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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest
herein, und sie fühlte, daß sie wie eine Gefangene
sei und nicht mehr heraus könne.

Sie litt schwer darunter und wollte sich befreien.
Aber wiewohl sie starker Empfindungen fähig war,
so war sie doch keine starke Natur; ihr fehlte die
Nachhaltigkeit, und alle guten Anwandlungen gingen
wieder vorüber. So trieb sie denn weiter, heute,
weil sie's nicht ändern konnte, morgen, weil sie's
nicht ändern wollte. Das Verbotene, das Geheimnis¬
volle hatte seine Macht über sie.

So kam es, daß sie sich, von Natur frei und
offen, in ein verstecktes Komödienspiel mehr und mehr
hinein lebte. Mitunter erschrack sie, wie leicht es
ihr wurde. Nur in einem blieb sie sich gleich: sie
sah alles klar und beschönigte nichts. Einmal trat
sie spät abends vor den Spiegel in ihrer Schlafstube;
die Lichter und Schatten flogen hin und her, und Rollo
schlug draußen an, und im selben Augenblicke war es
ihr, als sähe ihr wer über die Schulter. Aber sie
besann sich rasch. "Ich weiß schon, was es ist; es
war nicht der," und sie wies mit dem Finger nach
dem Spukzimmer oben. "Es war 'was anderes ...
mein Gewissen ... Effi, Du bist verloren."

Es ging aber doch weiter so, die Kugel war
im Rollen, und was an einem Tage geschah, machte
das Thun des andern zur Notwendigkeit.

Effi Brieſt
herein, und ſie fühlte, daß ſie wie eine Gefangene
ſei und nicht mehr heraus könne.

Sie litt ſchwer darunter und wollte ſich befreien.
Aber wiewohl ſie ſtarker Empfindungen fähig war,
ſo war ſie doch keine ſtarke Natur; ihr fehlte die
Nachhaltigkeit, und alle guten Anwandlungen gingen
wieder vorüber. So trieb ſie denn weiter, heute,
weil ſie's nicht ändern konnte, morgen, weil ſie's
nicht ändern wollte. Das Verbotene, das Geheimnis¬
volle hatte ſeine Macht über ſie.

So kam es, daß ſie ſich, von Natur frei und
offen, in ein verſtecktes Komödienſpiel mehr und mehr
hinein lebte. Mitunter erſchrack ſie, wie leicht es
ihr wurde. Nur in einem blieb ſie ſich gleich: ſie
ſah alles klar und beſchönigte nichts. Einmal trat
ſie ſpät abends vor den Spiegel in ihrer Schlafſtube;
die Lichter und Schatten flogen hin und her, und Rollo
ſchlug draußen an, und im ſelben Augenblicke war es
ihr, als ſähe ihr wer über die Schulter. Aber ſie
beſann ſich raſch. „Ich weiß ſchon, was es iſt; es
war nicht der,“ und ſie wies mit dem Finger nach
dem Spukzimmer oben. „Es war 'was anderes …
mein Gewiſſen … Effi, Du biſt verloren.“

Es ging aber doch weiter ſo, die Kugel war
im Rollen, und was an einem Tage geſchah, machte
das Thun des andern zur Notwendigkeit.

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[294/0303] Effi Brieſt herein, und ſie fühlte, daß ſie wie eine Gefangene ſei und nicht mehr heraus könne. Sie litt ſchwer darunter und wollte ſich befreien. Aber wiewohl ſie ſtarker Empfindungen fähig war, ſo war ſie doch keine ſtarke Natur; ihr fehlte die Nachhaltigkeit, und alle guten Anwandlungen gingen wieder vorüber. So trieb ſie denn weiter, heute, weil ſie's nicht ändern konnte, morgen, weil ſie's nicht ändern wollte. Das Verbotene, das Geheimnis¬ volle hatte ſeine Macht über ſie. So kam es, daß ſie ſich, von Natur frei und offen, in ein verſtecktes Komödienſpiel mehr und mehr hinein lebte. Mitunter erſchrack ſie, wie leicht es ihr wurde. Nur in einem blieb ſie ſich gleich: ſie ſah alles klar und beſchönigte nichts. Einmal trat ſie ſpät abends vor den Spiegel in ihrer Schlafſtube; die Lichter und Schatten flogen hin und her, und Rollo ſchlug draußen an, und im ſelben Augenblicke war es ihr, als ſähe ihr wer über die Schulter. Aber ſie beſann ſich raſch. „Ich weiß ſchon, was es iſt; es war nicht der,“ und ſie wies mit dem Finger nach dem Spukzimmer oben. „Es war 'was anderes … mein Gewiſſen … Effi, Du biſt verloren.“ Es ging aber doch weiter ſo, die Kugel war im Rollen, und was an einem Tage geſchah, machte das Thun des andern zur Notwendigkeit.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/303>, abgerufen am 27.11.2024.