Nun, er wurde gewählt. Aber nicht ohne Zwischenfälle. Es muß wahr sein, nie habe ich solche Vertilgung von Grog und Glühwein gesehen. In solchem Moment höchster Hitze sprang der Oberprediger aus Cremmen, ein scharfer Liberaler, auf die Tribüne und schrie: "Was wollt Ihr jungen Most in alte Schläuche fassen; weg mit Patow, ich stelle mich zur Wahl." Sein Anhang (kein Drittel) rief Bravo; aber ein Pächter aus Pressentin, der schon völlig unter Grog stand, schrie in die Versammlung hinein: "'runter mit ihm, hinein in's Feuer." Allgemeines Gelächter; der Oberprediger indeß, der klugerweise nicht abwarten wollte, wie viel hier Ernst oder Spaß war (denn einige faßten bereits zu) rettete sich durch einen Sprung und verschwand im Unterholze des Brieselang. Er hat den Tag nicht vergessen können.
So ging das Gespräch.
Es war inzwischen heiß geworden, so heiß, daß unsere Phantasie mit einem gewissen Neid an dem Winterbilde hing, das unser Führer eben vor uns entrollt hatte und schon däm- merte die Frage herauf, ob nicht ein flüchtiges "Ausspannen", eine Lagerung an schattiger Stelle gestattet sei, als wir deutlich eine Art Janitscharenmusik vernahmen belebende Klänge, die, immer lauter werdend, unsern Füßen ihre Elasticität wieder gaben. Wir waren am Ziel, wenigstens an einem vorläufigen. Der Finkenkrug blitzte durch's Gezweig, und in guter Haltung rückten wir auf einen kastanienumschatteten Platz, zu dem sich der Waldweg hier verbreitert. Eine Alternative, vor die wir uns plötzlich und gegen Erwarten gestellt sahen, gebot uns mitten im Wege halt zu machen. Der Finkenkrug umfaßt nämlich eine Doppelwirthschaft: links ist Kaffee und Kegelbahn, rechts ist Bier und Büchsenstand; dies hielt sich die Wage; aber was zuletzt unserem Schwanken ein Ende machte, war, daß nach rechts hin, wo das verlockende Seidel blühte, zugleich die minder verlockende Janitscharenmusik ihren Platz genommen hatte, die, in die Waldesferne hinein unbedingt segensreich wirkend, in nächster Nähe ihr entschieden Bedenkliches hatte.
Nun, er wurde gewählt. Aber nicht ohne Zwiſchenfälle. Es muß wahr ſein, nie habe ich ſolche Vertilgung von Grog und Glühwein geſehen. In ſolchem Moment höchſter Hitze ſprang der Oberprediger aus Cremmen, ein ſcharfer Liberaler, auf die Tribüne und ſchrie: „Was wollt Ihr jungen Moſt in alte Schläuche faſſen; weg mit Patow, ich ſtelle mich zur Wahl.“ Sein Anhang (kein Drittel) rief Bravo; aber ein Pächter aus Preſſentin, der ſchon völlig unter Grog ſtand, ſchrie in die Verſammlung hinein: „’runter mit ihm, hinein in’s Feuer.“ Allgemeines Gelächter; der Oberprediger indeß, der klugerweiſe nicht abwarten wollte, wie viel hier Ernſt oder Spaß war (denn einige faßten bereits zu) rettete ſich durch einen Sprung und verſchwand im Unterholze des Brieſelang. Er hat den Tag nicht vergeſſen können.
So ging das Geſpräch.
Es war inzwiſchen heiß geworden, ſo heiß, daß unſere Phantaſie mit einem gewiſſen Neid an dem Winterbilde hing, das unſer Führer eben vor uns entrollt hatte und ſchon däm- merte die Frage herauf, ob nicht ein flüchtiges „Ausſpannen“, eine Lagerung an ſchattiger Stelle geſtattet ſei, als wir deutlich eine Art Janitſcharenmuſik vernahmen belebende Klänge, die, immer lauter werdend, unſern Füßen ihre Elaſticität wieder gaben. Wir waren am Ziel, wenigſtens an einem vorläufigen. Der Finkenkrug blitzte durch’s Gezweig, und in guter Haltung rückten wir auf einen kaſtanienumſchatteten Platz, zu dem ſich der Waldweg hier verbreitert. Eine Alternative, vor die wir uns plötzlich und gegen Erwarten geſtellt ſahen, gebot uns mitten im Wege halt zu machen. Der Finkenkrug umfaßt nämlich eine Doppelwirthſchaft: links iſt Kaffee und Kegelbahn, rechts iſt Bier und Büchſenſtand; dies hielt ſich die Wage; aber was zuletzt unſerem Schwanken ein Ende machte, war, daß nach rechts hin, wo das verlockende Seidel blühte, zugleich die minder verlockende Janitſcharenmuſik ihren Platz genommen hatte, die, in die Waldesferne hinein unbedingt ſegensreich wirkend, in nächſter Nähe ihr entſchieden Bedenkliches hatte.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0057"n="39"/><p>Nun, er <hirendition="#g">wurde</hi> gewählt. Aber nicht ohne Zwiſchenfälle.<lb/>
Es muß wahr ſein, nie habe ich ſolche Vertilgung von Grog<lb/>
und Glühwein geſehen. In ſolchem Moment höchſter Hitze<lb/>ſprang der Oberprediger aus Cremmen, ein ſcharfer Liberaler,<lb/>
auf die Tribüne und ſchrie: „Was wollt Ihr jungen Moſt in<lb/>
alte Schläuche faſſen; weg mit Patow, <hirendition="#g">ich</hi>ſtelle mich zur<lb/>
Wahl.“ Sein Anhang (kein Drittel) rief Bravo; aber ein<lb/>
Pächter aus Preſſentin, der ſchon völlig unter Grog ſtand,<lb/>ſchrie in die Verſammlung hinein: „’runter mit ihm, hinein<lb/>
in’s Feuer.“ Allgemeines Gelächter; der Oberprediger indeß,<lb/>
der klugerweiſe nicht abwarten wollte, wie viel hier Ernſt oder<lb/>
Spaß war (denn einige faßten bereits zu) rettete ſich durch<lb/>
einen Sprung und verſchwand im Unterholze des Brieſelang.<lb/>
Er hat den Tag nicht vergeſſen können.</p><lb/><p>So ging das Geſpräch.</p><lb/><p>Es war inzwiſchen heiß geworden, ſo heiß, daß unſere<lb/>
Phantaſie mit einem gewiſſen Neid an dem Winterbilde hing,<lb/>
das unſer Führer eben vor uns entrollt hatte und ſchon däm-<lb/>
merte die Frage herauf, ob nicht ein flüchtiges „Ausſpannen“,<lb/>
eine Lagerung an ſchattiger Stelle geſtattet ſei, als wir deutlich<lb/>
eine Art Janitſcharenmuſik vernahmen belebende Klänge, die,<lb/>
immer lauter werdend, unſern Füßen ihre Elaſticität wieder<lb/>
gaben. Wir waren am Ziel, wenigſtens an einem vorläufigen.<lb/>
Der Finkenkrug blitzte durch’s Gezweig, und in guter Haltung<lb/>
rückten wir auf einen kaſtanienumſchatteten Platz, zu dem ſich<lb/>
der Waldweg hier verbreitert. Eine Alternative, vor die wir<lb/>
uns plötzlich und gegen Erwarten geſtellt ſahen, gebot uns<lb/>
mitten im Wege halt zu machen. Der Finkenkrug umfaßt<lb/>
nämlich eine Doppelwirthſchaft: <hirendition="#g">links</hi> iſt Kaffee und Kegelbahn,<lb/><hirendition="#g">rechts</hi> iſt Bier und Büchſenſtand; dies hielt ſich die Wage;<lb/>
aber was zuletzt unſerem Schwanken ein Ende machte, war,<lb/>
daß nach rechts hin, wo das verlockende Seidel blühte, zugleich<lb/>
die minder verlockende Janitſcharenmuſik ihren Platz genommen<lb/>
hatte, die, in die Waldesferne hinein unbedingt ſegensreich<lb/>
wirkend, in nächſter Nähe ihr entſchieden Bedenkliches hatte.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[39/0057]
Nun, er wurde gewählt. Aber nicht ohne Zwiſchenfälle.
Es muß wahr ſein, nie habe ich ſolche Vertilgung von Grog
und Glühwein geſehen. In ſolchem Moment höchſter Hitze
ſprang der Oberprediger aus Cremmen, ein ſcharfer Liberaler,
auf die Tribüne und ſchrie: „Was wollt Ihr jungen Moſt in
alte Schläuche faſſen; weg mit Patow, ich ſtelle mich zur
Wahl.“ Sein Anhang (kein Drittel) rief Bravo; aber ein
Pächter aus Preſſentin, der ſchon völlig unter Grog ſtand,
ſchrie in die Verſammlung hinein: „’runter mit ihm, hinein
in’s Feuer.“ Allgemeines Gelächter; der Oberprediger indeß,
der klugerweiſe nicht abwarten wollte, wie viel hier Ernſt oder
Spaß war (denn einige faßten bereits zu) rettete ſich durch
einen Sprung und verſchwand im Unterholze des Brieſelang.
Er hat den Tag nicht vergeſſen können.
So ging das Geſpräch.
Es war inzwiſchen heiß geworden, ſo heiß, daß unſere
Phantaſie mit einem gewiſſen Neid an dem Winterbilde hing,
das unſer Führer eben vor uns entrollt hatte und ſchon däm-
merte die Frage herauf, ob nicht ein flüchtiges „Ausſpannen“,
eine Lagerung an ſchattiger Stelle geſtattet ſei, als wir deutlich
eine Art Janitſcharenmuſik vernahmen belebende Klänge, die,
immer lauter werdend, unſern Füßen ihre Elaſticität wieder
gaben. Wir waren am Ziel, wenigſtens an einem vorläufigen.
Der Finkenkrug blitzte durch’s Gezweig, und in guter Haltung
rückten wir auf einen kaſtanienumſchatteten Platz, zu dem ſich
der Waldweg hier verbreitert. Eine Alternative, vor die wir
uns plötzlich und gegen Erwarten geſtellt ſahen, gebot uns
mitten im Wege halt zu machen. Der Finkenkrug umfaßt
nämlich eine Doppelwirthſchaft: links iſt Kaffee und Kegelbahn,
rechts iſt Bier und Büchſenſtand; dies hielt ſich die Wage;
aber was zuletzt unſerem Schwanken ein Ende machte, war,
daß nach rechts hin, wo das verlockende Seidel blühte, zugleich
die minder verlockende Janitſcharenmuſik ihren Platz genommen
hatte, die, in die Waldesferne hinein unbedingt ſegensreich
wirkend, in nächſter Nähe ihr entſchieden Bedenkliches hatte.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/57>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.