Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

ganz rathlos und unglücklich über dies immer erneute Anknüpfen
einer ganz unmöglichen Sache!

November 86. Alles bemächtigt sich dieser unglücklichen
Angelegenheit; so möchte man, um nur eins zu nennen, Julie
zum Schein verheirathen. Es ist schrecklich, wie Alles bemüht
ist, sie zu ihrem Verderben zu drängen. Sie thut mir furcht-
bar leid. -- Ich seh' es jetzt deutlich, sie liebt den König trotz
all ihres Läugnens; sie kann nicht mehr von ihm lassen und ist,
was auch geschehen mag, nicht mehr von ihm loszureißen. Es
grämt mich schrecklich. -- Heute kam er en surprise zum Essen.
Er verfolgt seinen Zweck ohne Rast und Ruh. -- Ich fürchte
den Einfluß dieser ewigen Gespräche des Königs mit ihr, er will
und will sie bestricken und immer setzt er sich an ihren Tisch.
Das mißfällt mir ganz unbeschreiblich von ihm. -- Meine arme
Nichte hat mir ihr Herz ausgeschüttet; ach, ich fürchte, es ist
eine unaufhaltsame Sache. -- Der König geht heute nach Pots-
dam. Er kam vorher zu uns und war unruhig, weil er Julie
nicht zu sehen bekam. Er liebt sie toller und leidenschaftlicher
als je.

Dezember 86. Nach Tisch sprach der König lange mit
meiner Nichte; ach, ich fürchte, es nimmt ein trauriges Ende
für sie und für die Ehre der Familie. -- Ich hab' es immer
und immer gesagt: man hätte sie nicht bei Hofe lassen sollen. --
Der König compromittirt sich aufs höchste. Um seiner selbst
willen möcht' ich, er könnt' ein Mann sein und sich besinnen.
-- Wie immer setzt der König sich beim Thee neben Julie;
könnte dies ewige Zusammensein doch abgewendet werden. --
Mit dem König in der Kirche. Die Predigt von Spalding war
so schön, so ganz wie für meine Nichte gemacht. Aber es scheint,
sie will nichts mehr hören, was sie zur Pflicht zurückruft. Ich
habe keinen Einfluß mehr auf sie. Die Kannenberg *) läßt sie
gewähren, die ihr am Nächsten steht, und ich habe leider nicht
das Recht und die Macht einzugreifen. -- Julie scheint sehr

*) Gräfin Kannenberg war die fungirende Oberhofmeisterin, während
Frau v. Voß, zu dieser Zeit wenigstens, nur in ihrer Eigenschaft als Ge-
mahlin des Oberhofmeisters par courtoisie diesen Titel führte.

ganz rathlos und unglücklich über dies immer erneute Anknüpfen
einer ganz unmöglichen Sache!

November 86. Alles bemächtigt ſich dieſer unglücklichen
Angelegenheit; ſo möchte man, um nur eins zu nennen, Julie
zum Schein verheirathen. Es iſt ſchrecklich, wie Alles bemüht
iſt, ſie zu ihrem Verderben zu drängen. Sie thut mir furcht-
bar leid. — Ich ſeh’ es jetzt deutlich, ſie liebt den König trotz
all ihres Läugnens; ſie kann nicht mehr von ihm laſſen und iſt,
was auch geſchehen mag, nicht mehr von ihm loszureißen. Es
grämt mich ſchrecklich. — Heute kam er en surprise zum Eſſen.
Er verfolgt ſeinen Zweck ohne Raſt und Ruh. — Ich fürchte
den Einfluß dieſer ewigen Geſpräche des Königs mit ihr, er will
und will ſie beſtricken und immer ſetzt er ſich an ihren Tiſch.
Das mißfällt mir ganz unbeſchreiblich von ihm. — Meine arme
Nichte hat mir ihr Herz ausgeſchüttet; ach, ich fürchte, es iſt
eine unaufhaltſame Sache. — Der König geht heute nach Pots-
dam. Er kam vorher zu uns und war unruhig, weil er Julie
nicht zu ſehen bekam. Er liebt ſie toller und leidenſchaftlicher
als je.

Dezember 86. Nach Tiſch ſprach der König lange mit
meiner Nichte; ach, ich fürchte, es nimmt ein trauriges Ende
für ſie und für die Ehre der Familie. — Ich hab’ es immer
und immer geſagt: man hätte ſie nicht bei Hofe laſſen ſollen. —
Der König compromittirt ſich aufs höchſte. Um ſeiner ſelbſt
willen möcht’ ich, er könnt’ ein Mann ſein und ſich beſinnen.
— Wie immer ſetzt der König ſich beim Thee neben Julie;
könnte dies ewige Zuſammenſein doch abgewendet werden. —
Mit dem König in der Kirche. Die Predigt von Spalding war
ſo ſchön, ſo ganz wie für meine Nichte gemacht. Aber es ſcheint,
ſie will nichts mehr hören, was ſie zur Pflicht zurückruft. Ich
habe keinen Einfluß mehr auf ſie. Die Kannenberg *) läßt ſie
gewähren, die ihr am Nächſten ſteht, und ich habe leider nicht
das Recht und die Macht einzugreifen. — Julie ſcheint ſehr

*) Gräfin Kannenberg war die fungirende Oberhofmeiſterin, während
Frau v. Voß, zu dieſer Zeit wenigſtens, nur in ihrer Eigenſchaft als Ge-
mahlin des Oberhofmeiſters par courtoisie dieſen Titel führte.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p>
                <pb facs="#f0196" n="180"/> <hi rendition="#et">ganz rathlos und unglücklich über dies immer erneute Anknüpfen<lb/>
einer ganz unmöglichen Sache!</hi> </p><lb/>
              <p> <hi rendition="#et"><hi rendition="#g">November</hi> 86. Alles bemächtigt &#x017F;ich die&#x017F;er unglücklichen<lb/>
Angelegenheit; &#x017F;o möchte man, um nur eins zu nennen, Julie<lb/>
zum Schein verheirathen. Es i&#x017F;t &#x017F;chrecklich, wie <hi rendition="#g">Alles</hi> bemüht<lb/>
i&#x017F;t, &#x017F;ie zu ihrem Verderben zu drängen. Sie thut mir furcht-<lb/>
bar leid. &#x2014; Ich &#x017F;eh&#x2019; es jetzt deutlich, &#x017F;ie liebt den König trotz<lb/>
all ihres Läugnens; &#x017F;ie kann nicht mehr von ihm la&#x017F;&#x017F;en und i&#x017F;t,<lb/>
was auch ge&#x017F;chehen mag, nicht mehr von ihm loszureißen. Es<lb/>
grämt mich &#x017F;chrecklich. &#x2014; Heute kam er <hi rendition="#aq">en surprise</hi> zum E&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Er verfolgt &#x017F;einen Zweck ohne Ra&#x017F;t und Ruh. &#x2014; Ich fürchte<lb/>
den Einfluß die&#x017F;er ewigen Ge&#x017F;präche des Königs mit ihr, er will<lb/>
und will &#x017F;ie be&#x017F;tricken und immer &#x017F;etzt er &#x017F;ich an ihren Ti&#x017F;ch.<lb/>
Das mißfällt mir ganz unbe&#x017F;chreiblich von ihm. &#x2014; Meine arme<lb/>
Nichte hat mir ihr Herz ausge&#x017F;chüttet; ach, ich fürchte, es i&#x017F;t<lb/>
eine unaufhalt&#x017F;ame Sache. &#x2014; Der König geht heute nach Pots-<lb/>
dam. Er kam vorher zu uns und war unruhig, weil er Julie<lb/>
nicht zu &#x017F;ehen bekam. Er liebt &#x017F;ie toller und leiden&#x017F;chaftlicher<lb/>
als je.</hi> </p><lb/>
              <p> <hi rendition="#et"><hi rendition="#g">Dezember</hi> 86. Nach Ti&#x017F;ch &#x017F;prach der König lange mit<lb/>
meiner Nichte; ach, ich fürchte, es nimmt ein trauriges Ende<lb/>
für &#x017F;ie und für die Ehre der Familie. &#x2014; Ich hab&#x2019; es immer<lb/>
und immer ge&#x017F;agt: man hätte &#x017F;ie nicht bei Hofe la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ollen. &#x2014;<lb/>
Der König compromittirt &#x017F;ich aufs höch&#x017F;te. Um &#x017F;einer &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
willen möcht&#x2019; ich, er könnt&#x2019; ein Mann &#x017F;ein und &#x017F;ich be&#x017F;innen.<lb/>
&#x2014; Wie immer &#x017F;etzt der König &#x017F;ich beim Thee neben Julie;<lb/>
könnte dies ewige Zu&#x017F;ammen&#x017F;ein doch abgewendet werden. &#x2014;<lb/>
Mit dem König in der Kirche. Die Predigt von Spalding war<lb/>
&#x017F;o &#x017F;chön, &#x017F;o ganz wie für meine Nichte gemacht. Aber es &#x017F;cheint,<lb/>
&#x017F;ie will nichts mehr hören, was &#x017F;ie zur Pflicht zurückruft. Ich<lb/>
habe keinen Einfluß mehr auf &#x017F;ie. Die Kannenberg <note place="foot" n="*)">Gräfin <hi rendition="#g">Kannenberg</hi> war die fungirende Oberhofmei&#x017F;terin, während<lb/>
Frau v. <hi rendition="#g">Voß</hi>, zu die&#x017F;er Zeit wenig&#x017F;tens, nur in ihrer Eigen&#x017F;chaft als Ge-<lb/>
mahlin des Oberhofmei&#x017F;ters <hi rendition="#aq">par courtoisie</hi> die&#x017F;en Titel führte.</note> läßt &#x017F;ie<lb/>
gewähren, die ihr am Näch&#x017F;ten &#x017F;teht, und ich habe leider nicht<lb/>
das Recht und die Macht einzugreifen. &#x2014; Julie &#x017F;cheint &#x017F;ehr<lb/></hi> </p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[180/0196] ganz rathlos und unglücklich über dies immer erneute Anknüpfen einer ganz unmöglichen Sache! November 86. Alles bemächtigt ſich dieſer unglücklichen Angelegenheit; ſo möchte man, um nur eins zu nennen, Julie zum Schein verheirathen. Es iſt ſchrecklich, wie Alles bemüht iſt, ſie zu ihrem Verderben zu drängen. Sie thut mir furcht- bar leid. — Ich ſeh’ es jetzt deutlich, ſie liebt den König trotz all ihres Läugnens; ſie kann nicht mehr von ihm laſſen und iſt, was auch geſchehen mag, nicht mehr von ihm loszureißen. Es grämt mich ſchrecklich. — Heute kam er en surprise zum Eſſen. Er verfolgt ſeinen Zweck ohne Raſt und Ruh. — Ich fürchte den Einfluß dieſer ewigen Geſpräche des Königs mit ihr, er will und will ſie beſtricken und immer ſetzt er ſich an ihren Tiſch. Das mißfällt mir ganz unbeſchreiblich von ihm. — Meine arme Nichte hat mir ihr Herz ausgeſchüttet; ach, ich fürchte, es iſt eine unaufhaltſame Sache. — Der König geht heute nach Pots- dam. Er kam vorher zu uns und war unruhig, weil er Julie nicht zu ſehen bekam. Er liebt ſie toller und leidenſchaftlicher als je. Dezember 86. Nach Tiſch ſprach der König lange mit meiner Nichte; ach, ich fürchte, es nimmt ein trauriges Ende für ſie und für die Ehre der Familie. — Ich hab’ es immer und immer geſagt: man hätte ſie nicht bei Hofe laſſen ſollen. — Der König compromittirt ſich aufs höchſte. Um ſeiner ſelbſt willen möcht’ ich, er könnt’ ein Mann ſein und ſich beſinnen. — Wie immer ſetzt der König ſich beim Thee neben Julie; könnte dies ewige Zuſammenſein doch abgewendet werden. — Mit dem König in der Kirche. Die Predigt von Spalding war ſo ſchön, ſo ganz wie für meine Nichte gemacht. Aber es ſcheint, ſie will nichts mehr hören, was ſie zur Pflicht zurückruft. Ich habe keinen Einfluß mehr auf ſie. Die Kannenberg *) läßt ſie gewähren, die ihr am Nächſten ſteht, und ich habe leider nicht das Recht und die Macht einzugreifen. — Julie ſcheint ſehr *) Gräfin Kannenberg war die fungirende Oberhofmeiſterin, während Frau v. Voß, zu dieſer Zeit wenigſtens, nur in ihrer Eigenſchaft als Ge- mahlin des Oberhofmeiſters par courtoisie dieſen Titel führte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/196
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/196>, abgerufen am 07.05.2024.