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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest
Art. Aber man lebt doch nicht bloß in der Welt,
um schwach und zärtlich zu sein und alles mit Nach¬
sicht zu behandeln, was gegen Gesetz und Gebot ist
und was die Menschen verurteilen und, vorläufig
wenigstens, auch noch -- mit Recht verurteilen."

"Ach was. Eins geht vor."

"Natürlich, eins geht vor; aber was ist das eine?"

"Liebe der Eltern zu ihren Kindern. Und wenn
man gar bloß eines hat ... "

"Dann ist es vorbei mit Katechismus und
Moral und mit dem Anspruch der ,Gesellschaft'."

"Ach, Luise, komme mir mit Katechismus so viel
Du willst; aber komme mir nicht mit ,Gesellschaft'."

"Es ist sehr schwer, sich ohne Gesellschaft zu
behelfen."

"Ohne Kind auch. Und dann glaube mir, Luise,
die ,Gesellschaft', wenn sie nur will, kann auch ein
Auge zudrücken. Und ich stehe so zu der Sache:
kommen die Rathenower, so ist es gut, und kommen
sie nicht, so ist es auch gut. Ich werde ganz einfach
telegraphieren: ,Effi komm.' Bist Du einverstanden?"

Sie stand auf und gab ihm einen Kuß auf die
Stirn. "Natürlich bin ich's. Du solltest mir nur keinen
Vorwurf machen. Ein leichter Schritt ist es nicht. Und
unser Leben wird von Stund an ein anderes."

"Ich kann's aushalten. Der Raps steht gut,

Effi Brieſt
Art. Aber man lebt doch nicht bloß in der Welt,
um ſchwach und zärtlich zu ſein und alles mit Nach¬
ſicht zu behandeln, was gegen Geſetz und Gebot iſt
und was die Menſchen verurteilen und, vorläufig
wenigſtens, auch noch — mit Recht verurteilen.“

„Ach was. Eins geht vor.“

„Natürlich, eins geht vor; aber was iſt das eine?“

„Liebe der Eltern zu ihren Kindern. Und wenn
man gar bloß eines hat … “

„Dann iſt es vorbei mit Katechismus und
Moral und mit dem Anſpruch der ,Geſellſchaft‘.“

„Ach, Luiſe, komme mir mit Katechismus ſo viel
Du willſt; aber komme mir nicht mit ,Geſellſchaft'.“

„Es iſt ſehr ſchwer, ſich ohne Geſellſchaft zu
behelfen.“

„Ohne Kind auch. Und dann glaube mir, Luiſe,
die ,Geſellſchaft', wenn ſie nur will, kann auch ein
Auge zudrücken. Und ich ſtehe ſo zu der Sache:
kommen die Rathenower, ſo iſt es gut, und kommen
ſie nicht, ſo iſt es auch gut. Ich werde ganz einfach
telegraphieren: ,Effi komm.‘ Biſt Du einverſtanden?“

Sie ſtand auf und gab ihm einen Kuß auf die
Stirn. „Natürlich bin ich's. Du ſollteſt mir nur keinen
Vorwurf machen. Ein leichter Schritt iſt es nicht. Und
unſer Leben wird von Stund an ein anderes.“

„Ich kann's aushalten. Der Raps ſteht gut,

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[488/0497] Effi Brieſt Art. Aber man lebt doch nicht bloß in der Welt, um ſchwach und zärtlich zu ſein und alles mit Nach¬ ſicht zu behandeln, was gegen Geſetz und Gebot iſt und was die Menſchen verurteilen und, vorläufig wenigſtens, auch noch — mit Recht verurteilen.“ „Ach was. Eins geht vor.“ „Natürlich, eins geht vor; aber was iſt das eine?“ „Liebe der Eltern zu ihren Kindern. Und wenn man gar bloß eines hat … “ „Dann iſt es vorbei mit Katechismus und Moral und mit dem Anſpruch der ,Geſellſchaft‘.“ „Ach, Luiſe, komme mir mit Katechismus ſo viel Du willſt; aber komme mir nicht mit ,Geſellſchaft'.“ „Es iſt ſehr ſchwer, ſich ohne Geſellſchaft zu behelfen.“ „Ohne Kind auch. Und dann glaube mir, Luiſe, die ,Geſellſchaft', wenn ſie nur will, kann auch ein Auge zudrücken. Und ich ſtehe ſo zu der Sache: kommen die Rathenower, ſo iſt es gut, und kommen ſie nicht, ſo iſt es auch gut. Ich werde ganz einfach telegraphieren: ,Effi komm.‘ Biſt Du einverſtanden?“ Sie ſtand auf und gab ihm einen Kuß auf die Stirn. „Natürlich bin ich's. Du ſollteſt mir nur keinen Vorwurf machen. Ein leichter Schritt iſt es nicht. Und unſer Leben wird von Stund an ein anderes.“ „Ich kann's aushalten. Der Raps ſteht gut,

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 488. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/497>, abgerufen am 22.11.2024.