gebracht, andere deckten weiße Tücher darüber, Lichterchen wurden aufgestellt, und ehe viele Minuten um waren, saßen die Kleinen an ihren Tischen und ließen sich's schmecken. Frau von Beeren konnte die Züge der Einzelnen nicht unterscheiden, aber sie sah die lebhaften Bewegungen und erkannte deutlich, daß alle sehr heiter waren. Nach dem Essen wurde getanzt. Eine leise Musik, wie wenn Violinen im Traum gespielt würden, klang durch das ganze Zimmer. Als der Tanz vorüber war, ordneten sich alle wieder zu einem Zuge und erschienen abermals vor dem Bett der Wöchnerin und dankten für freundliche Aufnahme. Zu- gleich legten sie ein Angebinde nieder und baten die Mutter, des Geschenkes wohl Acht zu haben: die Familie werde blühen, so lange man das Geschenk in Ehren halte, werd' aber vergehen und verderben, sobald man es mißachte. Dann kehrten sie unter den Ofen zurück, die Lichterchen erloschen und alles war wieder dunkel und still.
Als Frau v. Beeren, unsicher ob sie gewacht oder geträumt habe, nach dem Angebinde sich umsah, lag es in aller Wirklichkeit auf der Wiege des Kindes. Es war eine kleine Bernsteinpuppe mit menschenähnlichem Kopf, etwa zwei Zoll lang und der untere Theil in einen Fischschwanz auslaufend. Dieses Püppchen, das Leute, die zu Anfang dieses Jahrhunderts lebten, noch gesehen haben wollen, führte den Namen "Allerhühnchen" (Alräunchen) und galt als Talisman der Familie. Es vererbte sich von Vater auf Sohn und wurde ängstlich bewahrt und gehütet. Geist von Beeren indessen kümmerte sich wenig um das wunderliche Fami- lien-Erbstück; war er doch kein Freund von Sagen und Geschichten, von Tand und Märchenschnack, und was seiner Seele so ziem- lich am meisten fehlte, war Pietät und der Sinn für das Ge- heimnißvolle.
Allerhühnchen hatte lang im Schrank gelegen, ohne daß seiner erwähnt worden wäre. Da führte das Weihnachtsfest eine lustige Gesellschaft bei Geist v. Beeren zusammen und der Zufall wollte, daß einer der Gäste vom "Allerhühnchen" sprach. "Was ist es damit?" hieß es von allen Seiten, und kaum daß die Frage ge- stellt worden war, so wurd' auch schon die Geschichte zum Besten gegeben und das Allerhühnchen herbeigeholt. Geist von Beeren
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gebracht, andere deckten weiße Tücher darüber, Lichterchen wurden aufgeſtellt, und ehe viele Minuten um waren, ſaßen die Kleinen an ihren Tiſchen und ließen ſich’s ſchmecken. Frau von Beeren konnte die Züge der Einzelnen nicht unterſcheiden, aber ſie ſah die lebhaften Bewegungen und erkannte deutlich, daß alle ſehr heiter waren. Nach dem Eſſen wurde getanzt. Eine leiſe Muſik, wie wenn Violinen im Traum geſpielt würden, klang durch das ganze Zimmer. Als der Tanz vorüber war, ordneten ſich alle wieder zu einem Zuge und erſchienen abermals vor dem Bett der Wöchnerin und dankten für freundliche Aufnahme. Zu- gleich legten ſie ein Angebinde nieder und baten die Mutter, des Geſchenkes wohl Acht zu haben: die Familie werde blühen, ſo lange man das Geſchenk in Ehren halte, werd’ aber vergehen und verderben, ſobald man es mißachte. Dann kehrten ſie unter den Ofen zurück, die Lichterchen erloſchen und alles war wieder dunkel und ſtill.
Als Frau v. Beeren, unſicher ob ſie gewacht oder geträumt habe, nach dem Angebinde ſich umſah, lag es in aller Wirklichkeit auf der Wiege des Kindes. Es war eine kleine Bernſteinpuppe mit menſchenähnlichem Kopf, etwa zwei Zoll lang und der untere Theil in einen Fiſchſchwanz auslaufend. Dieſes Püppchen, das Leute, die zu Anfang dieſes Jahrhunderts lebten, noch geſehen haben wollen, führte den Namen „Allerhühnchen“ (Alräunchen) und galt als Talisman der Familie. Es vererbte ſich von Vater auf Sohn und wurde ängſtlich bewahrt und gehütet. Geiſt von Beeren indeſſen kümmerte ſich wenig um das wunderliche Fami- lien-Erbſtück; war er doch kein Freund von Sagen und Geſchichten, von Tand und Märchenſchnack, und was ſeiner Seele ſo ziem- lich am meiſten fehlte, war Pietät und der Sinn für das Ge- heimnißvolle.
Allerhühnchen hatte lang im Schrank gelegen, ohne daß ſeiner erwähnt worden wäre. Da führte das Weihnachtsfeſt eine luſtige Geſellſchaft bei Geiſt v. Beeren zuſammen und der Zufall wollte, daß einer der Gäſte vom „Allerhühnchen“ ſprach. „Was iſt es damit?“ hieß es von allen Seiten, und kaum daß die Frage ge- ſtellt worden war, ſo wurd’ auch ſchon die Geſchichte zum Beſten gegeben und das Allerhühnchen herbeigeholt. Geiſt von Beeren
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gebracht, andere deckten weiße Tücher darüber, Lichterchen wurden
aufgeſtellt, und ehe viele Minuten um waren, ſaßen die Kleinen
an ihren Tiſchen und ließen ſich’s ſchmecken. Frau von Beeren
konnte die Züge der Einzelnen nicht unterſcheiden, aber ſie ſah
die lebhaften Bewegungen und erkannte deutlich, daß alle ſehr
heiter waren. Nach dem Eſſen wurde getanzt. Eine leiſe Muſik,
wie wenn Violinen im Traum geſpielt würden, klang durch das
ganze Zimmer. Als der Tanz vorüber war, ordneten ſich alle
wieder zu einem Zuge und erſchienen abermals vor dem Bett
der Wöchnerin und dankten für freundliche Aufnahme. Zu-
gleich legten ſie ein Angebinde nieder und baten die Mutter,
des Geſchenkes wohl Acht zu haben: die Familie werde blühen,
ſo lange man das Geſchenk in Ehren halte, werd’ aber vergehen
und verderben, ſobald man es mißachte. Dann kehrten ſie unter
den Ofen zurück, die Lichterchen erloſchen und alles war wieder
dunkel und ſtill.
Als Frau v. Beeren, unſicher ob ſie gewacht oder geträumt
habe, nach dem Angebinde ſich umſah, lag es in aller Wirklichkeit
auf der Wiege des Kindes. Es war eine kleine Bernſteinpuppe
mit menſchenähnlichem Kopf, etwa zwei Zoll lang und der untere
Theil in einen Fiſchſchwanz auslaufend. Dieſes Püppchen, das
Leute, die zu Anfang dieſes Jahrhunderts lebten, noch geſehen
haben wollen, führte den Namen „Allerhühnchen“ (Alräunchen)
und galt als Talisman der Familie. Es vererbte ſich von Vater
auf Sohn und wurde ängſtlich bewahrt und gehütet. Geiſt von
Beeren indeſſen kümmerte ſich wenig um das wunderliche Fami-
lien-Erbſtück; war er doch kein Freund von Sagen und Geſchichten,
von Tand und Märchenſchnack, und was ſeiner Seele ſo ziem-
lich am meiſten fehlte, war Pietät und der Sinn für das Ge-
heimnißvolle.
Allerhühnchen hatte lang im Schrank gelegen, ohne daß ſeiner
erwähnt worden wäre. Da führte das Weihnachtsfeſt eine luſtige
Geſellſchaft bei Geiſt v. Beeren zuſammen und der Zufall wollte,
daß einer der Gäſte vom „Allerhühnchen“ ſprach. „Was iſt es
damit?“ hieß es von allen Seiten, und kaum daß die Frage ge-
ſtellt worden war, ſo wurd’ auch ſchon die Geſchichte zum Beſten
gegeben und das Allerhühnchen herbeigeholt. Geiſt von Beeren
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der vierte Band "Spreeland. Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow" 1882 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/323>, abgerufen am 28.12.2024.
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