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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest

"Ich muß es aufgeben, mich durch Lektüre be¬
ruhigen zu wollen," sagte Effi. Lese ich weiter, so
komm ich gewiß noch nach einem Kellergewölbe, wo
der Teufel auf einem Weinfaß davongeritten ist.
Es giebt, glaub' ich, in Deutschland viel dergleichen,
und in einem Reisehandbuch muß es sich natürlich
alles zusammenfinden. Ich will also lieber wieder die
Augen schließen und mir, so gut es geht, meinen Polter¬
abend vorstellen: die Zwillinge, wie sie vor Thränen
nicht weiterkonnten, und dazu den Vetter Briest,
der, als sich alles verlegen anblickte, mit erstaunlicher
Würde behauptete, solche Thränen öffneten einem das
Paradies. Er war wirklich charmant und immer
so übermütig ... Und nun ich! Und gerade hier.
Ach, ich tauge doch gar nicht für eine große Dame.
Die Mama, ja, die hätte hierher gepaßt, die hätte,
wie's einer Landrätin zukommt, den Ton angegeben,
und Sidonie Grasenabb wäre ganz Huldigung gegen
sie gewesen und hätte sich über ihren Glauben oder
Unglauben nicht groß beunruhigt. Aber ich ...
Ich bin ein Kind und werd' es auch wohl bleiben.
Einmal hab' ich gehört, das sei ein Glück. Aber ich
weiß doch nicht, ob das wahr ist. Man muß doch
immer dahin passen, wohin man nun 'mal gestellt ist."

In diesem Augenblicke kam Friedrich, um den
Tisch abzuräumen.

Effi Brieſt

„Ich muß es aufgeben, mich durch Lektüre be¬
ruhigen zu wollen,“ ſagte Effi. Leſe ich weiter, ſo
komm ich gewiß noch nach einem Kellergewölbe, wo
der Teufel auf einem Weinfaß davongeritten iſt.
Es giebt, glaub' ich, in Deutſchland viel dergleichen,
und in einem Reiſehandbuch muß es ſich natürlich
alles zuſammenfinden. Ich will alſo lieber wieder die
Augen ſchließen und mir, ſo gut es geht, meinen Polter¬
abend vorſtellen: die Zwillinge, wie ſie vor Thränen
nicht weiterkonnten, und dazu den Vetter Brieſt,
der, als ſich alles verlegen anblickte, mit erſtaunlicher
Würde behauptete, ſolche Thränen öffneten einem das
Paradies. Er war wirklich charmant und immer
ſo übermütig … Und nun ich! Und gerade hier.
Ach, ich tauge doch gar nicht für eine große Dame.
Die Mama, ja, die hätte hierher gepaßt, die hätte,
wie's einer Landrätin zukommt, den Ton angegeben,
und Sidonie Graſenabb wäre ganz Huldigung gegen
ſie geweſen und hätte ſich über ihren Glauben oder
Unglauben nicht groß beunruhigt. Aber ich …
Ich bin ein Kind und werd' es auch wohl bleiben.
Einmal hab' ich gehört, das ſei ein Glück. Aber ich
weiß doch nicht, ob das wahr iſt. Man muß doch
immer dahin paſſen, wohin man nun 'mal geſtellt iſt.“

In dieſem Augenblicke kam Friedrich, um den
Tiſch abzuräumen.

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[117/0126] Effi Brieſt „Ich muß es aufgeben, mich durch Lektüre be¬ ruhigen zu wollen,“ ſagte Effi. Leſe ich weiter, ſo komm ich gewiß noch nach einem Kellergewölbe, wo der Teufel auf einem Weinfaß davongeritten iſt. Es giebt, glaub' ich, in Deutſchland viel dergleichen, und in einem Reiſehandbuch muß es ſich natürlich alles zuſammenfinden. Ich will alſo lieber wieder die Augen ſchließen und mir, ſo gut es geht, meinen Polter¬ abend vorſtellen: die Zwillinge, wie ſie vor Thränen nicht weiterkonnten, und dazu den Vetter Brieſt, der, als ſich alles verlegen anblickte, mit erſtaunlicher Würde behauptete, ſolche Thränen öffneten einem das Paradies. Er war wirklich charmant und immer ſo übermütig … Und nun ich! Und gerade hier. Ach, ich tauge doch gar nicht für eine große Dame. Die Mama, ja, die hätte hierher gepaßt, die hätte, wie's einer Landrätin zukommt, den Ton angegeben, und Sidonie Graſenabb wäre ganz Huldigung gegen ſie geweſen und hätte ſich über ihren Glauben oder Unglauben nicht groß beunruhigt. Aber ich … Ich bin ein Kind und werd' es auch wohl bleiben. Einmal hab' ich gehört, das ſei ein Glück. Aber ich weiß doch nicht, ob das wahr iſt. Man muß doch immer dahin paſſen, wohin man nun 'mal geſtellt iſt.“ In dieſem Augenblicke kam Friedrich, um den Tiſch abzuräumen.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/126>, abgerufen am 26.11.2024.