Und nun löste Effi die Oblate und las: "Hoch¬ verehrteste Frau, gnädigste Frau Baronin! Gestatten Sie mir, meinem respektvollsten Vormittagsgruß eine ganz gehorsamste Bitte hinzufügen zu dürfen. Mit dem Mittagszuge wird eine vieljährige liebe Freundin von mir, eine Tochter unserer guten Stadt Kessin, Fräulein Marietta Trippelli, hier eintreffen und bis morgen früh unter uns weilen. Am 17. will sie in Petersburg sein, um daselbst bis Mitte Januar zu konzertieren. Fürst Kotschukoff öffnet ihr auch dies¬ mal wieder sein gastliches Haus. In ihrer immer gleichen Güte gegen mich hat die Trippelli mir zugesagt, den heutigen Abend bei mir zubringen und einige Lieder ganz nach meiner Wahl (denn sie kennt keine Schwierigkeiten) vortragen zu wollen. Könnten sich Frau Baronin dazu verstehen, diesem Musikabende beizuwohnen? sieben Uhr. Ihr Herr Gemahl, auf dessen Erscheinen ich mit Sicherheit rechne, wird meine gehorsamste Bitte unterstützen. Anwesend nur Pastor Lindequist (der begleitet) und natürlich die verwitwete Frau Pastorin Trippel. In vorzüglicher Ergebenheit A. Gieshübler."
"Nun --" sagte Innstetten, "ja oder nein?"
"Natürlich ja. Das wird mich herausreißen. Und dann kann ich doch meinem lieben Gieshübler
Effi Brieſt
„Nun lies aber.“
Und nun löſte Effi die Oblate und las: „Hoch¬ verehrteſte Frau, gnädigſte Frau Baronin! Geſtatten Sie mir, meinem reſpektvollſten Vormittagsgruß eine ganz gehorſamſte Bitte hinzufügen zu dürfen. Mit dem Mittagszuge wird eine vieljährige liebe Freundin von mir, eine Tochter unſerer guten Stadt Keſſin, Fräulein Marietta Trippelli, hier eintreffen und bis morgen früh unter uns weilen. Am 17. will ſie in Petersburg ſein, um daſelbſt bis Mitte Januar zu konzertieren. Fürſt Kotſchukoff öffnet ihr auch dies¬ mal wieder ſein gaſtliches Haus. In ihrer immer gleichen Güte gegen mich hat die Trippelli mir zugeſagt, den heutigen Abend bei mir zubringen und einige Lieder ganz nach meiner Wahl (denn ſie kennt keine Schwierigkeiten) vortragen zu wollen. Könnten ſich Frau Baronin dazu verſtehen, dieſem Muſikabende beizuwohnen? ſieben Uhr. Ihr Herr Gemahl, auf deſſen Erſcheinen ich mit Sicherheit rechne, wird meine gehorſamſte Bitte unterſtützen. Anweſend nur Paſtor Lindequiſt (der begleitet) und natürlich die verwitwete Frau Paſtorin Trippel. In vorzüglicher Ergebenheit A. Gieshübler.“
„Nun —“ ſagte Innſtetten, „ja oder nein?“
„Natürlich ja. Das wird mich herausreißen. Und dann kann ich doch meinem lieben Gieshübler
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0144"n="135"/><fwplace="top"type="header">Effi Brieſt<lb/></fw><p>„Nun lies aber.“</p><lb/><p>Und nun löſte Effi die Oblate und las: „Hoch¬<lb/>
verehrteſte Frau, gnädigſte Frau Baronin! Geſtatten<lb/>
Sie mir, meinem reſpektvollſten Vormittagsgruß eine<lb/>
ganz gehorſamſte Bitte hinzufügen zu dürfen. Mit<lb/>
dem Mittagszuge wird eine vieljährige liebe Freundin<lb/>
von mir, eine Tochter unſerer guten Stadt Keſſin,<lb/>
Fräulein Marietta Trippelli, hier eintreffen und bis<lb/>
morgen früh unter uns weilen. Am 17. will ſie<lb/>
in Petersburg ſein, um daſelbſt bis Mitte Januar<lb/>
zu konzertieren. Fürſt Kotſchukoff öffnet ihr auch dies¬<lb/>
mal wieder ſein gaſtliches Haus. In ihrer immer gleichen<lb/>
Güte gegen mich hat die Trippelli mir zugeſagt, den<lb/>
heutigen Abend bei mir zubringen und einige Lieder<lb/>
ganz nach meiner Wahl (denn ſie kennt keine<lb/>
Schwierigkeiten) vortragen zu wollen. Könnten ſich<lb/>
Frau Baronin dazu verſtehen, dieſem Muſikabende<lb/>
beizuwohnen? ſieben Uhr. Ihr Herr Gemahl, auf<lb/>
deſſen Erſcheinen ich mit Sicherheit rechne, wird<lb/>
meine gehorſamſte Bitte unterſtützen. Anweſend nur<lb/>
Paſtor Lindequiſt (der begleitet) und natürlich die<lb/>
verwitwete Frau Paſtorin Trippel. In vorzüglicher<lb/>
Ergebenheit A. Gieshübler.“</p><lb/><p>„Nun —“ſagte Innſtetten, „ja oder nein?“</p><lb/><p>„Natürlich ja. Das wird mich herausreißen.<lb/>
Und dann kann ich doch meinem lieben Gieshübler<lb/></p></div></body></text></TEI>
[135/0144]
Effi Brieſt
„Nun lies aber.“
Und nun löſte Effi die Oblate und las: „Hoch¬
verehrteſte Frau, gnädigſte Frau Baronin! Geſtatten
Sie mir, meinem reſpektvollſten Vormittagsgruß eine
ganz gehorſamſte Bitte hinzufügen zu dürfen. Mit
dem Mittagszuge wird eine vieljährige liebe Freundin
von mir, eine Tochter unſerer guten Stadt Keſſin,
Fräulein Marietta Trippelli, hier eintreffen und bis
morgen früh unter uns weilen. Am 17. will ſie
in Petersburg ſein, um daſelbſt bis Mitte Januar
zu konzertieren. Fürſt Kotſchukoff öffnet ihr auch dies¬
mal wieder ſein gaſtliches Haus. In ihrer immer gleichen
Güte gegen mich hat die Trippelli mir zugeſagt, den
heutigen Abend bei mir zubringen und einige Lieder
ganz nach meiner Wahl (denn ſie kennt keine
Schwierigkeiten) vortragen zu wollen. Könnten ſich
Frau Baronin dazu verſtehen, dieſem Muſikabende
beizuwohnen? ſieben Uhr. Ihr Herr Gemahl, auf
deſſen Erſcheinen ich mit Sicherheit rechne, wird
meine gehorſamſte Bitte unterſtützen. Anweſend nur
Paſtor Lindequiſt (der begleitet) und natürlich die
verwitwete Frau Paſtorin Trippel. In vorzüglicher
Ergebenheit A. Gieshübler.“
„Nun —“ ſagte Innſtetten, „ja oder nein?“
„Natürlich ja. Das wird mich herausreißen.
Und dann kann ich doch meinem lieben Gieshübler
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/144>, abgerufen am 28.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.