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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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als ein jüdisches Ghetto, aber dem "Zuzug" gegenüber kamen
die alten, alles nach Zunft und Race sondernden städtischen
Traditionen wenig oder gar nicht in Betracht, und die "kleinen
Leute" thaten sich zusammen, unbekümmert um die Frage: wen-
disch oder deutsch. So lagen die Dinge in der Mittelmark,
d. h. also in Teltow und Barnim, im Ruppin'schen, in Bes-
kow-Storkow, in der Westhälfte von Lebus, überhaupt in
allen Landestheilen, in denen sich Deutschthum und Wenden-
thum einigermaßen die Wage hielten. Anders freilich war es
in West und Ost. Je mehr nach der Elbe zu, je exclusiver
hielt sich das Deutschthum, weil es ihm leicht gemacht war, sich
aus seinen Stammesgenossen jenseits der Elbe zu rekrutiren;
umgekehrt, je näher der Oder und den eigentlichen slavischen
Landen zu, je länger blieb das Wendenthum in Kraft. Jetzt
indessen, wenige Stätten abgerechnet, ist es, in Wirklichkeit,
im Leben unsres Volks verschwunden. Es lebt noch fort in
der Mehrzahl unserer Städte- und Dorfnamen, in dunklen
Erinnerungen, daß in einzelnen, den Namen eines Wenden-
gottes bis heute festhaltenden Lokalitäten (in Jüterbog, in
Jütergotz) ein Tempel stand, vor allem in den Heidengräbern
und Wendenkirchhöfen, die sich allerorten in der Mark ver-
breitet finden.

Aber es ist charakteristisch, daß eben das Einzige, was
aus der alten Wendenwelt noch zu uns spricht, ein Begra-
benes
ist. Alles geistig Lebendige ist hinüber; selbst der Aber-
glaube und die in ihm wurzelnden Sitten, Gebräuche und
Volksweisen, die wohl dann und wann für wendische Ueberreste
gehalten worden sind, lassen sich vielfach (und die neuste Wissen-
schaft hat es mit Erfolg versucht) auf etwas Urgermanisches
zurückführen, das, auch vor den Wenden schon, hier heimisch
war. Mit Sicherheit lebt noch Alt-Deutsches in den Gemü-
thern, und das Volk erzählt von Wodan und Fricke (Freia)
und dem Hackelberger Jäger; aber Radegast und Czernebog
sind todt
. Das Wendische ist weggewischt, untergegangen
in dem Stärkern, in dem germanischen Leben und Gemüth,

Fontane, Wanderungen. III. 3

als ein jüdiſches Ghetto, aber dem „Zuzug“ gegenüber kamen
die alten, alles nach Zunft und Race ſondernden ſtädtiſchen
Traditionen wenig oder gar nicht in Betracht, und die „kleinen
Leute“ thaten ſich zuſammen, unbekümmert um die Frage: wen-
diſch oder deutſch. So lagen die Dinge in der Mittelmark,
d. h. alſo in Teltow und Barnim, im Ruppin’ſchen, in Bes-
kow-Storkow, in der Weſthälfte von Lebus, überhaupt in
allen Landestheilen, in denen ſich Deutſchthum und Wenden-
thum einigermaßen die Wage hielten. Anders freilich war es
in Weſt und Oſt. Je mehr nach der Elbe zu, je excluſiver
hielt ſich das Deutſchthum, weil es ihm leicht gemacht war, ſich
aus ſeinen Stammesgenoſſen jenſeits der Elbe zu rekrutiren;
umgekehrt, je näher der Oder und den eigentlichen ſlaviſchen
Landen zu, je länger blieb das Wendenthum in Kraft. Jetzt
indeſſen, wenige Stätten abgerechnet, iſt es, in Wirklichkeit,
im Leben unſres Volks verſchwunden. Es lebt noch fort in
der Mehrzahl unſerer Städte- und Dorfnamen, in dunklen
Erinnerungen, daß in einzelnen, den Namen eines Wenden-
gottes bis heute feſthaltenden Lokalitäten (in Jüterbog, in
Jütergotz) ein Tempel ſtand, vor allem in den Heidengräbern
und Wendenkirchhöfen, die ſich allerorten in der Mark ver-
breitet finden.

Aber es iſt charakteriſtiſch, daß eben das Einzige, was
aus der alten Wendenwelt noch zu uns ſpricht, ein Begra-
benes
iſt. Alles geiſtig Lebendige iſt hinüber; ſelbſt der Aber-
glaube und die in ihm wurzelnden Sitten, Gebräuche und
Volksweiſen, die wohl dann und wann für wendiſche Ueberreſte
gehalten worden ſind, laſſen ſich vielfach (und die neuſte Wiſſen-
ſchaft hat es mit Erfolg verſucht) auf etwas Urgermaniſches
zurückführen, das, auch vor den Wenden ſchon, hier heimiſch
war. Mit Sicherheit lebt noch Alt-Deutſches in den Gemü-
thern, und das Volk erzählt von Wodan und Fricke (Freia)
und dem Hackelberger Jäger; aber Radegaſt und Czernebog
ſind todt
. Das Wendiſche iſt weggewiſcht, untergegangen
in dem Stärkern, in dem germaniſchen Leben und Gemüth,

Fontane, Wanderungen. III. 3
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[33/0051] als ein jüdiſches Ghetto, aber dem „Zuzug“ gegenüber kamen die alten, alles nach Zunft und Race ſondernden ſtädtiſchen Traditionen wenig oder gar nicht in Betracht, und die „kleinen Leute“ thaten ſich zuſammen, unbekümmert um die Frage: wen- diſch oder deutſch. So lagen die Dinge in der Mittelmark, d. h. alſo in Teltow und Barnim, im Ruppin’ſchen, in Bes- kow-Storkow, in der Weſthälfte von Lebus, überhaupt in allen Landestheilen, in denen ſich Deutſchthum und Wenden- thum einigermaßen die Wage hielten. Anders freilich war es in Weſt und Oſt. Je mehr nach der Elbe zu, je excluſiver hielt ſich das Deutſchthum, weil es ihm leicht gemacht war, ſich aus ſeinen Stammesgenoſſen jenſeits der Elbe zu rekrutiren; umgekehrt, je näher der Oder und den eigentlichen ſlaviſchen Landen zu, je länger blieb das Wendenthum in Kraft. Jetzt indeſſen, wenige Stätten abgerechnet, iſt es, in Wirklichkeit, im Leben unſres Volks verſchwunden. Es lebt noch fort in der Mehrzahl unſerer Städte- und Dorfnamen, in dunklen Erinnerungen, daß in einzelnen, den Namen eines Wenden- gottes bis heute feſthaltenden Lokalitäten (in Jüterbog, in Jütergotz) ein Tempel ſtand, vor allem in den Heidengräbern und Wendenkirchhöfen, die ſich allerorten in der Mark ver- breitet finden. Aber es iſt charakteriſtiſch, daß eben das Einzige, was aus der alten Wendenwelt noch zu uns ſpricht, ein Begra- benes iſt. Alles geiſtig Lebendige iſt hinüber; ſelbſt der Aber- glaube und die in ihm wurzelnden Sitten, Gebräuche und Volksweiſen, die wohl dann und wann für wendiſche Ueberreſte gehalten worden ſind, laſſen ſich vielfach (und die neuſte Wiſſen- ſchaft hat es mit Erfolg verſucht) auf etwas Urgermaniſches zurückführen, das, auch vor den Wenden ſchon, hier heimiſch war. Mit Sicherheit lebt noch Alt-Deutſches in den Gemü- thern, und das Volk erzählt von Wodan und Fricke (Freia) und dem Hackelberger Jäger; aber Radegaſt und Czernebog ſind todt. Das Wendiſche iſt weggewiſcht, untergegangen in dem Stärkern, in dem germaniſchen Leben und Gemüth, Fontane, Wanderungen. III. 3

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/51>, abgerufen am 03.05.2024.