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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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einsehen gelernt, wie dankbar ich ihr gerade für diese strenge
Schule zu sein hatte.

"Schön war auch das an ihr, daß sie durch Enttäuschungen
und Fälle von Vertrauensbruch -- immer vorausgesetzt daß es
ein Sachliches war und nicht allerunmittelbarst ihre Person traf
-- in ihrem Allgemein-Vertrauen nicht erschüttert wurde. Sie
beklagte dann wohl das einzelne Vorkommniß, aber ließ es keinen
Einfluß auf ihre nur auf Trost und Hilfe gerichteten Entschlüsse
gewinnen."

Selbstverständlich mischten sich auch menschliche Schwächen in
ihr Thun, und das Nachstehende, das mir von andrer Seite
her zugeht und ihrem Bildniß ein paar Schattentöne giebt, wird
dasselbe nur um so sprechender und anziehender machen.

"Unzweifelhaft, Frau v. S. war eine durchaus vornehme
Natur und ausgerüstet mit allen Tugenden eines edlen und groß-
müthigen Herzens. Aber Eines fehlte ihr: die rechte Freudigkeit
der Seele, was ich doch mehr als einmal als einen wirklichen
Mangel empfunden habe. Sie stand nicht nur in der Melancholie,
nein, sie pflegte sie direct, und das alte Fräulein v. Görtzke traf
es durchaus, als sie mal in ihrer humoristisch-treuherzigen Weise
sagte: "Frau Johanna fühlt sich nur wohl, wenn sie neben ihrer
alltäglichen Sorge noch ein ganz besonderes Unglück in der Tasche
hat." In der That, es war ihr von Jugendtagen an viel aufer-
legt worden, indessen doch nicht so viel, daß nicht ein glücklicheres
Naturell es hätte bemeistern können. Sie wollt' es aber nicht
und suchte nur umgekehrt nach allem Bittren des Daseins, das
für sie längst das Süße geworden war. In ihrem feinen Nerven-
leben auf jedes Kleinste reagirend, leicht empfindlich und verletzt,
und als echte Schlabrendorf auch Stimmungen und selbst Launen
unterworfen, gelang es ihr nicht zu jenem schönen Frieden der
Seele durchzudringen, nach dem sie sich beständig sehnte. Sie
verzieh Kränkungen völlig, aber sie vergaß sie nicht, und so blieb
ihr beständig ein Stachel im Gemüthe, der sein Wesen dadurch
nicht einbüßte, daß er sich zumeist und in erster Reihe gegen sie
selber richtete. So wurde sie denn, alles Kämpfens und Strebens
unerachtet, von Jahr zu Jahr immer bitterer, und viele kleine
Züge legen Zeugniß davon ab. Einer, als besonders charakteristisch,

einſehen gelernt, wie dankbar ich ihr gerade für dieſe ſtrenge
Schule zu ſein hatte.

„Schön war auch das an ihr, daß ſie durch Enttäuſchungen
und Fälle von Vertrauensbruch — immer vorausgeſetzt daß es
ein Sachliches war und nicht allerunmittelbarſt ihre Perſon traf
— in ihrem Allgemein-Vertrauen nicht erſchüttert wurde. Sie
beklagte dann wohl das einzelne Vorkommniß, aber ließ es keinen
Einfluß auf ihre nur auf Troſt und Hilfe gerichteten Entſchlüſſe
gewinnen.“

Selbſtverſtändlich miſchten ſich auch menſchliche Schwächen in
ihr Thun, und das Nachſtehende, das mir von andrer Seite
her zugeht und ihrem Bildniß ein paar Schattentöne giebt, wird
daſſelbe nur um ſo ſprechender und anziehender machen.

„Unzweifelhaft, Frau v. S. war eine durchaus vornehme
Natur und ausgerüſtet mit allen Tugenden eines edlen und groß-
müthigen Herzens. Aber Eines fehlte ihr: die rechte Freudigkeit
der Seele, was ich doch mehr als einmal als einen wirklichen
Mangel empfunden habe. Sie ſtand nicht nur in der Melancholie,
nein, ſie pflegte ſie direct, und das alte Fräulein v. Görtzke traf
es durchaus, als ſie mal in ihrer humoriſtiſch-treuherzigen Weiſe
ſagte: „Frau Johanna fühlt ſich nur wohl, wenn ſie neben ihrer
alltäglichen Sorge noch ein ganz beſonderes Unglück in der Taſche
hat.“ In der That, es war ihr von Jugendtagen an viel aufer-
legt worden, indeſſen doch nicht ſo viel, daß nicht ein glücklicheres
Naturell es hätte bemeiſtern können. Sie wollt’ es aber nicht
und ſuchte nur umgekehrt nach allem Bittren des Daſeins, das
für ſie längſt das Süße geworden war. In ihrem feinen Nerven-
leben auf jedes Kleinſte reagirend, leicht empfindlich und verletzt,
und als echte Schlabrendorf auch Stimmungen und ſelbſt Launen
unterworfen, gelang es ihr nicht zu jenem ſchönen Frieden der
Seele durchzudringen, nach dem ſie ſich beſtändig ſehnte. Sie
verzieh Kränkungen völlig, aber ſie vergaß ſie nicht, und ſo blieb
ihr beſtändig ein Stachel im Gemüthe, der ſein Weſen dadurch
nicht einbüßte, daß er ſich zumeiſt und in erſter Reihe gegen ſie
ſelber richtete. So wurde ſie denn, alles Kämpfens und Strebens
unerachtet, von Jahr zu Jahr immer bitterer, und viele kleine
Züge legen Zeugniß davon ab. Einer, als beſonders charakteriſtiſch,

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[395/0411] einſehen gelernt, wie dankbar ich ihr gerade für dieſe ſtrenge Schule zu ſein hatte. „Schön war auch das an ihr, daß ſie durch Enttäuſchungen und Fälle von Vertrauensbruch — immer vorausgeſetzt daß es ein Sachliches war und nicht allerunmittelbarſt ihre Perſon traf — in ihrem Allgemein-Vertrauen nicht erſchüttert wurde. Sie beklagte dann wohl das einzelne Vorkommniß, aber ließ es keinen Einfluß auf ihre nur auf Troſt und Hilfe gerichteten Entſchlüſſe gewinnen.“ Selbſtverſtändlich miſchten ſich auch menſchliche Schwächen in ihr Thun, und das Nachſtehende, das mir von andrer Seite her zugeht und ihrem Bildniß ein paar Schattentöne giebt, wird daſſelbe nur um ſo ſprechender und anziehender machen. „Unzweifelhaft, Frau v. S. war eine durchaus vornehme Natur und ausgerüſtet mit allen Tugenden eines edlen und groß- müthigen Herzens. Aber Eines fehlte ihr: die rechte Freudigkeit der Seele, was ich doch mehr als einmal als einen wirklichen Mangel empfunden habe. Sie ſtand nicht nur in der Melancholie, nein, ſie pflegte ſie direct, und das alte Fräulein v. Görtzke traf es durchaus, als ſie mal in ihrer humoriſtiſch-treuherzigen Weiſe ſagte: „Frau Johanna fühlt ſich nur wohl, wenn ſie neben ihrer alltäglichen Sorge noch ein ganz beſonderes Unglück in der Taſche hat.“ In der That, es war ihr von Jugendtagen an viel aufer- legt worden, indeſſen doch nicht ſo viel, daß nicht ein glücklicheres Naturell es hätte bemeiſtern können. Sie wollt’ es aber nicht und ſuchte nur umgekehrt nach allem Bittren des Daſeins, das für ſie längſt das Süße geworden war. In ihrem feinen Nerven- leben auf jedes Kleinſte reagirend, leicht empfindlich und verletzt, und als echte Schlabrendorf auch Stimmungen und ſelbſt Launen unterworfen, gelang es ihr nicht zu jenem ſchönen Frieden der Seele durchzudringen, nach dem ſie ſich beſtändig ſehnte. Sie verzieh Kränkungen völlig, aber ſie vergaß ſie nicht, und ſo blieb ihr beſtändig ein Stachel im Gemüthe, der ſein Weſen dadurch nicht einbüßte, daß er ſich zumeiſt und in erſter Reihe gegen ſie ſelber richtete. So wurde ſie denn, alles Kämpfens und Strebens unerachtet, von Jahr zu Jahr immer bitterer, und viele kleine Züge legen Zeugniß davon ab. Einer, als beſonders charakteriſtiſch,

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/411>, abgerufen am 22.11.2024.