schaffen, ein Fach nach dem andern herausziehend, während die Trippelli ihren Stuhl weiter links um den Tisch herum schob, so daß sie nun dicht neben Effi saß.
"Ich bin neugierig, was er bringen wird," sagte sie. Effi geriet dabei in eine kleine Ver¬ legenheit.
"Ich möchte annehmen," antwortete sie be¬ fangen, "etwas von Gluck, etwas ausgesprochen Dramatisches ... Überhaupt, mein gnädigstes Fräu¬ lein, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, ich bin überrascht, zu hören, daß Sie lediglich Konzert¬ sängerin sind. Ich dächte, daß Sie, wie wenige, für die Bühne berufen sein müßten. Ihre Erscheinung, Ihre Kraft, Ihr Organ ... ich habe noch so wenig derart kennen gelernt, immer nur auf kurzen Be¬ suchen in Berlin ... und dann war ich noch ein halbes Kind. Aber ich dächte Orpheus oder Chrim¬ hild oder die Vestalin."
Die Trippelli wiegte den Kopf und sah in Ab¬ gründe, kam aber zu keiner Entgegnung, weil eben jetzt Gieshübler wieder erschien und ein halbes Dutzend Notenhefte vorlegte, die seine Freundin in rascher Reihenfolge durch die Hand gleiten ließ. ,Erlkönig' ... ah, bah; ,Bächlein laß' dein Rauschen sein ...' Aber Gieshübler, ich bitte Sie, Sie sind
Effi Brieſt
ſchaffen, ein Fach nach dem andern herausziehend, während die Trippelli ihren Stuhl weiter links um den Tiſch herum ſchob, ſo daß ſie nun dicht neben Effi ſaß.
„Ich bin neugierig, was er bringen wird,“ ſagte ſie. Effi geriet dabei in eine kleine Ver¬ legenheit.
„Ich möchte annehmen,“ antwortete ſie be¬ fangen, „etwas von Gluck, etwas ausgeſprochen Dramatiſches … Überhaupt, mein gnädigſtes Fräu¬ lein, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, ich bin überraſcht, zu hören, daß Sie lediglich Konzert¬ ſängerin ſind. Ich dächte, daß Sie, wie wenige, für die Bühne berufen ſein müßten. Ihre Erſcheinung, Ihre Kraft, Ihr Organ … ich habe noch ſo wenig derart kennen gelernt, immer nur auf kurzen Be¬ ſuchen in Berlin … und dann war ich noch ein halbes Kind. Aber ich dächte Orpheus oder Chrim¬ hild oder die Veſtalin.“
Die Trippelli wiegte den Kopf und ſah in Ab¬ gründe, kam aber zu keiner Entgegnung, weil eben jetzt Gieshübler wieder erſchien und ein halbes Dutzend Notenhefte vorlegte, die ſeine Freundin in raſcher Reihenfolge durch die Hand gleiten ließ. ,Erlkönig‘ … ah, bah; ‚Bächlein laß' dein Rauſchen ſein …‘ Aber Gieshübler, ich bitte Sie, Sie ſind
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Effi Brieſt
ſchaffen, ein Fach nach dem andern herausziehend,
während die Trippelli ihren Stuhl weiter links um
den Tiſch herum ſchob, ſo daß ſie nun dicht neben
Effi ſaß.
„Ich bin neugierig, was er bringen wird,“
ſagte ſie. Effi geriet dabei in eine kleine Ver¬
legenheit.
„Ich möchte annehmen,“ antwortete ſie be¬
fangen, „etwas von Gluck, etwas ausgeſprochen
Dramatiſches … Überhaupt, mein gnädigſtes Fräu¬
lein, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, ich
bin überraſcht, zu hören, daß Sie lediglich Konzert¬
ſängerin ſind. Ich dächte, daß Sie, wie wenige, für
die Bühne berufen ſein müßten. Ihre Erſcheinung,
Ihre Kraft, Ihr Organ … ich habe noch ſo wenig
derart kennen gelernt, immer nur auf kurzen Be¬
ſuchen in Berlin … und dann war ich noch ein
halbes Kind. Aber ich dächte Orpheus oder Chrim¬
hild oder die Veſtalin.“
Die Trippelli wiegte den Kopf und ſah in Ab¬
gründe, kam aber zu keiner Entgegnung, weil eben
jetzt Gieshübler wieder erſchien und ein halbes
Dutzend Notenhefte vorlegte, die ſeine Freundin in
raſcher Reihenfolge durch die Hand gleiten ließ.
,Erlkönig‘ … ah, bah; ‚Bächlein laß' dein Rauſchen
ſein …‘ Aber Gieshübler, ich bitte Sie, Sie ſind
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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/163>, abgerufen am 25.11.2024.
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