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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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vereinigten sich auf Knesebeck; man gab ihm eine Art dictatorischer
Gewalt und vertraute das Wohl der Stadt seiner Geschicklichkeit
und dem Glück seiner Hand.

Der Abend dämmerte und Pistolenschüsse verkündeten die
Nähe französischer Chasseurs. Knesebeck ging ihnen entgegen.
"Qui vive?" "Un citoyen du bourg", antwortete Knesebeck und
verlangte den commandirenden Offizier zu sprechen. Dies war
ein Marquis de Custine. Knesebeck eröffnete ihm, daß die Stadt
offen, ohne Besatzung und arm, trotz ihrer Armuth aber zu einem
"douceur" bereit sei. Das wirkte. "Ah, Monsieur sait bien com-
ment traiter avec les soldats",
erwiederte der Marquis lächelnd
mit befriedigtem Gesicht und man einigte sich alsbald über 100
Louisd'or. Die Franzosen zogen ein und die Summe wurde
gezahlt.

War auf diese Weise Plünderung und Gewaltthat glücklich
abgewandt, so sicherte Knesebeck's Geistesgegenwart wenige Wochen
später die Stadt vor einer noch drohenderen Gefahr. Das Ge-
rücht hatte sich verbreitet: "die Franzosen seien geschlagen worden"
und siehe da, den guten Ruppinern begann der Kamm zu schwellen.
Detachements französischer Truppen, darunter auch Personen von
Rang, passirten gelegentlich die Stadt; warum sollte man sie ruhig
und ungehindert ziehen lassen? waren es nicht Feinde? So be-
schloß man denn den "kleinen Krieg" zu organisireu und wegzufangen
was wegzufangen sei. Die Sache war gut gemeint, aber sie hatte
mehr Herz als Verstand und kaum daß solche Pläne in den Köpfen
der Menge spukten, als sich auch schon Gelegenheit bot, sie aus-
zuführen. Bei leisem Schneegestöber kam Anfang December ein
Schlitten durch's Thor, dessen Insasse sich -- trotz des weiten
Mantels, der ihn verhüllte -- leicht als ein höherer französischer
Offizier erkennen ließ. Da hatte man wen im Garn! Und
mit Geschrei drang ein Dutzend Bürger, von allerlei Volk unter-
stützt, auf den Unbekannten ein, zunächst um ihn zu insultiren,
vielleicht auch um ihn niederzuschlagen, wenn er Widerstand ver-
suchen sollte. Knesebeck eilte herzu, stellte den Angreifenden das
Unedle, ja das Gefährliche ihrer Handlungsweise vor und trieb
den Haufen aus einander. Der Offizier aber setzte seine Reise fort.
Alles schien vergessen, als etwa drei oder vier Tage später Knesebeck

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vereinigten ſich auf Kneſebeck; man gab ihm eine Art dictatoriſcher
Gewalt und vertraute das Wohl der Stadt ſeiner Geſchicklichkeit
und dem Glück ſeiner Hand.

Der Abend dämmerte und Piſtolenſchüſſe verkündeten die
Nähe franzöſiſcher Chaſſeurs. Kneſebeck ging ihnen entgegen.
„Qui vive?“ „Un citoyen du bourg“, antwortete Kneſebeck und
verlangte den commandirenden Offizier zu ſprechen. Dies war
ein Marquis de Cuſtine. Kneſebeck eröffnete ihm, daß die Stadt
offen, ohne Beſatzung und arm, trotz ihrer Armuth aber zu einem
„douceur“ bereit ſei. Das wirkte. „Ah, Monsieur sait bien com-
ment traiter avec les soldats“,
erwiederte der Marquis lächelnd
mit befriedigtem Geſicht und man einigte ſich alsbald über 100
Louisd’or. Die Franzoſen zogen ein und die Summe wurde
gezahlt.

War auf dieſe Weiſe Plünderung und Gewaltthat glücklich
abgewandt, ſo ſicherte Kneſebeck’s Geiſtesgegenwart wenige Wochen
ſpäter die Stadt vor einer noch drohenderen Gefahr. Das Ge-
rücht hatte ſich verbreitet: „die Franzoſen ſeien geſchlagen worden“
und ſiehe da, den guten Ruppinern begann der Kamm zu ſchwellen.
Detachements franzöſiſcher Truppen, darunter auch Perſonen von
Rang, paſſirten gelegentlich die Stadt; warum ſollte man ſie ruhig
und ungehindert ziehen laſſen? waren es nicht Feinde? So be-
ſchloß man denn den „kleinen Krieg“ zu organiſireu und wegzufangen
was wegzufangen ſei. Die Sache war gut gemeint, aber ſie hatte
mehr Herz als Verſtand und kaum daß ſolche Pläne in den Köpfen
der Menge ſpukten, als ſich auch ſchon Gelegenheit bot, ſie aus-
zuführen. Bei leiſem Schneegeſtöber kam Anfang December ein
Schlitten durch’s Thor, deſſen Inſaſſe ſich — trotz des weiten
Mantels, der ihn verhüllte — leicht als ein höherer franzöſiſcher
Offizier erkennen ließ. Da hatte man wen im Garn! Und
mit Geſchrei drang ein Dutzend Bürger, von allerlei Volk unter-
ſtützt, auf den Unbekannten ein, zunächſt um ihn zu inſultiren,
vielleicht auch um ihn niederzuſchlagen, wenn er Widerſtand ver-
ſuchen ſollte. Kneſebeck eilte herzu, ſtellte den Angreifenden das
Unedle, ja das Gefährliche ihrer Handlungsweiſe vor und trieb
den Haufen aus einander. Der Offizier aber ſetzte ſeine Reiſe fort.
Alles ſchien vergeſſen, als etwa drei oder vier Tage ſpäter Kneſebeck

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[323/0339] vereinigten ſich auf Kneſebeck; man gab ihm eine Art dictatoriſcher Gewalt und vertraute das Wohl der Stadt ſeiner Geſchicklichkeit und dem Glück ſeiner Hand. Der Abend dämmerte und Piſtolenſchüſſe verkündeten die Nähe franzöſiſcher Chaſſeurs. Kneſebeck ging ihnen entgegen. „Qui vive?“ „Un citoyen du bourg“, antwortete Kneſebeck und verlangte den commandirenden Offizier zu ſprechen. Dies war ein Marquis de Cuſtine. Kneſebeck eröffnete ihm, daß die Stadt offen, ohne Beſatzung und arm, trotz ihrer Armuth aber zu einem „douceur“ bereit ſei. Das wirkte. „Ah, Monsieur sait bien com- ment traiter avec les soldats“, erwiederte der Marquis lächelnd mit befriedigtem Geſicht und man einigte ſich alsbald über 100 Louisd’or. Die Franzoſen zogen ein und die Summe wurde gezahlt. War auf dieſe Weiſe Plünderung und Gewaltthat glücklich abgewandt, ſo ſicherte Kneſebeck’s Geiſtesgegenwart wenige Wochen ſpäter die Stadt vor einer noch drohenderen Gefahr. Das Ge- rücht hatte ſich verbreitet: „die Franzoſen ſeien geſchlagen worden“ und ſiehe da, den guten Ruppinern begann der Kamm zu ſchwellen. Detachements franzöſiſcher Truppen, darunter auch Perſonen von Rang, paſſirten gelegentlich die Stadt; warum ſollte man ſie ruhig und ungehindert ziehen laſſen? waren es nicht Feinde? So be- ſchloß man denn den „kleinen Krieg“ zu organiſireu und wegzufangen was wegzufangen ſei. Die Sache war gut gemeint, aber ſie hatte mehr Herz als Verſtand und kaum daß ſolche Pläne in den Köpfen der Menge ſpukten, als ſich auch ſchon Gelegenheit bot, ſie aus- zuführen. Bei leiſem Schneegeſtöber kam Anfang December ein Schlitten durch’s Thor, deſſen Inſaſſe ſich — trotz des weiten Mantels, der ihn verhüllte — leicht als ein höherer franzöſiſcher Offizier erkennen ließ. Da hatte man wen im Garn! Und mit Geſchrei drang ein Dutzend Bürger, von allerlei Volk unter- ſtützt, auf den Unbekannten ein, zunächſt um ihn zu inſultiren, vielleicht auch um ihn niederzuſchlagen, wenn er Widerſtand ver- ſuchen ſollte. Kneſebeck eilte herzu, ſtellte den Angreifenden das Unedle, ja das Gefährliche ihrer Handlungsweiſe vor und trieb den Haufen aus einander. Der Offizier aber ſetzte ſeine Reiſe fort. Alles ſchien vergeſſen, als etwa drei oder vier Tage ſpäter Kneſebeck 21*

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/339>, abgerufen am 26.05.2024.