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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest
sie von Stolz und Überlegenheit ganz erfüllt, ja bei¬
nahe von Glück. Der gnädige Herr hatte ihr nicht
nur alles gesagt, sondern am Schlusse auch noch
hinzugesetzt "und daß Roswitha nicht alles verdirbt".
Das war die Hauptsache, und ohne daß es ihr an
gutem Herzen und selbst an Teilnahme mit der Frau
gefehlt hätte, beschäftigte sie doch, über jedes andere
hinaus, der Triumph einer gewissen Intimitätsstellung
zum gnädigen Herrn.

Unter gewöhnlichen Umständen wäre ihr denn
auch die Herauskehrung und Geltendmachung dieses
Triumphes ein Leichtes gewesen, aber heute traf sich's
so wenig günstig für sie, daß ihre Rivalin, ohne
Vertrauensperson gewesen zu sein, sich doch als die
Eingeweihtere zeigen sollte. Der Portier unten hatte
nämlich, so ziemlich um dieselbe Zeit, wo dies spielte,
Roswitha in seine kleine Stube hineingerufen und
ihr gleich beim Eintreten ein Zeitungsblatt zum Lesen
zugeschoben. "Da, Roswitha, das ist 'was für Sie;
Sie können es mir nachher wieder 'runter bringen.
Es ist bloß das Fremdenblatt: aber Lene ist schon
hin und holt das Kleine Journal. Da wird wohl
schon mehr drin stehen; die wissen immer alles.
Hören Sie, Roswitha, wer so 'was gedacht hätte."

Roswitha, sonst nicht allzu neugierig, hatte sich
doch nach dieser Ansprache so rasch wie möglich die

Effi Brieſt
ſie von Stolz und Überlegenheit ganz erfüllt, ja bei¬
nahe von Glück. Der gnädige Herr hatte ihr nicht
nur alles geſagt, ſondern am Schluſſe auch noch
hinzugeſetzt „und daß Roswitha nicht alles verdirbt“.
Das war die Hauptſache, und ohne daß es ihr an
gutem Herzen und ſelbſt an Teilnahme mit der Frau
gefehlt hätte, beſchäftigte ſie doch, über jedes andere
hinaus, der Triumph einer gewiſſen Intimitätsſtellung
zum gnädigen Herrn.

Unter gewöhnlichen Umſtänden wäre ihr denn
auch die Herauskehrung und Geltendmachung dieſes
Triumphes ein Leichtes geweſen, aber heute traf ſich's
ſo wenig günſtig für ſie, daß ihre Rivalin, ohne
Vertrauensperſon geweſen zu ſein, ſich doch als die
Eingeweihtere zeigen ſollte. Der Portier unten hatte
nämlich, ſo ziemlich um dieſelbe Zeit, wo dies ſpielte,
Roswitha in ſeine kleine Stube hineingerufen und
ihr gleich beim Eintreten ein Zeitungsblatt zum Leſen
zugeſchoben. „Da, Roswitha, das iſt 'was für Sie;
Sie können es mir nachher wieder 'runter bringen.
Es iſt bloß das Fremdenblatt: aber Lene iſt ſchon
hin und holt das Kleine Journal. Da wird wohl
ſchon mehr drin ſtehen; die wiſſen immer alles.
Hören Sie, Roswitha, wer ſo 'was gedacht hätte.“

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[430/0439] Effi Brieſt ſie von Stolz und Überlegenheit ganz erfüllt, ja bei¬ nahe von Glück. Der gnädige Herr hatte ihr nicht nur alles geſagt, ſondern am Schluſſe auch noch hinzugeſetzt „und daß Roswitha nicht alles verdirbt“. Das war die Hauptſache, und ohne daß es ihr an gutem Herzen und ſelbſt an Teilnahme mit der Frau gefehlt hätte, beſchäftigte ſie doch, über jedes andere hinaus, der Triumph einer gewiſſen Intimitätsſtellung zum gnädigen Herrn. Unter gewöhnlichen Umſtänden wäre ihr denn auch die Herauskehrung und Geltendmachung dieſes Triumphes ein Leichtes geweſen, aber heute traf ſich's ſo wenig günſtig für ſie, daß ihre Rivalin, ohne Vertrauensperſon geweſen zu ſein, ſich doch als die Eingeweihtere zeigen ſollte. Der Portier unten hatte nämlich, ſo ziemlich um dieſelbe Zeit, wo dies ſpielte, Roswitha in ſeine kleine Stube hineingerufen und ihr gleich beim Eintreten ein Zeitungsblatt zum Leſen zugeſchoben. „Da, Roswitha, das iſt 'was für Sie; Sie können es mir nachher wieder 'runter bringen. Es iſt bloß das Fremdenblatt: aber Lene iſt ſchon hin und holt das Kleine Journal. Da wird wohl ſchon mehr drin ſtehen; die wiſſen immer alles. Hören Sie, Roswitha, wer ſo 'was gedacht hätte.“ Roswitha, ſonſt nicht allzu neugierig, hatte ſich doch nach dieſer Anſprache ſo raſch wie möglich die

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 430. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/439>, abgerufen am 22.11.2024.