Glaubensfreudigkeit: "Wenn Du sonst keinen anderen Kummer hast, als diesen!" Dann lag er still. Abends aber redete er viel, jedoch so leise, daß man nur einzelne Liedesworte ver- stehen konnte. Um die sechste Stunde war er todt. Er war sanft eingeschlafen.
Das Waisenhaus verlor viel und der Jammer der eben zum Confirmanden-Unterricht versammelten Kinder erfüllte das Pfarrhaus. In allen Häusern der Stadt war Wehklagen. Am 22. December hielt ihm sein Herzensfreund, David Gottlieb Seidel, die Leichenpredigt und sprach "von der gegründeten Hoffnung eines Lehrers, der einen lautern Sinn beweiset, wenn er auch über Macht beschweret ist."
"Über Macht" war Woltersdorf beschweret gewesen; nun war er frei. Seine Hoffnung erfüllte sich. Für seine Wittwe und seine sechs Kinder sorgte der Herr, indem er Seelen erweckte, die sich ihrer Dürftigkeit annahmen. So wurde seine Zuversicht erfüllet, die er oft aussprach, wenn er sein letztes Stück Brot mit den Armen theilte.
So starb Woltersdorf, erst 36 Jahr alt. Er hatte ein äußerlich armes, innerlich desto reicheres Leben geführt. Wie in vielem war er auch in der Stille und Anspruchslosigkeit seines Lebensganges, in dem Fehlen alles dessen, was man als romantisch-frappant bezeichnen kann, den Herrenhutern verwandt. Er selber protestirt zwar gegen diese Gemeinschaft: "allen Dingen, die in Lehre und Leben dem Worte Gottes zuwider sind, bin ich von Herzen feind, weshalb ich den Plan der herrnhutischen Gemeine, wie er jetzt ist, nimmermehr werde billigen können," aber trotz dieses Protestes, der gewiß aufrichtig gemeint und wohlbegründet ist, ist doch unverkenn- bar, daß seine Dichtung unter Zinzendorfschem Einfluß her- angewachsen ist. Er gebraucht wie dieser die starksinnlichen Reden von Turteltauben und Nachtigallen, von dem süßen Blut des Erlösers und von der Herrlichkeit seiner Blut- rubinen. Er vertheidigt auch diese Ausdrucksweise: "Die Herzen sollen durch die Sinne bewegt werden, und nur das
Glaubensfreudigkeit: „Wenn Du ſonſt keinen anderen Kummer haſt, als dieſen!“ Dann lag er ſtill. Abends aber redete er viel, jedoch ſo leiſe, daß man nur einzelne Liedesworte ver- ſtehen konnte. Um die ſechste Stunde war er todt. Er war ſanft eingeſchlafen.
Das Waiſenhaus verlor viel und der Jammer der eben zum Confirmanden-Unterricht verſammelten Kinder erfüllte das Pfarrhaus. In allen Häuſern der Stadt war Wehklagen. Am 22. December hielt ihm ſein Herzensfreund, David Gottlieb Seidel, die Leichenpredigt und ſprach „von der gegründeten Hoffnung eines Lehrers, der einen lautern Sinn beweiſet, wenn er auch über Macht beſchweret iſt.“
„Über Macht“ war Woltersdorf beſchweret geweſen; nun war er frei. Seine Hoffnung erfüllte ſich. Für ſeine Wittwe und ſeine ſechs Kinder ſorgte der Herr, indem er Seelen erweckte, die ſich ihrer Dürftigkeit annahmen. So wurde ſeine Zuverſicht erfüllet, die er oft ausſprach, wenn er ſein letztes Stück Brot mit den Armen theilte.
So ſtarb Woltersdorf, erſt 36 Jahr alt. Er hatte ein äußerlich armes, innerlich deſto reicheres Leben geführt. Wie in vielem war er auch in der Stille und Anſpruchsloſigkeit ſeines Lebensganges, in dem Fehlen alles deſſen, was man als romantiſch-frappant bezeichnen kann, den Herrenhutern verwandt. Er ſelber proteſtirt zwar gegen dieſe Gemeinſchaft: „allen Dingen, die in Lehre und Leben dem Worte Gottes zuwider ſind, bin ich von Herzen feind, weshalb ich den Plan der herrnhutiſchen Gemeine, wie er jetzt iſt, nimmermehr werde billigen können,“ aber trotz dieſes Proteſtes, der gewiß aufrichtig gemeint und wohlbegründet iſt, iſt doch unverkenn- bar, daß ſeine Dichtung unter Zinzendorfſchem Einfluß her- angewachſen iſt. Er gebraucht wie dieſer die ſtarkſinnlichen Reden von Turteltauben und Nachtigallen, von dem ſüßen Blut des Erlöſers und von der Herrlichkeit ſeiner Blut- rubinen. Er vertheidigt auch dieſe Ausdrucksweiſe: „Die Herzen ſollen durch die Sinne bewegt werden, und nur das
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Glaubensfreudigkeit: „Wenn Du ſonſt keinen anderen Kummer
haſt, als dieſen!“ Dann lag er ſtill. Abends aber redete er
viel, jedoch ſo leiſe, daß man nur einzelne Liedesworte ver-
ſtehen konnte. Um die ſechste Stunde war er todt. Er war
ſanft eingeſchlafen.
Das Waiſenhaus verlor viel und der Jammer der eben
zum Confirmanden-Unterricht verſammelten Kinder erfüllte das
Pfarrhaus. In allen Häuſern der Stadt war Wehklagen. Am
22. December hielt ihm ſein Herzensfreund, David Gottlieb
Seidel, die Leichenpredigt und ſprach „von der gegründeten
Hoffnung eines Lehrers, der einen lautern Sinn beweiſet,
wenn er auch über Macht beſchweret iſt.“
„Über Macht“ war Woltersdorf beſchweret geweſen; nun
war er frei. Seine Hoffnung erfüllte ſich. Für ſeine Wittwe
und ſeine ſechs Kinder ſorgte der Herr, indem er Seelen
erweckte, die ſich ihrer Dürftigkeit annahmen. So wurde ſeine
Zuverſicht erfüllet, die er oft ausſprach, wenn er ſein
letztes Stück Brot mit den Armen theilte.
So ſtarb Woltersdorf, erſt 36 Jahr alt. Er hatte ein
äußerlich armes, innerlich deſto reicheres Leben geführt. Wie
in vielem war er auch in der Stille und Anſpruchsloſigkeit
ſeines Lebensganges, in dem Fehlen alles deſſen, was man
als romantiſch-frappant bezeichnen kann, den Herrenhutern
verwandt. Er ſelber proteſtirt zwar gegen dieſe Gemeinſchaft:
„allen Dingen, die in Lehre und Leben dem Worte Gottes
zuwider ſind, bin ich von Herzen feind, weshalb ich den Plan
der herrnhutiſchen Gemeine, wie er jetzt iſt, nimmermehr
werde billigen können,“ aber trotz dieſes Proteſtes, der gewiß
aufrichtig gemeint und wohlbegründet iſt, iſt doch unverkenn-
bar, daß ſeine Dichtung unter Zinzendorfſchem Einfluß her-
angewachſen iſt. Er gebraucht wie dieſer die ſtarkſinnlichen
Reden von Turteltauben und Nachtigallen, von dem ſüßen
Blut des Erlöſers und von der Herrlichkeit ſeiner Blut-
rubinen. Er vertheidigt auch dieſe Ausdrucksweiſe: „Die
Herzen ſollen durch die Sinne bewegt werden, und nur das
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 427. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/445>, abgerufen am 24.11.2024.
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