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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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ihre Sache. Am Schlusse der Campagne erhalten sie für je
1000 fertig-gebrannte Steine 1 2/3 bis 2 Thaler. Die Gesammt-
summe bei 8 bis 10 Millionen Steine pflegt bis 15,000 Thaler
zu betragen. Diese Summe wird aber schwer verdient. Die
Leute sind von einem besonderen Fleiß. Sie arbeiten von 3 Uhr
früh bis 8 oder selbst 9 Uhr Abends, also nach Abzug einer
Eßstunde immer noch nah an 17 Stunden. Sie verpflegen sich
nach Lipper Landessitte, d. h. im Wesentlichen westfälisch.
Man darf sagen, sie leben von Erbsen und Speck, die beide
durch den "Meister" aus der lippeschen Heimath bezogen werden,
wo sie diese Artikel besser und billiger erhalten. Mitte Oktober
treten sie, jeder mit einer Ueberschußsumme von nahezu 100 Tha-
lern, den Rückweg an und überlassen nun das Feld den ein-
heimischen
Ziegelstreichern.

Die Einheimischen arbeiten ebenfalls auf Accord, aber
unter ganz andern Bedingungen. Sie erhalten nicht die ganze
Arbeit, sondern die Einzelarbeit bezahlt und stehen sich dabei
nicht erheblich schlechter als die Lipper. Während der Sommer-
monate theilen sie den Arbeitsplatz mit den Letzteren derart, daß
die Lipper zur Rechten, die Einheimischen zur Linken ihre Ziegel
streichen. So weit sind sie den Lippern ebenbürtig. Darin
aber stehen sie hinter diesen zurück, daß diese das Recht haben,
ihre Ziegel zuerst zu brennen. Mit andern Worten, so lange
die Sommercampagne dauert, gehört der Ofen ausschließlich den
Lippern und erst wenn diese fort sind, ziehen die Einheimischen
mit den vielen Millionen Ziegeln, die sie inzwischen gestrichen
und getrocknet haben, auch ihrerseits in den Ofen ein.

Die dritte Gruppe von Beschäftigten sind die Tagelöhner.
Sie arbeiten auf Tagelohn, erhalten täglich 8 Sgr. der Mann
(6 Sgr. die Frau) und bilden die Unter schicht einer Gesell-
schaft, in der die Ziegelstreicher, wie eine mittelalterliche Hand-
werkszunft, die Oberschicht bilden. Sie sind bloße Handlanger,
Aushilfen für den groben Dienst, der keine "Kunst" verlangt,
und erheben sich nach Erscheinung und allgemeiner Schätzung

Fontane, Wanderungen. III. 16

ihre Sache. Am Schluſſe der Campagne erhalten ſie für je
1000 fertig-gebrannte Steine 1⅔ bis 2 Thaler. Die Geſammt-
ſumme bei 8 bis 10 Millionen Steine pflegt bis 15,000 Thaler
zu betragen. Dieſe Summe wird aber ſchwer verdient. Die
Leute ſind von einem beſonderen Fleiß. Sie arbeiten von 3 Uhr
früh bis 8 oder ſelbſt 9 Uhr Abends, alſo nach Abzug einer
Eßſtunde immer noch nah an 17 Stunden. Sie verpflegen ſich
nach Lipper Landesſitte, d. h. im Weſentlichen weſtfäliſch.
Man darf ſagen, ſie leben von Erbſen und Speck, die beide
durch den „Meiſter“ aus der lippeſchen Heimath bezogen werden,
wo ſie dieſe Artikel beſſer und billiger erhalten. Mitte Oktober
treten ſie, jeder mit einer Ueberſchußſumme von nahezu 100 Tha-
lern, den Rückweg an und überlaſſen nun das Feld den ein-
heimiſchen
Ziegelſtreichern.

Die Einheimiſchen arbeiten ebenfalls auf Accord, aber
unter ganz andern Bedingungen. Sie erhalten nicht die ganze
Arbeit, ſondern die Einzelarbeit bezahlt und ſtehen ſich dabei
nicht erheblich ſchlechter als die Lipper. Während der Sommer-
monate theilen ſie den Arbeitsplatz mit den Letzteren derart, daß
die Lipper zur Rechten, die Einheimiſchen zur Linken ihre Ziegel
ſtreichen. So weit ſind ſie den Lippern ebenbürtig. Darin
aber ſtehen ſie hinter dieſen zurück, daß dieſe das Recht haben,
ihre Ziegel zuerſt zu brennen. Mit andern Worten, ſo lange
die Sommercampagne dauert, gehört der Ofen ausſchließlich den
Lippern und erſt wenn dieſe fort ſind, ziehen die Einheimiſchen
mit den vielen Millionen Ziegeln, die ſie inzwiſchen geſtrichen
und getrocknet haben, auch ihrerſeits in den Ofen ein.

Die dritte Gruppe von Beſchäftigten ſind die Tagelöhner.
Sie arbeiten auf Tagelohn, erhalten täglich 8 Sgr. der Mann
(6 Sgr. die Frau) und bilden die Unter ſchicht einer Geſell-
ſchaft, in der die Ziegelſtreicher, wie eine mittelalterliche Hand-
werkszunft, die Oberſchicht bilden. Sie ſind bloße Handlanger,
Aushilfen für den groben Dienſt, der keine „Kunſt“ verlangt,
und erheben ſich nach Erſcheinung und allgemeiner Schätzung

Fontane, Wanderungen. III. 16
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[241/0259] ihre Sache. Am Schluſſe der Campagne erhalten ſie für je 1000 fertig-gebrannte Steine 1⅔ bis 2 Thaler. Die Geſammt- ſumme bei 8 bis 10 Millionen Steine pflegt bis 15,000 Thaler zu betragen. Dieſe Summe wird aber ſchwer verdient. Die Leute ſind von einem beſonderen Fleiß. Sie arbeiten von 3 Uhr früh bis 8 oder ſelbſt 9 Uhr Abends, alſo nach Abzug einer Eßſtunde immer noch nah an 17 Stunden. Sie verpflegen ſich nach Lipper Landesſitte, d. h. im Weſentlichen weſtfäliſch. Man darf ſagen, ſie leben von Erbſen und Speck, die beide durch den „Meiſter“ aus der lippeſchen Heimath bezogen werden, wo ſie dieſe Artikel beſſer und billiger erhalten. Mitte Oktober treten ſie, jeder mit einer Ueberſchußſumme von nahezu 100 Tha- lern, den Rückweg an und überlaſſen nun das Feld den ein- heimiſchen Ziegelſtreichern. Die Einheimiſchen arbeiten ebenfalls auf Accord, aber unter ganz andern Bedingungen. Sie erhalten nicht die ganze Arbeit, ſondern die Einzelarbeit bezahlt und ſtehen ſich dabei nicht erheblich ſchlechter als die Lipper. Während der Sommer- monate theilen ſie den Arbeitsplatz mit den Letzteren derart, daß die Lipper zur Rechten, die Einheimiſchen zur Linken ihre Ziegel ſtreichen. So weit ſind ſie den Lippern ebenbürtig. Darin aber ſtehen ſie hinter dieſen zurück, daß dieſe das Recht haben, ihre Ziegel zuerſt zu brennen. Mit andern Worten, ſo lange die Sommercampagne dauert, gehört der Ofen ausſchließlich den Lippern und erſt wenn dieſe fort ſind, ziehen die Einheimiſchen mit den vielen Millionen Ziegeln, die ſie inzwiſchen geſtrichen und getrocknet haben, auch ihrerſeits in den Ofen ein. Die dritte Gruppe von Beſchäftigten ſind die Tagelöhner. Sie arbeiten auf Tagelohn, erhalten täglich 8 Sgr. der Mann (6 Sgr. die Frau) und bilden die Unter ſchicht einer Geſell- ſchaft, in der die Ziegelſtreicher, wie eine mittelalterliche Hand- werkszunft, die Oberſchicht bilden. Sie ſind bloße Handlanger, Aushilfen für den groben Dienſt, der keine „Kunſt“ verlangt, und erheben ſich nach Erſcheinung und allgemeiner Schätzung Fontane, Wanderungen. III. 16

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Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/259>, abgerufen am 01.09.2024.