Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

"Nein. Aber es sei schon gut. Und der Herr solle nur
kommen."

Auf diese Zusage hin erhoben wir uns, die Frau Cantorin
und ich, und gingen nunmehr auf das Schloß zu, das mir seiner
großen Renaissance-Treppe nach aus der Zeit König Friedrichs I.
zu stammen schien. Ein Diener wartete schon und schloß einen
Hochparterre-Saal auf, aus dessen Fenstern ich einen Blick auf
einen von Treibhäusern eingefaßten Garten hatte. Dieser Blick
war hübsch, aber der Saal selber zeigte nichts als eine Steh-Uhr,
eine Portrait-Büste Friedrich Wilhelms II. und jene vier Bilder,
über die mir die Frau Cantorin einen vorläufigen kurzen Bericht
gegeben hatte.

Der letzte Gluthschein der untergehenden Sonne fiel auf
drei Bilder; das vierte (kleinere) hing an einer Schmalwand un-
mittelbar daneben und war das Woellner-Bild aus seiner Minister-
zeit. Er trägt auf demselben gepudertes Haar, einen rothen
Uniformrock und einen blauen mit Silber gestickten Kragen. Eben
solche Rabatten und Aufschläge. Die Nase dicklich, die Lippen
wulstig, die Augen groß und hervortretend. Alles in allem ent-
schlossen und charaktervoll, aber ohne Wohlwollen.

Auf diesem kleineren Portrait ist er ein mittlerer Fünfziger;
auf dem größeren, im rechten Winkel daneben hängenden aber
erscheint er als ein jugendlicher und in der That schöner abbe-
hafter Mann, wie man ihnen auch heute noch innerhalb der
katholischen Geistlichkeit in Oestreich und Süddeutschland zu be-
gegnen pflegt. Er zeigt sich, seinen damaligen Studien ent-
sprechend, mit einem Mikroskop beschäftigt, zwischen dessen Gläser
er eben einen zu beobachtenden Gegenstand gelegt zu haben scheint.
Eine Verwandtschaft zwischen den beiden Bildern ist unverkennbar:
derselbe sinnliche Mund, dazu dieselben großen Voll-Augen. Und
doch welch ein Unterschied! Auf dem Minister-Portrait alles ab-
stoßend, hier alles anziehend bis zum Verführerischen. Dazu gut
und soweit meine Kenntniß reicht in einzelnen Partien sogar vor-
trefflich gemalt. Von welcher Hand, würde sich durch Kunstver-
ständige leicht feststellen lassen, da, nach Antoine Pesnes Tode,
wohl nur wenige Maler in Berlin existirten, die so zu malen im
Stande waren.

„Nein. Aber es ſei ſchon gut. Und der Herr ſolle nur
kommen.“

Auf dieſe Zuſage hin erhoben wir uns, die Frau Cantorin
und ich, und gingen nunmehr auf das Schloß zu, das mir ſeiner
großen Renaiſſance-Treppe nach aus der Zeit König Friedrichs I.
zu ſtammen ſchien. Ein Diener wartete ſchon und ſchloß einen
Hochparterre-Saal auf, aus deſſen Fenſtern ich einen Blick auf
einen von Treibhäuſern eingefaßten Garten hatte. Dieſer Blick
war hübſch, aber der Saal ſelber zeigte nichts als eine Steh-Uhr,
eine Portrait-Büſte Friedrich Wilhelms II. und jene vier Bilder,
über die mir die Frau Cantorin einen vorläufigen kurzen Bericht
gegeben hatte.

Der letzte Gluthſchein der untergehenden Sonne fiel auf
drei Bilder; das vierte (kleinere) hing an einer Schmalwand un-
mittelbar daneben und war das Woellner-Bild aus ſeiner Miniſter-
zeit. Er trägt auf demſelben gepudertes Haar, einen rothen
Uniformrock und einen blauen mit Silber geſtickten Kragen. Eben
ſolche Rabatten und Aufſchläge. Die Naſe dicklich, die Lippen
wulſtig, die Augen groß und hervortretend. Alles in allem ent-
ſchloſſen und charaktervoll, aber ohne Wohlwollen.

Auf dieſem kleineren Portrait iſt er ein mittlerer Fünfziger;
auf dem größeren, im rechten Winkel daneben hängenden aber
erſcheint er als ein jugendlicher und in der That ſchöner abbé-
hafter Mann, wie man ihnen auch heute noch innerhalb der
katholiſchen Geiſtlichkeit in Oeſtreich und Süddeutſchland zu be-
gegnen pflegt. Er zeigt ſich, ſeinen damaligen Studien ent-
ſprechend, mit einem Mikroſkop beſchäftigt, zwiſchen deſſen Gläſer
er eben einen zu beobachtenden Gegenſtand gelegt zu haben ſcheint.
Eine Verwandtſchaft zwiſchen den beiden Bildern iſt unverkennbar:
derſelbe ſinnliche Mund, dazu dieſelben großen Voll-Augen. Und
doch welch ein Unterſchied! Auf dem Miniſter-Portrait alles ab-
ſtoßend, hier alles anziehend bis zum Verführeriſchen. Dazu gut
und ſoweit meine Kenntniß reicht in einzelnen Partien ſogar vor-
trefflich gemalt. Von welcher Hand, würde ſich durch Kunſtver-
ſtändige leicht feſtſtellen laſſen, da, nach Antoine Pesnes Tode,
wohl nur wenige Maler in Berlin exiſtirten, die ſo zu malen im
Stande waren.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0057" n="41"/>
            <p>&#x201E;Nein. Aber es &#x017F;ei &#x017F;chon gut. Und der Herr &#x017F;olle nur<lb/>
kommen.&#x201C;</p><lb/>
            <p>Auf die&#x017F;e Zu&#x017F;age hin erhoben wir uns, die Frau Cantorin<lb/>
und ich, und gingen nunmehr auf das Schloß zu, das mir &#x017F;einer<lb/>
großen Renai&#x017F;&#x017F;ance-Treppe nach aus der Zeit König Friedrichs <hi rendition="#aq">I.</hi><lb/>
zu &#x017F;tammen &#x017F;chien. Ein Diener wartete &#x017F;chon und &#x017F;chloß einen<lb/>
Hochparterre-Saal auf, aus de&#x017F;&#x017F;en Fen&#x017F;tern ich einen Blick auf<lb/>
einen von Treibhäu&#x017F;ern eingefaßten Garten hatte. Die&#x017F;er Blick<lb/>
war hüb&#x017F;ch, aber der Saal &#x017F;elber zeigte nichts als eine Steh-Uhr,<lb/>
eine Portrait-Bü&#x017F;te Friedrich Wilhelms <hi rendition="#aq">II.</hi> und jene vier Bilder,<lb/>
über die mir die Frau Cantorin einen vorläufigen kurzen Bericht<lb/>
gegeben hatte.</p><lb/>
            <p>Der letzte Gluth&#x017F;chein der untergehenden Sonne fiel auf<lb/>
drei Bilder; das vierte (kleinere) hing an einer Schmalwand un-<lb/>
mittelbar daneben und war das Woellner-Bild aus &#x017F;einer Mini&#x017F;ter-<lb/>
zeit. Er trägt auf dem&#x017F;elben gepudertes Haar, einen rothen<lb/>
Uniformrock und einen blauen mit Silber ge&#x017F;tickten Kragen. Eben<lb/>
&#x017F;olche Rabatten und Auf&#x017F;chläge. Die Na&#x017F;e dicklich, die Lippen<lb/>
wul&#x017F;tig, die Augen groß und hervortretend. Alles in allem ent-<lb/>
&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en und charaktervoll, aber ohne Wohlwollen.</p><lb/>
            <p>Auf die&#x017F;em kleineren Portrait i&#x017F;t er ein mittlerer Fünfziger;<lb/>
auf dem größeren, im rechten Winkel daneben hängenden aber<lb/>
er&#x017F;cheint er als ein jugendlicher und in der That &#x017F;chöner abb<hi rendition="#aq">é</hi>-<lb/>
hafter Mann, wie man ihnen auch heute noch innerhalb der<lb/>
katholi&#x017F;chen Gei&#x017F;tlichkeit in Oe&#x017F;treich und Süddeut&#x017F;chland zu be-<lb/>
gegnen pflegt. Er zeigt &#x017F;ich, &#x017F;einen damaligen Studien ent-<lb/>
&#x017F;prechend, mit einem Mikro&#x017F;kop be&#x017F;chäftigt, zwi&#x017F;chen de&#x017F;&#x017F;en Glä&#x017F;er<lb/>
er eben einen zu beobachtenden Gegen&#x017F;tand gelegt zu haben &#x017F;cheint.<lb/>
Eine Verwandt&#x017F;chaft zwi&#x017F;chen den beiden Bildern i&#x017F;t unverkennbar:<lb/>
der&#x017F;elbe &#x017F;innliche Mund, dazu die&#x017F;elben großen Voll-Augen. Und<lb/>
doch welch ein Unter&#x017F;chied! Auf dem Mini&#x017F;ter-Portrait alles ab-<lb/>
&#x017F;toßend, hier alles anziehend bis zum Verführeri&#x017F;chen. Dazu gut<lb/>
und &#x017F;oweit meine Kenntniß reicht in einzelnen Partien &#x017F;ogar vor-<lb/>
trefflich gemalt. Von welcher Hand, würde &#x017F;ich durch Kun&#x017F;tver-<lb/>
&#x017F;tändige leicht fe&#x017F;t&#x017F;tellen la&#x017F;&#x017F;en, da, nach Antoine Pesnes Tode,<lb/>
wohl nur wenige Maler in Berlin exi&#x017F;tirten, die &#x017F;o zu malen im<lb/>
Stande waren.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[41/0057] „Nein. Aber es ſei ſchon gut. Und der Herr ſolle nur kommen.“ Auf dieſe Zuſage hin erhoben wir uns, die Frau Cantorin und ich, und gingen nunmehr auf das Schloß zu, das mir ſeiner großen Renaiſſance-Treppe nach aus der Zeit König Friedrichs I. zu ſtammen ſchien. Ein Diener wartete ſchon und ſchloß einen Hochparterre-Saal auf, aus deſſen Fenſtern ich einen Blick auf einen von Treibhäuſern eingefaßten Garten hatte. Dieſer Blick war hübſch, aber der Saal ſelber zeigte nichts als eine Steh-Uhr, eine Portrait-Büſte Friedrich Wilhelms II. und jene vier Bilder, über die mir die Frau Cantorin einen vorläufigen kurzen Bericht gegeben hatte. Der letzte Gluthſchein der untergehenden Sonne fiel auf drei Bilder; das vierte (kleinere) hing an einer Schmalwand un- mittelbar daneben und war das Woellner-Bild aus ſeiner Miniſter- zeit. Er trägt auf demſelben gepudertes Haar, einen rothen Uniformrock und einen blauen mit Silber geſtickten Kragen. Eben ſolche Rabatten und Aufſchläge. Die Naſe dicklich, die Lippen wulſtig, die Augen groß und hervortretend. Alles in allem ent- ſchloſſen und charaktervoll, aber ohne Wohlwollen. Auf dieſem kleineren Portrait iſt er ein mittlerer Fünfziger; auf dem größeren, im rechten Winkel daneben hängenden aber erſcheint er als ein jugendlicher und in der That ſchöner abbé- hafter Mann, wie man ihnen auch heute noch innerhalb der katholiſchen Geiſtlichkeit in Oeſtreich und Süddeutſchland zu be- gegnen pflegt. Er zeigt ſich, ſeinen damaligen Studien ent- ſprechend, mit einem Mikroſkop beſchäftigt, zwiſchen deſſen Gläſer er eben einen zu beobachtenden Gegenſtand gelegt zu haben ſcheint. Eine Verwandtſchaft zwiſchen den beiden Bildern iſt unverkennbar: derſelbe ſinnliche Mund, dazu dieſelben großen Voll-Augen. Und doch welch ein Unterſchied! Auf dem Miniſter-Portrait alles ab- ſtoßend, hier alles anziehend bis zum Verführeriſchen. Dazu gut und ſoweit meine Kenntniß reicht in einzelnen Partien ſogar vor- trefflich gemalt. Von welcher Hand, würde ſich durch Kunſtver- ſtändige leicht feſtſtellen laſſen, da, nach Antoine Pesnes Tode, wohl nur wenige Maler in Berlin exiſtirten, die ſo zu malen im Stande waren.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/57
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/57>, abgerufen am 28.11.2024.