Dieses letztren Sohn war der schon genannte Gabriel Lucas, geboren 1687, der Vater Ernst Gottliebs.
Er, der Vater, hatte von 1711 in Halle studirt, in Halle, das um jene Zeit "das Herz war, dessen Schläge man weit und breit fühlte." August Hermann Francke stand eben damals in der Blüthe seines Wirkens, "dieser Mann der Demuth und Wahrhaftigkeit, der sich rühmen durfte, daß von den 6000 Studenten, die in den ersten Jahrzehnten in Halle studirt hatten, Tausende von erweckten Predigern ins deutsche Vaterland ausgegangen seien." Unter diesen erweckten Predi- gern war auch Gabriel Lucas Woltersdorf. Er blieb bis zuletzt eine Leuchte für seine Gemeinde und seine Kinder. So viel über den Vater.
Der Sohn, unser Ernst Gottlieb, empfing seinen ersten Unterricht im elterlichen Hause; von 1735 ab, wo der Vater Friedrichsfelde aufgab und nach Berlin übersiedelte (er wurde Prediger an der St. Georgen-Kirche), besuchte er das Graue Kloster; eben 17 Jahr alt ging er nach Halle. "Es war dort eben noch -- so schreibt Pastor Besser -- das letzte der sieben fetten Jahre. Man konnte den Samen reiner Lehre noch ziemlich reichlich einsammeln. Die Hungerzeit des Rationa- lismus meldete sich eben erst durch ihre vordersten Posten." Besonders war es Baumgarten (Kirchengeschichte), der das Herz unseres jungen Theologen mit Liebe und Verehrung füllte; Unterricht, den er in den unteren Schulen des Franckeschen Waisenhauses ertheilte, sicherte ihm den Unterhalt. Sein Christen- thum, nach seinem eigenen Bekenntniß, blieb aber damals ein rein äußerliches. "Ich hatte noch keinen Geschmack an der Erlösung durchs Blut Christi; ... aber Gott kam mir zu Hilfe und warf mich in ein sehr tiefes Gefühl meines uner- gründlichen Seelenverderbens. Da saß ich an den Wassern zu Babel und weinete, wenn ich an Zion gedachte."
1744 im Frühjahr, erst neunzehn Jahr alt, hatte er seine Studien beendigt; er trat -- durch viele Arbeit körperlich
Gabriel Woltersdorf III., Paſtor zu Kyritz.
Dieſes letztren Sohn war der ſchon genannte Gabriel Lucas, geboren 1687, der Vater Ernſt Gottliebs.
Er, der Vater, hatte von 1711 in Halle ſtudirt, in Halle, das um jene Zeit „das Herz war, deſſen Schläge man weit und breit fühlte.“ Auguſt Hermann Francke ſtand eben damals in der Blüthe ſeines Wirkens, „dieſer Mann der Demuth und Wahrhaftigkeit, der ſich rühmen durfte, daß von den 6000 Studenten, die in den erſten Jahrzehnten in Halle ſtudirt hatten, Tauſende von erweckten Predigern ins deutſche Vaterland ausgegangen ſeien.“ Unter dieſen erweckten Predi- gern war auch Gabriel Lucas Woltersdorf. Er blieb bis zuletzt eine Leuchte für ſeine Gemeinde und ſeine Kinder. So viel über den Vater.
Der Sohn, unſer Ernſt Gottlieb, empfing ſeinen erſten Unterricht im elterlichen Hauſe; von 1735 ab, wo der Vater Friedrichsfelde aufgab und nach Berlin überſiedelte (er wurde Prediger an der St. Georgen-Kirche), beſuchte er das Graue Kloſter; eben 17 Jahr alt ging er nach Halle. „Es war dort eben noch — ſo ſchreibt Paſtor Beſſer — das letzte der ſieben fetten Jahre. Man konnte den Samen reiner Lehre noch ziemlich reichlich einſammeln. Die Hungerzeit des Rationa- lismus meldete ſich eben erſt durch ihre vorderſten Poſten.“ Beſonders war es Baumgarten (Kirchengeſchichte), der das Herz unſeres jungen Theologen mit Liebe und Verehrung füllte; Unterricht, den er in den unteren Schulen des Franckeſchen Waiſenhauſes ertheilte, ſicherte ihm den Unterhalt. Sein Chriſten- thum, nach ſeinem eigenen Bekenntniß, blieb aber damals ein rein äußerliches. „Ich hatte noch keinen Geſchmack an der Erlöſung durchs Blut Chriſti; … aber Gott kam mir zu Hilfe und warf mich in ein ſehr tiefes Gefühl meines uner- gründlichen Seelenverderbens. Da ſaß ich an den Waſſern zu Babel und weinete, wenn ich an Zion gedachte.“
1744 im Frühjahr, erſt neunzehn Jahr alt, hatte er ſeine Studien beendigt; er trat — durch viele Arbeit körperlich
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Gabriel Woltersdorf III., Paſtor zu Kyritz.
Dieſes letztren Sohn war der ſchon genannte Gabriel
Lucas, geboren 1687, der Vater Ernſt Gottliebs.
Er, der Vater, hatte von 1711 in Halle ſtudirt, in Halle,
das um jene Zeit „das Herz war, deſſen Schläge man weit
und breit fühlte.“ Auguſt Hermann Francke ſtand eben damals
in der Blüthe ſeines Wirkens, „dieſer Mann der Demuth und
Wahrhaftigkeit, der ſich rühmen durfte, daß von den 6000
Studenten, die in den erſten Jahrzehnten in Halle ſtudirt
hatten, Tauſende von erweckten Predigern ins deutſche
Vaterland ausgegangen ſeien.“ Unter dieſen erweckten Predi-
gern war auch Gabriel Lucas Woltersdorf. Er blieb bis
zuletzt eine Leuchte für ſeine Gemeinde und ſeine Kinder. So
viel über den Vater.
Der Sohn, unſer Ernſt Gottlieb, empfing ſeinen
erſten Unterricht im elterlichen Hauſe; von 1735 ab, wo der
Vater Friedrichsfelde aufgab und nach Berlin überſiedelte (er
wurde Prediger an der St. Georgen-Kirche), beſuchte er das
Graue Kloſter; eben 17 Jahr alt ging er nach Halle. „Es
war dort eben noch — ſo ſchreibt Paſtor Beſſer — das letzte
der ſieben fetten Jahre. Man konnte den Samen reiner Lehre
noch ziemlich reichlich einſammeln. Die Hungerzeit des Rationa-
lismus meldete ſich eben erſt durch ihre vorderſten Poſten.“
Beſonders war es Baumgarten (Kirchengeſchichte), der das Herz
unſeres jungen Theologen mit Liebe und Verehrung füllte;
Unterricht, den er in den unteren Schulen des Franckeſchen
Waiſenhauſes ertheilte, ſicherte ihm den Unterhalt. Sein Chriſten-
thum, nach ſeinem eigenen Bekenntniß, blieb aber damals ein
rein äußerliches. „Ich hatte noch keinen Geſchmack an der
Erlöſung durchs Blut Chriſti; … aber Gott kam mir zu
Hilfe und warf mich in ein ſehr tiefes Gefühl meines uner-
gründlichen Seelenverderbens. Da ſaß ich an den Waſſern zu
Babel und weinete, wenn ich an Zion gedachte.“
1744 im Frühjahr, erſt neunzehn Jahr alt, hatte er
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 422. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/440>, abgerufen am 23.11.2024.
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