Chronisten nicht müde werden zu rühmen, "insonderheit auch die großen Alande, die noch angenehmer sind als Zander."
Um Saarmund und seine Saare schwebt es anheimelnd wie ein gefällig-romantischer Klang, aber die eigentliche Poe- sie dieser Gegenden, die eben höher steht als der bloße Kling- klang eines Namens, ist doch ächte alte Nuthen-Poesie. An diesen alten Nuthewiesen, gleichviel nun ob im Sommer der rothe Ampfer sie überblüht, oder ob im November die Krähen über den graubraunen Rasen ziehen, haftet der tiefere Zauber dieses Thals. Hier, in den Kolken am Flusse hin, war bis vor Kurzem noch die Otter zu Hause und der Fischadler that reichen Fang. Sagenhafte Gestalten, groß und hager, und an Jahren weit über das Gedächtniß der ältesten Leute hinaus- ragend, zogen mit ihrer Büchse über die tiefen Moore, wie Schatten schritten sie im Nebel, der Regenvogel pfiff in langen Pausen und das dumpfe Gurgeln der Rohrdommel klang vom Flusse her.
So war das Nuthe-Thal, so ist es noch.
Zwei, drei Brücken haben wir zu passiren. Von der ersten aus, deren hochgewölbte Balkenlage einen Blick nach rechts und links gestattet, schweift unser Auge das Thal hinauf und hin- unter. Tiefe Stille; nur Wiese und Wasser; kein Floß, kein Kahn; nichts als das weiße Gewölk, das langsam ziehend, dem langsamen Zuge des Wassers folgt.
Nichts Lebendes, -- und es kann nicht anders sein. Wenn es wahr ist, daß man große Städte auf Meilen hin, in beinah räthselvoller Weise vorausfühlt, so muß die Wirkung, die Saarmund in die Ferne hinein übt, eben die der Oede und Einsamkeit sein; denn man kann nur mittheilen, was man hat. Und nichts Stilleres als Saarmund. Ueber eine zweite Brücke hin rasselt unser Gefährt in die Stadt hinein: beschnittne Lin- den vor den Thüren; über die Hof- und Gartenzäune strecken Hollunderbäume die weißen Dolden; wenn dann und wann eine Hausthür sich öffnet und der eigenthümliche Klapperton
Chroniſten nicht müde werden zu rühmen, „inſonderheit auch die großen Alande, die noch angenehmer ſind als Zander.“
Um Saarmund und ſeine Saare ſchwebt es anheimelnd wie ein gefällig-romantiſcher Klang, aber die eigentliche Poe- ſie dieſer Gegenden, die eben höher ſteht als der bloße Kling- klang eines Namens, iſt doch ächte alte Nuthen-Poeſie. An dieſen alten Nuthewieſen, gleichviel nun ob im Sommer der rothe Ampfer ſie überblüht, oder ob im November die Krähen über den graubraunen Raſen ziehen, haftet der tiefere Zauber dieſes Thals. Hier, in den Kolken am Fluſſe hin, war bis vor Kurzem noch die Otter zu Hauſe und der Fiſchadler that reichen Fang. Sagenhafte Geſtalten, groß und hager, und an Jahren weit über das Gedächtniß der älteſten Leute hinaus- ragend, zogen mit ihrer Büchſe über die tiefen Moore, wie Schatten ſchritten ſie im Nebel, der Regenvogel pfiff in langen Pauſen und das dumpfe Gurgeln der Rohrdommel klang vom Fluſſe her.
So war das Nuthe-Thal, ſo iſt es noch.
Zwei, drei Brücken haben wir zu paſſiren. Von der erſten aus, deren hochgewölbte Balkenlage einen Blick nach rechts und links geſtattet, ſchweift unſer Auge das Thal hinauf und hin- unter. Tiefe Stille; nur Wieſe und Waſſer; kein Floß, kein Kahn; nichts als das weiße Gewölk, das langſam ziehend, dem langſamen Zuge des Waſſers folgt.
Nichts Lebendes, — und es kann nicht anders ſein. Wenn es wahr iſt, daß man große Städte auf Meilen hin, in beinah räthſelvoller Weiſe vorausfühlt, ſo muß die Wirkung, die Saarmund in die Ferne hinein übt, eben die der Oede und Einſamkeit ſein; denn man kann nur mittheilen, was man hat. Und nichts Stilleres als Saarmund. Ueber eine zweite Brücke hin raſſelt unſer Gefährt in die Stadt hinein: beſchnittne Lin- den vor den Thüren; über die Hof- und Gartenzäune ſtrecken Hollunderbäume die weißen Dolden; wenn dann und wann eine Hausthür ſich öffnet und der eigenthümliche Klapperton
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0384"n="366"/>
Chroniſten nicht müde werden zu rühmen, „inſonderheit auch<lb/>
die großen Alande, die noch angenehmer ſind als Zander.“</p><lb/><p>Um Saarmund und ſeine Saare ſchwebt es anheimelnd<lb/>
wie ein gefällig-romantiſcher <hirendition="#g">Klang</hi>, aber die eigentliche Poe-<lb/>ſie dieſer Gegenden, die eben höher ſteht als der bloße Kling-<lb/>
klang eines Namens, iſt doch ächte alte <hirendition="#g">Nuthen</hi>-Poeſie. An<lb/>
dieſen alten Nuthewieſen, gleichviel nun ob im Sommer der<lb/>
rothe Ampfer ſie überblüht, oder ob im November die Krähen<lb/>
über den graubraunen Raſen ziehen, haftet der tiefere Zauber<lb/>
dieſes Thals. Hier, in den Kolken am Fluſſe hin, war bis<lb/>
vor Kurzem noch die Otter zu Hauſe und der Fiſchadler that<lb/>
reichen Fang. Sagenhafte Geſtalten, groß und hager, und an<lb/>
Jahren weit über das Gedächtniß der älteſten Leute hinaus-<lb/>
ragend, zogen mit ihrer Büchſe über die tiefen Moore, wie<lb/>
Schatten ſchritten ſie im Nebel, der Regenvogel pfiff in langen<lb/>
Pauſen und das dumpfe Gurgeln der Rohrdommel klang vom<lb/>
Fluſſe her.</p><lb/><p>So war das Nuthe-Thal, ſo iſt es noch.</p><lb/><p>Zwei, drei Brücken haben wir zu paſſiren. Von der erſten<lb/>
aus, deren hochgewölbte Balkenlage einen Blick nach rechts und<lb/>
links geſtattet, ſchweift unſer Auge das Thal hinauf und hin-<lb/>
unter. Tiefe Stille; nur Wieſe und Waſſer; kein Floß, kein<lb/>
Kahn; nichts als das weiße Gewölk, das langſam ziehend, dem<lb/>
langſamen Zuge des Waſſers folgt.</p><lb/><p>Nichts Lebendes, — und es kann nicht anders ſein.<lb/>
Wenn es wahr iſt, daß man große Städte auf Meilen hin,<lb/>
in beinah räthſelvoller Weiſe vorausfühlt, ſo muß die Wirkung,<lb/>
die Saarmund in die Ferne hinein übt, eben die der Oede und<lb/>
Einſamkeit ſein; denn man kann nur mittheilen, was man hat.<lb/>
Und nichts Stilleres als Saarmund. Ueber eine zweite Brücke<lb/>
hin raſſelt unſer Gefährt in die Stadt hinein: beſchnittne Lin-<lb/>
den vor den Thüren; über die Hof- und Gartenzäune ſtrecken<lb/>
Hollunderbäume die weißen Dolden; wenn dann und wann<lb/>
eine Hausthür ſich öffnet und der eigenthümliche Klapperton<lb/></p></div></body></text></TEI>
[366/0384]
Chroniſten nicht müde werden zu rühmen, „inſonderheit auch
die großen Alande, die noch angenehmer ſind als Zander.“
Um Saarmund und ſeine Saare ſchwebt es anheimelnd
wie ein gefällig-romantiſcher Klang, aber die eigentliche Poe-
ſie dieſer Gegenden, die eben höher ſteht als der bloße Kling-
klang eines Namens, iſt doch ächte alte Nuthen-Poeſie. An
dieſen alten Nuthewieſen, gleichviel nun ob im Sommer der
rothe Ampfer ſie überblüht, oder ob im November die Krähen
über den graubraunen Raſen ziehen, haftet der tiefere Zauber
dieſes Thals. Hier, in den Kolken am Fluſſe hin, war bis
vor Kurzem noch die Otter zu Hauſe und der Fiſchadler that
reichen Fang. Sagenhafte Geſtalten, groß und hager, und an
Jahren weit über das Gedächtniß der älteſten Leute hinaus-
ragend, zogen mit ihrer Büchſe über die tiefen Moore, wie
Schatten ſchritten ſie im Nebel, der Regenvogel pfiff in langen
Pauſen und das dumpfe Gurgeln der Rohrdommel klang vom
Fluſſe her.
So war das Nuthe-Thal, ſo iſt es noch.
Zwei, drei Brücken haben wir zu paſſiren. Von der erſten
aus, deren hochgewölbte Balkenlage einen Blick nach rechts und
links geſtattet, ſchweift unſer Auge das Thal hinauf und hin-
unter. Tiefe Stille; nur Wieſe und Waſſer; kein Floß, kein
Kahn; nichts als das weiße Gewölk, das langſam ziehend, dem
langſamen Zuge des Waſſers folgt.
Nichts Lebendes, — und es kann nicht anders ſein.
Wenn es wahr iſt, daß man große Städte auf Meilen hin,
in beinah räthſelvoller Weiſe vorausfühlt, ſo muß die Wirkung,
die Saarmund in die Ferne hinein übt, eben die der Oede und
Einſamkeit ſein; denn man kann nur mittheilen, was man hat.
Und nichts Stilleres als Saarmund. Ueber eine zweite Brücke
hin raſſelt unſer Gefährt in die Stadt hinein: beſchnittne Lin-
den vor den Thüren; über die Hof- und Gartenzäune ſtrecken
Hollunderbäume die weißen Dolden; wenn dann und wann
eine Hausthür ſich öffnet und der eigenthümliche Klapperton
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/384>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.