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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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und die Halskrause von dem sonst Herkömmlichen abweichend
erschienen. Die Halskrause wird nicht allgemein getragen; wo sie
sich findet, erinnert sie lebhaft an die getollten Ringkragen auf
alten Pastorenbildern: steife Jabots, die dem, der sie trägt, immer
etwas von dem Ansehen eines kollernden Truthahns geben. All-
gemein aber ist der spreewäldlerische Kopfputz, und ich versuche seine
Beschreibung. Eine zugeschrägte Papier- oder Papphülse bildet das
Gestell, darüber legen sich Tüll und Gaze, Kanten und Bänder,
und stellen eine Art Spitzhaube her. Ist die Trägerin eine Jung-
frau, so schließt die Kopfbekleidung hiermit ab, ist sie dagegen
verheirathet, so schlingt sich noch ein Kopftuch um die Haube
herum und verdeckt sie, je nach Neigung, halb oder ganz. Diese
Kopftücher sind ebenso von verschiedenster Farbe wie von ver-
schiedenstem Werth. Junge, reiche Frauen schienen schwarze Seide
zu bevorzugen, während sich ärmere und ältere mit krapprothem
Zitz und selbst mit ockerfarbenem Kattun begnügten.

Die wendische Predigt entzieht sich unserer Controle, das
Schluchzen aber, das laut wird, ist wenigstens ein Beweis für die
gute Praxis des Geistlichen. Er steht zudem in der Liebe seiner
Gemeinde, und wo diese Liebe waltet, ist auch unschwer das Wort
gefunden, das eine Mutter die den Sohn, oder eine Wittwe die
den Mann begrub, zu den ehrlichsten Thränen hinreißt.

Und nun schweigt die Predigt, und eine kurze Pause tritt ein,
während welcher der Geistliche langsam und sorglich in seinen
Papieren blättert. Endlich hat er beisammen, was er braucht,
und beginnt nun die Aufgebote, die Geburts- und Todesanzeigen
zu lesen, alles in deutscher Sprache. Bemerkenswerth genug.
Die Predigt, die mehr dem Ideale dient, durfte noch wendisch
sein; aber so wie sich's um ausschließlich praktische Dinge zu
handeln beginnt, sowie festgestellt werden soll, was im Spreewalde
lebt und stirbt, wer darin heirathet und getauft wird, so geht es
mit dem Wendischen nicht länger. Der Staat, der blos mit
deutschem Ohre hört und nicht Zeit hat in aller Eil auch noch
wendisch zu lernen, tritt mit der nüchternsten Geschäftsmiene da-
zwischen und verlangt deutsches Aufgebot und deutsche Tauf-
scheine.

Wer wollt' ihm das Recht dazu bestreiten?

und die Halskrauſe von dem ſonſt Herkömmlichen abweichend
erſchienen. Die Halskrauſe wird nicht allgemein getragen; wo ſie
ſich findet, erinnert ſie lebhaft an die getollten Ringkragen auf
alten Paſtorenbildern: ſteife Jabots, die dem, der ſie trägt, immer
etwas von dem Anſehen eines kollernden Truthahns geben. All-
gemein aber iſt der ſpreewäldleriſche Kopfputz, und ich verſuche ſeine
Beſchreibung. Eine zugeſchrägte Papier- oder Papphülſe bildet das
Geſtell, darüber legen ſich Tüll und Gaze, Kanten und Bänder,
und ſtellen eine Art Spitzhaube her. Iſt die Trägerin eine Jung-
frau, ſo ſchließt die Kopfbekleidung hiermit ab, iſt ſie dagegen
verheirathet, ſo ſchlingt ſich noch ein Kopftuch um die Haube
herum und verdeckt ſie, je nach Neigung, halb oder ganz. Dieſe
Kopftücher ſind ebenſo von verſchiedenſter Farbe wie von ver-
ſchiedenſtem Werth. Junge, reiche Frauen ſchienen ſchwarze Seide
zu bevorzugen, während ſich ärmere und ältere mit krapprothem
Zitz und ſelbſt mit ockerfarbenem Kattun begnügten.

Die wendiſche Predigt entzieht ſich unſerer Controle, das
Schluchzen aber, das laut wird, iſt wenigſtens ein Beweis für die
gute Praxis des Geiſtlichen. Er ſteht zudem in der Liebe ſeiner
Gemeinde, und wo dieſe Liebe waltet, iſt auch unſchwer das Wort
gefunden, das eine Mutter die den Sohn, oder eine Wittwe die
den Mann begrub, zu den ehrlichſten Thränen hinreißt.

Und nun ſchweigt die Predigt, und eine kurze Pauſe tritt ein,
während welcher der Geiſtliche langſam und ſorglich in ſeinen
Papieren blättert. Endlich hat er beiſammen, was er braucht,
und beginnt nun die Aufgebote, die Geburts- und Todesanzeigen
zu leſen, alles in deutſcher Sprache. Bemerkenswerth genug.
Die Predigt, die mehr dem Ideale dient, durfte noch wendiſch
ſein; aber ſo wie ſich’s um ausſchließlich praktiſche Dinge zu
handeln beginnt, ſowie feſtgeſtellt werden ſoll, was im Spreewalde
lebt und ſtirbt, wer darin heirathet und getauft wird, ſo geht es
mit dem Wendiſchen nicht länger. Der Staat, der blos mit
deutſchem Ohre hört und nicht Zeit hat in aller Eil auch noch
wendiſch zu lernen, tritt mit der nüchternſten Geſchäftsmiene da-
zwiſchen und verlangt deutſches Aufgebot und deutſche Tauf-
ſcheine.

Wer wollt’ ihm das Recht dazu beſtreiten?

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[5/0021] und die Halskrauſe von dem ſonſt Herkömmlichen abweichend erſchienen. Die Halskrauſe wird nicht allgemein getragen; wo ſie ſich findet, erinnert ſie lebhaft an die getollten Ringkragen auf alten Paſtorenbildern: ſteife Jabots, die dem, der ſie trägt, immer etwas von dem Anſehen eines kollernden Truthahns geben. All- gemein aber iſt der ſpreewäldleriſche Kopfputz, und ich verſuche ſeine Beſchreibung. Eine zugeſchrägte Papier- oder Papphülſe bildet das Geſtell, darüber legen ſich Tüll und Gaze, Kanten und Bänder, und ſtellen eine Art Spitzhaube her. Iſt die Trägerin eine Jung- frau, ſo ſchließt die Kopfbekleidung hiermit ab, iſt ſie dagegen verheirathet, ſo ſchlingt ſich noch ein Kopftuch um die Haube herum und verdeckt ſie, je nach Neigung, halb oder ganz. Dieſe Kopftücher ſind ebenſo von verſchiedenſter Farbe wie von ver- ſchiedenſtem Werth. Junge, reiche Frauen ſchienen ſchwarze Seide zu bevorzugen, während ſich ärmere und ältere mit krapprothem Zitz und ſelbſt mit ockerfarbenem Kattun begnügten. Die wendiſche Predigt entzieht ſich unſerer Controle, das Schluchzen aber, das laut wird, iſt wenigſtens ein Beweis für die gute Praxis des Geiſtlichen. Er ſteht zudem in der Liebe ſeiner Gemeinde, und wo dieſe Liebe waltet, iſt auch unſchwer das Wort gefunden, das eine Mutter die den Sohn, oder eine Wittwe die den Mann begrub, zu den ehrlichſten Thränen hinreißt. Und nun ſchweigt die Predigt, und eine kurze Pauſe tritt ein, während welcher der Geiſtliche langſam und ſorglich in ſeinen Papieren blättert. Endlich hat er beiſammen, was er braucht, und beginnt nun die Aufgebote, die Geburts- und Todesanzeigen zu leſen, alles in deutſcher Sprache. Bemerkenswerth genug. Die Predigt, die mehr dem Ideale dient, durfte noch wendiſch ſein; aber ſo wie ſich’s um ausſchließlich praktiſche Dinge zu handeln beginnt, ſowie feſtgeſtellt werden ſoll, was im Spreewalde lebt und ſtirbt, wer darin heirathet und getauft wird, ſo geht es mit dem Wendiſchen nicht länger. Der Staat, der blos mit deutſchem Ohre hört und nicht Zeit hat in aller Eil auch noch wendiſch zu lernen, tritt mit der nüchternſten Geſchäftsmiene da- zwiſchen und verlangt deutſches Aufgebot und deutſche Tauf- ſcheine. Wer wollt’ ihm das Recht dazu beſtreiten?

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/21>, abgerufen am 19.04.2024.