wollte &#x017F;ich überhaupt vom Schluß her bis an den<lb/>
Anfang der Korre&#x017F;pondenz durchle&#x017F;en. Aber es that<lb/>
ihm zu weh. &#x201E;Wozu? Wozu beleben und auf¬<lb/>
fri&#x017F;chen, was todt i&#x017F;t und todt bleiben muß? Ich<lb/>
muß aufräumen damit und dabei hoffen, daß mit<lb/>
die&#x017F;en Trägern der Erinnerung auch die Erinnerungen<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t hin&#x017F;chwinden werden.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Und wirklich, er war es ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en und &#x017F;ich<lb/>
ra&#x017F;ch von &#x017F;einem Schreibti&#x017F;ch erhebend, &#x017F;chob er einen<lb/>
Kamin&#x017F;chirm bei Seit' und trat an den kleinen<lb/>
Herd, um die Briefe darauf zu verbrennen. Und<lb/>
&#x017F;iehe da, lang&#x017F;am, als ob er &#x017F;ich das Gefühl eines<lb/>
&#x017F;üßen Schmerzes verlängern wolle, ließ er jetzt Blatt<lb/>
auf Blatt auf die Herd&#x017F;telle fallen und in Feuer<lb/>
aufgehen. Das Letzte, was er in Händen hielt,<lb/>
war das Sträußchen und während er &#x017F;ann und<lb/>
grübelte, kam ihm eine Anwandlung, als ob er jede<lb/>
Blume noch einmal einzeln betrachten und zu die&#x017F;em<lb/>
Zwecke das Haarfädchen lö&#x017F;en mü&#x017F;&#x017F;e. Plötzlich aber,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[248/0258] blicken, beſſer als alle Orthographie der Welt. Und wie klar die Handſchrift. Und wie gut und ſchelmiſch, was ſie da ſchreibt. Ach, ſie hatte die glücklichſte Miſchung und war vernünftig und leiden¬ ſchaftlich zugleich. Alles was ſie ſagte, hatte Charak¬ ter und Tiefe des Gemüths. Arme Bildung, wie weit bleibſt du dahinter zurück.“ Er nahm nun auch den zweiten Brief und wollte ſich überhaupt vom Schluß her bis an den Anfang der Korreſpondenz durchleſen. Aber es that ihm zu weh. „Wozu? Wozu beleben und auf¬ friſchen, was todt iſt und todt bleiben muß? Ich muß aufräumen damit und dabei hoffen, daß mit dieſen Trägern der Erinnerung auch die Erinnerungen ſelbſt hinſchwinden werden.“ Und wirklich, er war es entſchloſſen und ſich raſch von ſeinem Schreibtiſch erhebend, ſchob er einen Kaminſchirm bei Seit' und trat an den kleinen Herd, um die Briefe darauf zu verbrennen. Und ſiehe da, langſam, als ob er ſich das Gefühl eines ſüßen Schmerzes verlängern wolle, ließ er jetzt Blatt auf Blatt auf die Herdſtelle fallen und in Feuer aufgehen. Das Letzte, was er in Händen hielt, war das Sträußchen und während er ſann und grübelte, kam ihm eine Anwandlung, als ob er jede Blume noch einmal einzeln betrachten und zu dieſem Zwecke das Haarfädchen löſen müſſe. Plötzlich aber,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888/258
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888/258>, abgerufen am 11.05.2024.