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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest
Dichtungen wird in einem fort hingerichtet, allerdings
vielfach aus Liebe. Aber doch meist aus anderen
gröberen Motiven, wohin ich in erster Reihe die
Politik, die fast immer gröblich ist, rechne. Karl Stuart
zum Beispiel trägt in einer dieser Romanzen seinen
Kopf unterm Arm, und noch fataler ist die Geschichte
vom Vitzliputzli ..."

"Von wem?"

"Vom Vitzliputzli. Vitzliputzli ist nämlich ein
mexikanischer Gott, und als die Mexikaner zwanzig
oder dreißig Spanier gefangen genommen hatten,
mußten diese zwanzig oder dreißig dem Vitzliputzli
geopfert werden. Das war da nicht anders, Landessitte,
Kultus, und ging auch alles im Handumdrehen,
Bauch auf, Herz 'raus ..."

"Nein, Crampas, so dürfen Sie nicht weiter
sprechen. Das ist indecent und degoutant zugleich.
Und das alles so ziemlich in demselben Augenblicke,
wo wir frühstücken wollen."

"Ich für meine Person sehe mich dadurch un¬
beeinflußt und stelle meinen Appetit überhaupt nur
in Abhängigkeit vom Menu."

Während dieser Worte waren sie, ganz wie's
das Programm wollte, vom Strand her bis an eine
schon halb im Schutze der Dünen aufgeschlagene
Bank, mit einem äußerst primitiven Tisch davor, ge¬

Effi Brieſt
Dichtungen wird in einem fort hingerichtet, allerdings
vielfach aus Liebe. Aber doch meiſt aus anderen
gröberen Motiven, wohin ich in erſter Reihe die
Politik, die faſt immer gröblich iſt, rechne. Karl Stuart
zum Beiſpiel trägt in einer dieſer Romanzen ſeinen
Kopf unterm Arm, und noch fataler iſt die Geſchichte
vom Vitzliputzli …“

„Von wem?“

„Vom Vitzliputzli. Vitzliputzli iſt nämlich ein
mexikaniſcher Gott, und als die Mexikaner zwanzig
oder dreißig Spanier gefangen genommen hatten,
mußten dieſe zwanzig oder dreißig dem Vitzliputzli
geopfert werden. Das war da nicht anders, Landesſitte,
Kultus, und ging auch alles im Handumdrehen,
Bauch auf, Herz 'raus …“

„Nein, Crampas, ſo dürfen Sie nicht weiter
ſprechen. Das iſt indecent und degoutant zugleich.
Und das alles ſo ziemlich in demſelben Augenblicke,
wo wir frühſtücken wollen.“

„Ich für meine Perſon ſehe mich dadurch un¬
beeinflußt und ſtelle meinen Appetit überhaupt nur
in Abhängigkeit vom Menu.“

Während dieſer Worte waren ſie, ganz wie's
das Programm wollte, vom Strand her bis an eine
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[238/0247] Effi Brieſt Dichtungen wird in einem fort hingerichtet, allerdings vielfach aus Liebe. Aber doch meiſt aus anderen gröberen Motiven, wohin ich in erſter Reihe die Politik, die faſt immer gröblich iſt, rechne. Karl Stuart zum Beiſpiel trägt in einer dieſer Romanzen ſeinen Kopf unterm Arm, und noch fataler iſt die Geſchichte vom Vitzliputzli …“ „Von wem?“ „Vom Vitzliputzli. Vitzliputzli iſt nämlich ein mexikaniſcher Gott, und als die Mexikaner zwanzig oder dreißig Spanier gefangen genommen hatten, mußten dieſe zwanzig oder dreißig dem Vitzliputzli geopfert werden. Das war da nicht anders, Landesſitte, Kultus, und ging auch alles im Handumdrehen, Bauch auf, Herz 'raus …“ „Nein, Crampas, ſo dürfen Sie nicht weiter ſprechen. Das iſt indecent und degoutant zugleich. Und das alles ſo ziemlich in demſelben Augenblicke, wo wir frühſtücken wollen.“ „Ich für meine Perſon ſehe mich dadurch un¬ beeinflußt und ſtelle meinen Appetit überhaupt nur in Abhängigkeit vom Menu.“ Während dieſer Worte waren ſie, ganz wie's das Programm wollte, vom Strand her bis an eine ſchon halb im Schutze der Dünen aufgeſchlagene Bank, mit einem äußerſt primitiven Tiſch davor, ge¬

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/247>, abgerufen am 23.11.2024.