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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest
so verletzend herbe, daß er spöttisch bemerkte: "Ja,
meine Gnädigste, was dabei herauskommen soll?
Ich weiß es auch nicht" -- worauf sich Sidonie
von ihm ab- und ihrem Nachbar zur Linken zu¬
wandte : "Sagen Sie, Pastor, ist diese vierzehnjährige
Kokette schon im Unterricht bei Ihnen?"

"Ja, mein gnädigstes Fräulein."

"Dann müssen Sie mir die Bemerkung ver¬
zeihen, daß Sie sie nicht in die richtige Schule ge¬
nommen haben. Ich weiß wohl, es hält das heutzutage
sehr schwer, aber ich weiß auch, daß die, denen die
Fürsorge für junge Seelen obliegt, es vielfach an
dem rechten Ernste fehlen lassen. Es bleibt dabei,
die Hauptschuld tragen die Eltern und Erzieher."

Lindequist, denselben Ton anschlagend wie Inn¬
stetten, antwortete, daß das alles sehr richtig, der
Geist der Zeit aber zu mächtig sei.

"Geist der Zeit!" sagte Sidonie. "Kommen
Sie mir nicht damit. Das kann ich nicht hören,
das ist der Ausdruck höchster Schwäche, Bankrutt¬
erklärung. Ich kenne das; nie scharf zufassen wollen,
immer dem Unbequemen aus dem Wege gehen. Denn
Pflicht ist unbequem. Und so wird nur allzu leicht
vergessen, daß das uns anvertraute Gut auch 'mal von
uns zurückgefordert wird. Eingreifen, lieber Pastor,
Zucht. Das Fleisch ist schwach, gewiß; aber ..."

Effi Brieſt
ſo verletzend herbe, daß er ſpöttiſch bemerkte: „Ja,
meine Gnädigſte, was dabei herauskommen ſoll?
Ich weiß es auch nicht“ — worauf ſich Sidonie
von ihm ab- und ihrem Nachbar zur Linken zu¬
wandte : „Sagen Sie, Paſtor, iſt dieſe vierzehnjährige
Kokette ſchon im Unterricht bei Ihnen?“

„Ja, mein gnädigſtes Fräulein.“

„Dann müſſen Sie mir die Bemerkung ver¬
zeihen, daß Sie ſie nicht in die richtige Schule ge¬
nommen haben. Ich weiß wohl, es hält das heutzutage
ſehr ſchwer, aber ich weiß auch, daß die, denen die
Fürſorge für junge Seelen obliegt, es vielfach an
dem rechten Ernſte fehlen laſſen. Es bleibt dabei,
die Hauptſchuld tragen die Eltern und Erzieher.“

Lindequiſt, denſelben Ton anſchlagend wie Inn¬
ſtetten, antwortete, daß das alles ſehr richtig, der
Geiſt der Zeit aber zu mächtig ſei.

„Geiſt der Zeit!“ ſagte Sidonie. „Kommen
Sie mir nicht damit. Das kann ich nicht hören,
das iſt der Ausdruck höchſter Schwäche, Bankrutt¬
erklärung. Ich kenne das; nie ſcharf zufaſſen wollen,
immer dem Unbequemen aus dem Wege gehen. Denn
Pflicht iſt unbequem. Und ſo wird nur allzu leicht
vergeſſen, daß das uns anvertraute Gut auch 'mal von
uns zurückgefordert wird. Eingreifen, lieber Paſtor,
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[265/0274] Effi Brieſt ſo verletzend herbe, daß er ſpöttiſch bemerkte: „Ja, meine Gnädigſte, was dabei herauskommen ſoll? Ich weiß es auch nicht“ — worauf ſich Sidonie von ihm ab- und ihrem Nachbar zur Linken zu¬ wandte : „Sagen Sie, Paſtor, iſt dieſe vierzehnjährige Kokette ſchon im Unterricht bei Ihnen?“ „Ja, mein gnädigſtes Fräulein.“ „Dann müſſen Sie mir die Bemerkung ver¬ zeihen, daß Sie ſie nicht in die richtige Schule ge¬ nommen haben. Ich weiß wohl, es hält das heutzutage ſehr ſchwer, aber ich weiß auch, daß die, denen die Fürſorge für junge Seelen obliegt, es vielfach an dem rechten Ernſte fehlen laſſen. Es bleibt dabei, die Hauptſchuld tragen die Eltern und Erzieher.“ Lindequiſt, denſelben Ton anſchlagend wie Inn¬ ſtetten, antwortete, daß das alles ſehr richtig, der Geiſt der Zeit aber zu mächtig ſei. „Geiſt der Zeit!“ ſagte Sidonie. „Kommen Sie mir nicht damit. Das kann ich nicht hören, das iſt der Ausdruck höchſter Schwäche, Bankrutt¬ erklärung. Ich kenne das; nie ſcharf zufaſſen wollen, immer dem Unbequemen aus dem Wege gehen. Denn Pflicht iſt unbequem. Und ſo wird nur allzu leicht vergeſſen, daß das uns anvertraute Gut auch 'mal von uns zurückgefordert wird. Eingreifen, lieber Paſtor, Zucht. Das Fleiſch iſt ſchwach, gewiß; aber …“

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/274>, abgerufen am 23.11.2024.