Mein Begleiter und ich sahen einander an und eine kleine Pause trat ein. Der unumwundenen Erklärung "ich bin dieses oder jenes Mannes Knecht" begegnet man in Städten niemals und auf dem Lande nicht allzuhäufig. Man sucht sich ausweichend zu helfen, so gut es geht. "Ick bin bi Schulz' Borchardten sine Peerd," so oder ähnlich wird das Wort umgangen. Was uns aber in dem vorliegenden Falle noch ganz besonders frappirte, war das correcte Deutsch und der männliche und zugleich be- scheidene Freimuth, in dem die Antwort gegeben wurde. Diese so seltene Demuth und Wahrheitsliebe verfehlte nicht eines Eindrucks auf uns und wir freuten uns als unser neuer Bekannte darum bat, uns begleiten zu dürfen. Er war, wie sich bald ergab, aus der Provinz Sachsen, hatte in der Garde gedient und war dann sechs oder sieben Jahre lang der Diener in einem altlutherischen Hause und der Pfleger eines einzigen gichtbrüchigen Sohnes gewesen. So war denn vieles erklärt. Was ihn aus der großen Stadt in dies abgelegene Dorf geführt, erfuhren wir nicht.
Erst über ein breites Brachfeld hin und bald danach einen Wald- weg hinauf, erreichten wir die Kuppe des unser nächstes Ziel bildenden Kapellenberges und betraten den alten Bau, der seinerzeit diesem Berge den Namen gegeben. Zwei Wände sind eingestürzt, zwei stehen noch, so daß es auch für den Laien ein Leichtes ist, sich alles wieder in Vollständigkeit vorzustellen. Es war eine gothische Kapelle, zehn Schritt im Quadrat, nach allen vier Seiten hin offen, genau nach Art jener Baldachine, denen man in alten Domen so oft über dem Altar begegnet.
Ob dieser Bau vordem ein Wallfahrtsort war, ist schwerlich noch mit Sicherheit festzustellen, aber das scheint mir gewiß, daß er kirchlichen Zwecken und nur solchen diente. Die Consol- Nische, darauf das Muttergottesbild stand, ist noch wohl erhalten und so muß es denn einigermaßen überraschen, in selbst guten Büchern auf folgende Versicherungen zu stoßen: "Es verräth nichts hier, daß das Gebäude jemals kirchlichen Zwecken gedient haben könne. Der Zweck desselben war ein militärischer; es war eine Burgwarte. Das Gemäuer zeugt von hohem Alterthum, und
„Nein. Ich bin ſein Knecht.“
Mein Begleiter und ich ſahen einander an und eine kleine Pauſe trat ein. Der unumwundenen Erklärung „ich bin dieſes oder jenes Mannes Knecht“ begegnet man in Städten niemals und auf dem Lande nicht allzuhäufig. Man ſucht ſich ausweichend zu helfen, ſo gut es geht. „Ick bin bi Schulz’ Borchardten ſine Peerd,“ ſo oder ähnlich wird das Wort umgangen. Was uns aber in dem vorliegenden Falle noch ganz beſonders frappirte, war das correcte Deutſch und der männliche und zugleich be- ſcheidene Freimuth, in dem die Antwort gegeben wurde. Dieſe ſo ſeltene Demuth und Wahrheitsliebe verfehlte nicht eines Eindrucks auf uns und wir freuten uns als unſer neuer Bekannte darum bat, uns begleiten zu dürfen. Er war, wie ſich bald ergab, aus der Provinz Sachſen, hatte in der Garde gedient und war dann ſechs oder ſieben Jahre lang der Diener in einem altlutheriſchen Hauſe und der Pfleger eines einzigen gichtbrüchigen Sohnes geweſen. So war denn vieles erklärt. Was ihn aus der großen Stadt in dies abgelegene Dorf geführt, erfuhren wir nicht.
Erſt über ein breites Brachfeld hin und bald danach einen Wald- weg hinauf, erreichten wir die Kuppe des unſer nächſtes Ziel bildenden Kapellenberges und betraten den alten Bau, der ſeinerzeit dieſem Berge den Namen gegeben. Zwei Wände ſind eingeſtürzt, zwei ſtehen noch, ſo daß es auch für den Laien ein Leichtes iſt, ſich alles wieder in Vollſtändigkeit vorzuſtellen. Es war eine gothiſche Kapelle, zehn Schritt im Quadrat, nach allen vier Seiten hin offen, genau nach Art jener Baldachine, denen man in alten Domen ſo oft über dem Altar begegnet.
Ob dieſer Bau vordem ein Wallfahrtsort war, iſt ſchwerlich noch mit Sicherheit feſtzuſtellen, aber das ſcheint mir gewiß, daß er kirchlichen Zwecken und nur ſolchen diente. Die Conſol- Niſche, darauf das Muttergottesbild ſtand, iſt noch wohl erhalten und ſo muß es denn einigermaßen überraſchen, in ſelbſt guten Büchern auf folgende Verſicherungen zu ſtoßen: „Es verräth nichts hier, daß das Gebäude jemals kirchlichen Zwecken gedient haben könne. Der Zweck deſſelben war ein militäriſcher; es war eine Burgwarte. Das Gemäuer zeugt von hohem Alterthum, und
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„Nein. Ich bin ſein Knecht.“
Mein Begleiter und ich ſahen einander an und eine kleine
Pauſe trat ein. Der unumwundenen Erklärung „ich bin dieſes
oder jenes Mannes Knecht“ begegnet man in Städten niemals
und auf dem Lande nicht allzuhäufig. Man ſucht ſich ausweichend
zu helfen, ſo gut es geht. „Ick bin bi Schulz’ Borchardten ſine
Peerd,“ ſo oder ähnlich wird das Wort umgangen. Was uns
aber in dem vorliegenden Falle noch ganz beſonders frappirte,
war das correcte Deutſch und der männliche und zugleich be-
ſcheidene Freimuth, in dem die Antwort gegeben wurde. Dieſe ſo
ſeltene Demuth und Wahrheitsliebe verfehlte nicht eines Eindrucks
auf uns und wir freuten uns als unſer neuer Bekannte darum
bat, uns begleiten zu dürfen. Er war, wie ſich bald ergab, aus
der Provinz Sachſen, hatte in der Garde gedient und war dann
ſechs oder ſieben Jahre lang der Diener in einem altlutheriſchen
Hauſe und der Pfleger eines einzigen gichtbrüchigen Sohnes geweſen.
So war denn vieles erklärt. Was ihn aus der großen Stadt in
dies abgelegene Dorf geführt, erfuhren wir nicht.
Erſt über ein breites Brachfeld hin und bald danach einen Wald-
weg hinauf, erreichten wir die Kuppe des unſer nächſtes Ziel
bildenden Kapellenberges und betraten den alten Bau, der
ſeinerzeit dieſem Berge den Namen gegeben. Zwei Wände ſind
eingeſtürzt, zwei ſtehen noch, ſo daß es auch für den Laien
ein Leichtes iſt, ſich alles wieder in Vollſtändigkeit vorzuſtellen.
Es war eine gothiſche Kapelle, zehn Schritt im Quadrat, nach
allen vier Seiten hin offen, genau nach Art jener Baldachine,
denen man in alten Domen ſo oft über dem Altar begegnet.
Ob dieſer Bau vordem ein Wallfahrtsort war, iſt ſchwerlich
noch mit Sicherheit feſtzuſtellen, aber das ſcheint mir gewiß, daß
er kirchlichen Zwecken und nur ſolchen diente. Die Conſol-
Niſche, darauf das Muttergottesbild ſtand, iſt noch wohl erhalten
und ſo muß es denn einigermaßen überraſchen, in ſelbſt guten Büchern
auf folgende Verſicherungen zu ſtoßen: „Es verräth nichts hier,
daß das Gebäude jemals kirchlichen Zwecken gedient haben
könne. Der Zweck deſſelben war ein militäriſcher; es war eine
Burgwarte. Das Gemäuer zeugt von hohem Alterthum, und
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der vierte Band "Spreeland. Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow" 1882 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/441>, abgerufen am 24.11.2024.
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