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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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Er schob eben eine Gartenschnecke, die sich beim Salat-nehmen
durch Klappern auf dem Teller bemerkbar gemacht hatte, leise-
verlegen auf den Tellerrand, sah sich um, und stellte zu besserer
Cachirung (und vielleicht auch eine Vorahuung im Gemüthe)
die große Wasserkaraffe zwischen sich und die Wirthin. Aber was
er vermeiden wollte, beschwor er nur herauf: die Wasserkaraffe
begann als Vergrößerungsglas zu wirken und die Schnecke nahm
wahre Riesen-Dimensionen an. Es war "Absicht", der Affront
erwiesen. So wenigstens schien es. Alle 33 Locken (sie gingen
mit der Alterszahl) begannen zu zittern und über den Tisch hin
klang es in einem hohen und allerhöchsten Tone: "Herr Assessor,
wenn es Ihnen bei mir nicht schmeckt, so muß ich Sie bitten,
anderswo zu essen."

Man muß an Ort und Stelle gewesen sein, um die ganze
Tragweite dieses "anderswo" zu begreifen.

Dieser kleine Hergang ist mir immer als Signatur von Alt-
Trebbin erschienen. Aber auch heute noch erinnert der Ort an
jene Wirthin und ihre Rache, trotz Zug-Gerassel und Lokomo-
tiven-Pfiff.

Ich passirte die Straßen und überall bot sich dasselbe Bild:
die Kirche so trist wie die Stadt und die Stadt so trist wie die
Kirche. Hier und dort spreizte sich eine Toilette, das einzige, wo-
ran sich die Nähe der Hauptstadt erkennen ließ; aber dieser Flitter
ließ die Stadt nur um so farbloser und die farblose Stadt hin-
wiederum den Flitter nur um so prahlerischer erscheinen.

Menschen, Häuser, Kirche, sie gaben nichts heraus!

Und doch eine Stelle hat auch der stillste, der verschwiegenste
Ort, wo er zu dem Fremden sprechen muß, und erst wenn auch
hier Alles schweigt, darf man mit einiger Gewißheit vom Tode
der Lebendigen sprechen.

Ich ging also hinaus. Links vor'm Thore dehnt sich der
Friedhof, ein ummauertes Feld. Es war ein Begräbnißplatz vor
50 Jahren und länger; dann gab man ihn auf, ließ die Stätte
brach liegen und die Hügel verfallen. Endlich, als Alles ein Gras-
platz geworden, zog ein neues Geschlecht hier wieder ein. So
ist der Friedhof ein ganz alter und ein ganz neuer. Der Interims-
Friedhof liegt an anderer Stelle.

Er ſchob eben eine Gartenſchnecke, die ſich beim Salat-nehmen
durch Klappern auf dem Teller bemerkbar gemacht hatte, leiſe-
verlegen auf den Tellerrand, ſah ſich um, und ſtellte zu beſſerer
Cachirung (und vielleicht auch eine Vorahuung im Gemüthe)
die große Waſſerkaraffe zwiſchen ſich und die Wirthin. Aber was
er vermeiden wollte, beſchwor er nur herauf: die Waſſerkaraffe
begann als Vergrößerungsglas zu wirken und die Schnecke nahm
wahre Rieſen-Dimenſionen an. Es war „Abſicht“, der Affront
erwieſen. So wenigſtens ſchien es. Alle 33 Locken (ſie gingen
mit der Alterszahl) begannen zu zittern und über den Tiſch hin
klang es in einem hohen und allerhöchſten Tone: „Herr Aſſeſſor,
wenn es Ihnen bei mir nicht ſchmeckt, ſo muß ich Sie bitten,
anderswo zu eſſen.“

Man muß an Ort und Stelle geweſen ſein, um die ganze
Tragweite dieſes „anderswo“ zu begreifen.

Dieſer kleine Hergang iſt mir immer als Signatur von Alt-
Trebbin erſchienen. Aber auch heute noch erinnert der Ort an
jene Wirthin und ihre Rache, trotz Zug-Geraſſel und Lokomo-
tiven-Pfiff.

Ich paſſirte die Straßen und überall bot ſich daſſelbe Bild:
die Kirche ſo triſt wie die Stadt und die Stadt ſo triſt wie die
Kirche. Hier und dort ſpreizte ſich eine Toilette, das einzige, wo-
ran ſich die Nähe der Hauptſtadt erkennen ließ; aber dieſer Flitter
ließ die Stadt nur um ſo farbloſer und die farbloſe Stadt hin-
wiederum den Flitter nur um ſo prahleriſcher erſcheinen.

Menſchen, Häuſer, Kirche, ſie gaben nichts heraus!

Und doch eine Stelle hat auch der ſtillſte, der verſchwiegenſte
Ort, wo er zu dem Fremden ſprechen muß, und erſt wenn auch
hier Alles ſchweigt, darf man mit einiger Gewißheit vom Tode
der Lebendigen ſprechen.

Ich ging alſo hinaus. Links vor’m Thore dehnt ſich der
Friedhof, ein ummauertes Feld. Es war ein Begräbnißplatz vor
50 Jahren und länger; dann gab man ihn auf, ließ die Stätte
brach liegen und die Hügel verfallen. Endlich, als Alles ein Gras-
platz geworden, zog ein neues Geſchlecht hier wieder ein. So
iſt der Friedhof ein ganz alter und ein ganz neuer. Der Interims-
Friedhof liegt an anderer Stelle.

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[432/0448] Er ſchob eben eine Gartenſchnecke, die ſich beim Salat-nehmen durch Klappern auf dem Teller bemerkbar gemacht hatte, leiſe- verlegen auf den Tellerrand, ſah ſich um, und ſtellte zu beſſerer Cachirung (und vielleicht auch eine Vorahuung im Gemüthe) die große Waſſerkaraffe zwiſchen ſich und die Wirthin. Aber was er vermeiden wollte, beſchwor er nur herauf: die Waſſerkaraffe begann als Vergrößerungsglas zu wirken und die Schnecke nahm wahre Rieſen-Dimenſionen an. Es war „Abſicht“, der Affront erwieſen. So wenigſtens ſchien es. Alle 33 Locken (ſie gingen mit der Alterszahl) begannen zu zittern und über den Tiſch hin klang es in einem hohen und allerhöchſten Tone: „Herr Aſſeſſor, wenn es Ihnen bei mir nicht ſchmeckt, ſo muß ich Sie bitten, anderswo zu eſſen.“ Man muß an Ort und Stelle geweſen ſein, um die ganze Tragweite dieſes „anderswo“ zu begreifen. Dieſer kleine Hergang iſt mir immer als Signatur von Alt- Trebbin erſchienen. Aber auch heute noch erinnert der Ort an jene Wirthin und ihre Rache, trotz Zug-Geraſſel und Lokomo- tiven-Pfiff. Ich paſſirte die Straßen und überall bot ſich daſſelbe Bild: die Kirche ſo triſt wie die Stadt und die Stadt ſo triſt wie die Kirche. Hier und dort ſpreizte ſich eine Toilette, das einzige, wo- ran ſich die Nähe der Hauptſtadt erkennen ließ; aber dieſer Flitter ließ die Stadt nur um ſo farbloſer und die farbloſe Stadt hin- wiederum den Flitter nur um ſo prahleriſcher erſcheinen. Menſchen, Häuſer, Kirche, ſie gaben nichts heraus! Und doch eine Stelle hat auch der ſtillſte, der verſchwiegenſte Ort, wo er zu dem Fremden ſprechen muß, und erſt wenn auch hier Alles ſchweigt, darf man mit einiger Gewißheit vom Tode der Lebendigen ſprechen. Ich ging alſo hinaus. Links vor’m Thore dehnt ſich der Friedhof, ein ummauertes Feld. Es war ein Begräbnißplatz vor 50 Jahren und länger; dann gab man ihn auf, ließ die Stätte brach liegen und die Hügel verfallen. Endlich, als Alles ein Gras- platz geworden, zog ein neues Geſchlecht hier wieder ein. So iſt der Friedhof ein ganz alter und ein ganz neuer. Der Interims- Friedhof liegt an anderer Stelle.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 432. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/448>, abgerufen am 22.11.2024.