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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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in Leben oder Dichtung je gemacht hatte, konnt' ich doch keinen
finden, der mir -- mit alleiniger Ausnahme des maeitre d'ecole
in den "Geheimnissen von Paris" -- gleich verabscheuungswürdig
erschienen wäre. Ja, meine Neigung zu generalisiren und vom
Einzelfall auf's Ganze zu gehen, ließ mich augenblicks wieder die
Frage stellen, ob ein solches, aus bloßem verschrobenen Dünkel
hervorgegangenes Benehmen unter andern Völkern überhaupt
möglich sei? "Nein," sagt' ich mir, "unter den Romanen gewiß
nicht." Aber inmitten all meiner Verwünschungen mußt' ich
doch plötzlich der Auslassungen eines alle Wechselfälle des
Lebens unter die statistisch-philosophische Loupe nehmenden Freundes
gedenken, der mir einmal gesagt hatte: "Sehen Sie, Freund, auch
in den Zufällen und Unglücksfällen waltet ein Gesetz. So ver-
folg' ich beispielsweise die Theaterbrände. Alle funfzehn Jahre
brennt ein großes Theater ab. Nicht öfter, aber auch nicht weniger
oft." Und nun entsann ich mich des wenigstens für mich kaum
minder interessanten und kaum minder wichtigen Punktes, gerade
funfzehn Jahre lang immer nur an freundliche Schulhäuser an-
geklopft zu haben. Was war es denn also groß? Der Aus-
nahmefall war in sein geheimnißvolles Recht getreten; das Gesetz
vollzog sich. Die funfzehn Jahre waren um, und mein "Theater-
brand" war da. Das gab mir die gute Laune wieder, und ich
beschloß "in Sachen der Gruft" einfach an die höhere Instanz des
Pfarrhauses zu appelliren.

Wenige Schritte führten mich auf den Hof desselben. Ein
kleiner braunhaariger, übrigens ebenfalls intelligent aussehender
Spitz, der um meine Stiefelschäfte herumbiß, ließ mich anfänglich
in erzitterndem Herzen eine Wiederholung der Schulhaus-Scene
fürchten, aber kaum daß ich an dem kleinen, seiner dienstlichen
Pflicht etwas zu streng obliegenden Wachtposten vorüber war, als
mich auch schon das selten täuschende Gefühl durchdrang, in einen
guten und sichern Hafen eingelaufen zu sein. Der Pfarrflur, des
nahen Festes halber, war in eine große Plättkammer umgewandelt
worden, in der eben die Bügeleisen über breite Gardinenflächen
geschäftig hin und her gingen und den Raum mit einem warmen
Wrasen füllten. Alles wirthschaftlich und wohlthuend, vor allem
auch die Temperatur. Ich fragte nach dem Pfarrer und schickte

in Leben oder Dichtung je gemacht hatte, konnt’ ich doch keinen
finden, der mir — mit alleiniger Ausnahme des maître d’école
in den „Geheimniſſen von Paris“ — gleich verabſcheuungswürdig
erſchienen wäre. Ja, meine Neigung zu generaliſiren und vom
Einzelfall auf’s Ganze zu gehen, ließ mich augenblicks wieder die
Frage ſtellen, ob ein ſolches, aus bloßem verſchrobenen Dünkel
hervorgegangenes Benehmen unter andern Völkern überhaupt
möglich ſei? „Nein,“ ſagt’ ich mir, „unter den Romanen gewiß
nicht.“ Aber inmitten all meiner Verwünſchungen mußt’ ich
doch plötzlich der Auslaſſungen eines alle Wechſelfälle des
Lebens unter die ſtatiſtiſch-philoſophiſche Loupe nehmenden Freundes
gedenken, der mir einmal geſagt hatte: „Sehen Sie, Freund, auch
in den Zufällen und Unglücksfällen waltet ein Geſetz. So ver-
folg’ ich beiſpielsweiſe die Theaterbrände. Alle funfzehn Jahre
brennt ein großes Theater ab. Nicht öfter, aber auch nicht weniger
oft.“ Und nun entſann ich mich des wenigſtens für mich kaum
minder intereſſanten und kaum minder wichtigen Punktes, gerade
funfzehn Jahre lang immer nur an freundliche Schulhäuſer an-
geklopft zu haben. Was war es denn alſo groß? Der Aus-
nahmefall war in ſein geheimnißvolles Recht getreten; das Geſetz
vollzog ſich. Die funfzehn Jahre waren um, und mein „Theater-
brand“ war da. Das gab mir die gute Laune wieder, und ich
beſchloß „in Sachen der Gruft“ einfach an die höhere Inſtanz des
Pfarrhauſes zu appelliren.

Wenige Schritte führten mich auf den Hof deſſelben. Ein
kleiner braunhaariger, übrigens ebenfalls intelligent ausſehender
Spitz, der um meine Stiefelſchäfte herumbiß, ließ mich anfänglich
in erzitterndem Herzen eine Wiederholung der Schulhaus-Scene
fürchten, aber kaum daß ich an dem kleinen, ſeiner dienſtlichen
Pflicht etwas zu ſtreng obliegenden Wachtpoſten vorüber war, als
mich auch ſchon das ſelten täuſchende Gefühl durchdrang, in einen
guten und ſichern Hafen eingelaufen zu ſein. Der Pfarrflur, des
nahen Feſtes halber, war in eine große Plättkammer umgewandelt
worden, in der eben die Bügeleiſen über breite Gardinenflächen
geſchäftig hin und her gingen und den Raum mit einem warmen
Wraſen füllten. Alles wirthſchaftlich und wohlthuend, vor allem
auch die Temperatur. Ich fragte nach dem Pfarrer und ſchickte

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[235/0251] in Leben oder Dichtung je gemacht hatte, konnt’ ich doch keinen finden, der mir — mit alleiniger Ausnahme des maître d’école in den „Geheimniſſen von Paris“ — gleich verabſcheuungswürdig erſchienen wäre. Ja, meine Neigung zu generaliſiren und vom Einzelfall auf’s Ganze zu gehen, ließ mich augenblicks wieder die Frage ſtellen, ob ein ſolches, aus bloßem verſchrobenen Dünkel hervorgegangenes Benehmen unter andern Völkern überhaupt möglich ſei? „Nein,“ ſagt’ ich mir, „unter den Romanen gewiß nicht.“ Aber inmitten all meiner Verwünſchungen mußt’ ich doch plötzlich der Auslaſſungen eines alle Wechſelfälle des Lebens unter die ſtatiſtiſch-philoſophiſche Loupe nehmenden Freundes gedenken, der mir einmal geſagt hatte: „Sehen Sie, Freund, auch in den Zufällen und Unglücksfällen waltet ein Geſetz. So ver- folg’ ich beiſpielsweiſe die Theaterbrände. Alle funfzehn Jahre brennt ein großes Theater ab. Nicht öfter, aber auch nicht weniger oft.“ Und nun entſann ich mich des wenigſtens für mich kaum minder intereſſanten und kaum minder wichtigen Punktes, gerade funfzehn Jahre lang immer nur an freundliche Schulhäuſer an- geklopft zu haben. Was war es denn alſo groß? Der Aus- nahmefall war in ſein geheimnißvolles Recht getreten; das Geſetz vollzog ſich. Die funfzehn Jahre waren um, und mein „Theater- brand“ war da. Das gab mir die gute Laune wieder, und ich beſchloß „in Sachen der Gruft“ einfach an die höhere Inſtanz des Pfarrhauſes zu appelliren. Wenige Schritte führten mich auf den Hof deſſelben. Ein kleiner braunhaariger, übrigens ebenfalls intelligent ausſehender Spitz, der um meine Stiefelſchäfte herumbiß, ließ mich anfänglich in erzitterndem Herzen eine Wiederholung der Schulhaus-Scene fürchten, aber kaum daß ich an dem kleinen, ſeiner dienſtlichen Pflicht etwas zu ſtreng obliegenden Wachtpoſten vorüber war, als mich auch ſchon das ſelten täuſchende Gefühl durchdrang, in einen guten und ſichern Hafen eingelaufen zu ſein. Der Pfarrflur, des nahen Feſtes halber, war in eine große Plättkammer umgewandelt worden, in der eben die Bügeleiſen über breite Gardinenflächen geſchäftig hin und her gingen und den Raum mit einem warmen Wraſen füllten. Alles wirthſchaftlich und wohlthuend, vor allem auch die Temperatur. Ich fragte nach dem Pfarrer und ſchickte

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/251>, abgerufen am 17.05.2024.