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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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gegen den Inhalt des vorigen Jahrhunderts unerachtet, die
Form und den Ton eben dieses Jahrhunderts (dem des unsrigen
so sehr überlegen) immer zu wahren und immer zu treffen
gewußt.

Und nun ihr meine Geliebtesten, ihr meine Landpastoren
und Vicars of Wakefield! Ach, auch euch lacht nicht eigentlich
die Sonne der Volksgunst, und wirklich, wer euch so zur Synode
ziehen sieht, angethan mit jenem Frack und jenem Blick, die zu
zeitigen unsrem norddeutschen Protestantismus innerhalb seiner
andren Aufgaben vorbehalten war, und wer euch dann sprechen
hört über den Zeitgeist, den ihr ändern möchtet und nicht ändern
könnt, und über die Juden, die bekehrt werden sollen und doch
am Ende nicht wollen -- der betet auch wohl wieder "bewahr uns
lieber Herre Gott."

Aber mit wie großem Unrechte! Der in die Residenz ver-
schlagene Landpastor ist eben ein sich selbst Entfremdeter, der
morgens vor seinem Spiegelbild erschrickt, und erst von dem
Augenblick an wo die Wichtigkeit und die weiße Binde wieder von
ihm abfällt und das schwarzsammtne Hauskäpselchen in sein Recht
tritt, erst von diesem Augenblick an ist er wieder er selbst und
kehrt zurück in den Urstand aller ihm eignenden guten Dinge.
Der ex cathedra sprechende Pastor und der Lehn- und Sorgenstuhl-
Pastor sind so grundverschieden wie roi Henri wenn er in die
Schlacht zieht und roi Henri wenn der Dauphin auf ihm reitet.
Der eine ganz Schwert und Rüstung, der andre ganz Idyll. Und nur
den letztren hab' ich kennen gelernt. Kennen und lieben, was ein
und dasselbe bedeutete. Denn auch hier wieder nahm ich das Gegen-

geschicklichkeit bezichtigt worden. Was alles ich nicht dankbar genug aner-
kennen kann. Aber freilich, wenn es mir einerseits glückte, mich vor einem
direkten in Ungnade-fallen zu schützen, so hat es mir doch andrerseits (einen
einzigen Fall abgerechnet) auch nie gelingen wollen, in eine direkte Gnade zu
kommen. Es war eben immer nur "a hair-breadth's escape". So wenigstens
glaub ich aus einem gewissen elegischen Ton schließen zu dürfen, in dem
diese Dinge, wenn das Kapitel schließlich vorlag, behandelt zu werden pflegten.
Es kann aber auch kaum anders sein, und berühmte Historiker, wie mir ver-
sichert worden ist, haben Schlimmeres erfahren müssen.

gegen den Inhalt des vorigen Jahrhunderts unerachtet, die
Form und den Ton eben dieſes Jahrhunderts (dem des unſrigen
ſo ſehr überlegen) immer zu wahren und immer zu treffen
gewußt.

Und nun ihr meine Geliebteſten, ihr meine Landpaſtoren
und Vicars of Wakefield! Ach, auch euch lacht nicht eigentlich
die Sonne der Volksgunſt, und wirklich, wer euch ſo zur Synode
ziehen ſieht, angethan mit jenem Frack und jenem Blick, die zu
zeitigen unſrem norddeutſchen Proteſtantismus innerhalb ſeiner
andren Aufgaben vorbehalten war, und wer euch dann ſprechen
hört über den Zeitgeiſt, den ihr ändern möchtet und nicht ändern
könnt, und über die Juden, die bekehrt werden ſollen und doch
am Ende nicht wollen — der betet auch wohl wieder „bewahr uns
lieber Herre Gott.“

Aber mit wie großem Unrechte! Der in die Reſidenz ver-
ſchlagene Landpaſtor iſt eben ein ſich ſelbſt Entfremdeter, der
morgens vor ſeinem Spiegelbild erſchrickt, und erſt von dem
Augenblick an wo die Wichtigkeit und die weiße Binde wieder von
ihm abfällt und das ſchwarzſammtne Hauskäpſelchen in ſein Recht
tritt, erſt von dieſem Augenblick an iſt er wieder er ſelbſt und
kehrt zurück in den Urſtand aller ihm eignenden guten Dinge.
Der ex cathedra ſprechende Paſtor und der Lehn- und Sorgenſtuhl-
Paſtor ſind ſo grundverſchieden wie roi Henri wenn er in die
Schlacht zieht und roi Henri wenn der Dauphin auf ihm reitet.
Der eine ganz Schwert und Rüſtung, der andre ganz Idyll. Und nur
den letztren hab’ ich kennen gelernt. Kennen und lieben, was ein
und daſſelbe bedeutete. Denn auch hier wieder nahm ich das Gegen-

geſchicklichkeit bezichtigt worden. Was alles ich nicht dankbar genug aner-
kennen kann. Aber freilich, wenn es mir einerſeits glückte, mich vor einem
direkten in Ungnade-fallen zu ſchützen, ſo hat es mir doch andrerſeits (einen
einzigen Fall abgerechnet) auch nie gelingen wollen, in eine direkte Gnade zu
kommen. Es war eben immer nur „a hair-breadth’s escape“. So wenigſtens
glaub ich aus einem gewiſſen elegiſchen Ton ſchließen zu dürfen, in dem
dieſe Dinge, wenn das Kapitel ſchließlich vorlag, behandelt zu werden pflegten.
Es kann aber auch kaum anders ſein, und berühmte Hiſtoriker, wie mir ver-
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[456/0472] gegen den Inhalt des vorigen Jahrhunderts unerachtet, die Form und den Ton eben dieſes Jahrhunderts (dem des unſrigen ſo ſehr überlegen) immer zu wahren und immer zu treffen gewußt. Und nun ihr meine Geliebteſten, ihr meine Landpaſtoren und Vicars of Wakefield! Ach, auch euch lacht nicht eigentlich die Sonne der Volksgunſt, und wirklich, wer euch ſo zur Synode ziehen ſieht, angethan mit jenem Frack und jenem Blick, die zu zeitigen unſrem norddeutſchen Proteſtantismus innerhalb ſeiner andren Aufgaben vorbehalten war, und wer euch dann ſprechen hört über den Zeitgeiſt, den ihr ändern möchtet und nicht ändern könnt, und über die Juden, die bekehrt werden ſollen und doch am Ende nicht wollen — der betet auch wohl wieder „bewahr uns lieber Herre Gott.“ Aber mit wie großem Unrechte! Der in die Reſidenz ver- ſchlagene Landpaſtor iſt eben ein ſich ſelbſt Entfremdeter, der morgens vor ſeinem Spiegelbild erſchrickt, und erſt von dem Augenblick an wo die Wichtigkeit und die weiße Binde wieder von ihm abfällt und das ſchwarzſammtne Hauskäpſelchen in ſein Recht tritt, erſt von dieſem Augenblick an iſt er wieder er ſelbſt und kehrt zurück in den Urſtand aller ihm eignenden guten Dinge. Der ex cathedra ſprechende Paſtor und der Lehn- und Sorgenſtuhl- Paſtor ſind ſo grundverſchieden wie roi Henri wenn er in die Schlacht zieht und roi Henri wenn der Dauphin auf ihm reitet. Der eine ganz Schwert und Rüſtung, der andre ganz Idyll. Und nur den letztren hab’ ich kennen gelernt. Kennen und lieben, was ein und daſſelbe bedeutete. Denn auch hier wieder nahm ich das Gegen- *) *) geſchicklichkeit bezichtigt worden. Was alles ich nicht dankbar genug aner- kennen kann. Aber freilich, wenn es mir einerſeits glückte, mich vor einem direkten in Ungnade-fallen zu ſchützen, ſo hat es mir doch andrerſeits (einen einzigen Fall abgerechnet) auch nie gelingen wollen, in eine direkte Gnade zu kommen. Es war eben immer nur „a hair-breadth’s escape“. So wenigſtens glaub ich aus einem gewiſſen elegiſchen Ton ſchließen zu dürfen, in dem dieſe Dinge, wenn das Kapitel ſchließlich vorlag, behandelt zu werden pflegten. Es kann aber auch kaum anders ſein, und berühmte Hiſtoriker, wie mir ver- ſichert worden iſt, haben Schlimmeres erfahren müſſen.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 456. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/472>, abgerufen am 27.11.2024.