Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

dorfer Spaziergange so heiter und so glücklich ge¬
sungen hatten, und er erhob sich und blickte, wie
wenn es ihm nachgerufen würde, nach dem Musi¬
kantenpaare zurück. Die standen abgekehrt und sahen
nichts, ein hübsches Dienstmädchen aber, das an der
Giebelseite des Hauses mit Fensterputzen beschäftigt
war und den um- und rückschauhaltenden Blick des
jungen Offiziers sich zuschreiben mochte, schwenkte
lustig von ihrem Fensterbrett her den Lederlappen
und fiel übermüthig mit ein: "Ich denke dran, ich
danke Dir mein Leben, doch Du Soldat, Soldat
denkst Du daran?"

Botho, die Stirn in die Hand drückend, warf
sich in die Droschke zurück und ein Gefühl, unend¬
lich süß und unendlich schmerzlich, ergriff ihn. Aber
freilich das Schmerzliche wog vor und fiel erst ab
von ihm, als die Stadt hinter ihm lag und fern
am Horizont im blauen Mittagsdämmer die Müg¬
gelberge sichtbar wurden.

Endlich hielten sie vor dem Neuen Jakobi-
Kirchhof.

"Soll ich warten?"

"Ja. Aber nicht hier. Unten beim Rollkrug.
Und wenn Sie die Musikantenleute noch treffen . . .
hier, das ist für die arme Frau."


Fontane, Irrungen. 16

dorfer Spaziergange ſo heiter und ſo glücklich ge¬
ſungen hatten, und er erhob ſich und blickte, wie
wenn es ihm nachgerufen würde, nach dem Muſi¬
kantenpaare zurück. Die ſtanden abgekehrt und ſahen
nichts, ein hübſches Dienſtmädchen aber, das an der
Giebelſeite des Hauſes mit Fenſterputzen beſchäftigt
war und den um- und rückſchauhaltenden Blick des
jungen Offiziers ſich zuſchreiben mochte, ſchwenkte
luſtig von ihrem Fenſterbrett her den Lederlappen
und fiel übermüthig mit ein: „Ich denke dran, ich
danke Dir mein Leben, doch Du Soldat, Soldat
denkſt Du daran?“

Botho, die Stirn in die Hand drückend, warf
ſich in die Droſchke zurück und ein Gefühl, unend¬
lich ſüß und unendlich ſchmerzlich, ergriff ihn. Aber
freilich das Schmerzliche wog vor und fiel erſt ab
von ihm, als die Stadt hinter ihm lag und fern
am Horizont im blauen Mittagsdämmer die Müg¬
gelberge ſichtbar wurden.

Endlich hielten ſie vor dem Neuen Jakobi-
Kirchhof.

„Soll ich warten?“

„Ja. Aber nicht hier. Unten beim Rollkrug.
Und wenn Sie die Muſikantenleute noch treffen . . .
hier, das iſt für die arme Frau.“


Fontane, Irrungen. 16
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0251" n="241"/>
dorfer Spaziergange &#x017F;o heiter und &#x017F;o glücklich ge¬<lb/>
&#x017F;ungen hatten, und er erhob &#x017F;ich und blickte, wie<lb/>
wenn es ihm nachgerufen würde, nach dem Mu&#x017F;<lb/>
kantenpaare zurück. Die &#x017F;tanden abgekehrt und &#x017F;ahen<lb/>
nichts, ein hüb&#x017F;ches Dien&#x017F;tmädchen aber, das an der<lb/>
Giebel&#x017F;eite des Hau&#x017F;es mit Fen&#x017F;terputzen be&#x017F;chäftigt<lb/>
war und den um- und rück&#x017F;chauhaltenden Blick des<lb/>
jungen Offiziers &#x017F;ich zu&#x017F;chreiben mochte, &#x017F;chwenkte<lb/>
lu&#x017F;tig von ihrem Fen&#x017F;terbrett her den Lederlappen<lb/>
und fiel übermüthig mit ein: &#x201E;Ich denke dran, ich<lb/>
danke Dir mein Leben, doch <hi rendition="#g">Du</hi> Soldat, Soldat<lb/>
denk&#x017F;t Du daran?&#x201C;</p><lb/>
        <p>Botho, die Stirn in die Hand drückend, warf<lb/>
&#x017F;ich in die Dro&#x017F;chke zurück und ein Gefühl, unend¬<lb/>
lich &#x017F;üß und unendlich &#x017F;chmerzlich, ergriff ihn. Aber<lb/>
freilich das Schmerzliche wog vor und fiel er&#x017F;t ab<lb/>
von ihm, als die Stadt hinter ihm lag und fern<lb/>
am Horizont im blauen Mittagsdämmer die Müg¬<lb/>
gelberge &#x017F;ichtbar wurden.</p><lb/>
        <p>Endlich hielten &#x017F;ie vor dem Neuen Jakobi-<lb/>
Kirchhof.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Soll ich warten?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ja. Aber nicht hier. Unten beim Rollkrug.<lb/>
Und wenn Sie die Mu&#x017F;ikantenleute noch treffen . . .<lb/>
hier, das i&#x017F;t für die arme Frau.&#x201C;</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Fontane</hi>, Irrungen. 16<lb/></fw>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[241/0251] dorfer Spaziergange ſo heiter und ſo glücklich ge¬ ſungen hatten, und er erhob ſich und blickte, wie wenn es ihm nachgerufen würde, nach dem Muſi¬ kantenpaare zurück. Die ſtanden abgekehrt und ſahen nichts, ein hübſches Dienſtmädchen aber, das an der Giebelſeite des Hauſes mit Fenſterputzen beſchäftigt war und den um- und rückſchauhaltenden Blick des jungen Offiziers ſich zuſchreiben mochte, ſchwenkte luſtig von ihrem Fenſterbrett her den Lederlappen und fiel übermüthig mit ein: „Ich denke dran, ich danke Dir mein Leben, doch Du Soldat, Soldat denkſt Du daran?“ Botho, die Stirn in die Hand drückend, warf ſich in die Droſchke zurück und ein Gefühl, unend¬ lich ſüß und unendlich ſchmerzlich, ergriff ihn. Aber freilich das Schmerzliche wog vor und fiel erſt ab von ihm, als die Stadt hinter ihm lag und fern am Horizont im blauen Mittagsdämmer die Müg¬ gelberge ſichtbar wurden. Endlich hielten ſie vor dem Neuen Jakobi- Kirchhof. „Soll ich warten?“ „Ja. Aber nicht hier. Unten beim Rollkrug. Und wenn Sie die Muſikantenleute noch treffen . . . hier, das iſt für die arme Frau.“ Fontane, Irrungen. 16

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888/251
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888/251>, abgerufen am 23.11.2024.