So herrschten denn die alten Mächte vorläufig weiter. Aber nicht auf lange. Die Nothwendigkeit einer Wandlung hatte sich zu fühlbar herausgestellt, als daß es hätte bleiben können wie es war. Die Welt, wenn auch nach weiter nichts, sehnte sich wenigstens nach Durchbrechung des Monopols, und siehe da, was den beiden Vorläufern des Seidels nicht hatte glücken wollen, das glückte nunmehr, in eben diesen Interregnums- tagen, einer dritten Macht, die, an das Alte sich klug und weise an- lehnend, ziemlich gleichzeitig mit jenen beiden ins Dasein sprang.
Diese dritte Macht (der Leser ahnt bereits, welche) hatte von vornherein den Vorzug, alles Fremdartigen entkleidet, auf unserem Boden aufzutreten; -- märkisch national, ein Ding für sich, so erschien die Werdersche. Sie war dem Landesgeschmack geschickt adaptirt, sie stellte sich einerseits in Gegensatz gegen die Weiße und hatte doch wiederum so viel von ihr an sich, daß sie wie zwei Schwestern waren, dasselbe Temperament, dasselbe prickelnde Wesen, im Uebrigen reine Geschmackssache: blond oder braun. In Kruken auftretend, und über dreimal gebrauchten Korken eine blasse, längst ausgelaugte Strippe zu leichtem Knoten schürzend, war sie, die Werdersche, in ihrer äußerlichen Erschei- nung schon, der ausgesprochene und bald auch der glückliche Con- current der älteren Schwester, und die bekannten Kellerschilder, diese glücklich-realistische Mischung von Stillleben und Genre, bequem- ten sich mehr und mehr neben der blonden Weißen die braune Wer- dersche ebenbürtig einzurangiren. Die Verhältnisse, ohne daß ein Plan dahin geleitet hätte, führten über Nacht zu einer Theilung der Herr- schaft. Die Werdersche hielt mehr und mehr ihren Einzug über die Hintertreppe; in den Regionen der Küche und Kinderstube erwuchs ihr das süße Gefühl eine Mission gefunden und erfüllt zu haben; sie wurde Nahr-Bier in des Wortes verwegenster Bedeutung und das gegenwärtige Geschlecht, wenn auch aus zweiter Hand erst, hat Kraft und Leben gesogen aus der "Werderschen."
Dessen seien wir gedenk. Das Leben mag uns losreißen von unserer Amme; aber ein Undankbarer, der sie nicht kennen will, oder bei ihrem Anblick sich schämt. --
So herrſchten denn die alten Mächte vorläufig weiter. Aber nicht auf lange. Die Nothwendigkeit einer Wandlung hatte ſich zu fühlbar herausgeſtellt, als daß es hätte bleiben können wie es war. Die Welt, wenn auch nach weiter nichts, ſehnte ſich wenigſtens nach Durchbrechung des Monopols, und ſiehe da, was den beiden Vorläufern des Seidels nicht hatte glücken wollen, das glückte nunmehr, in eben dieſen Interregnums- tagen, einer dritten Macht, die, an das Alte ſich klug und weiſe an- lehnend, ziemlich gleichzeitig mit jenen beiden ins Daſein ſprang.
Dieſe dritte Macht (der Leſer ahnt bereits, welche) hatte von vornherein den Vorzug, alles Fremdartigen entkleidet, auf unſerem Boden aufzutreten; — märkiſch national, ein Ding für ſich, ſo erſchien die Werderſche. Sie war dem Landesgeſchmack geſchickt adaptirt, ſie ſtellte ſich einerſeits in Gegenſatz gegen die Weiße und hatte doch wiederum ſo viel von ihr an ſich, daß ſie wie zwei Schweſtern waren, daſſelbe Temperament, daſſelbe prickelnde Weſen, im Uebrigen reine Geſchmacksſache: blond oder braun. In Kruken auftretend, und über dreimal gebrauchten Korken eine blaſſe, längſt ausgelaugte Strippe zu leichtem Knoten ſchürzend, war ſie, die Werderſche, in ihrer äußerlichen Erſchei- nung ſchon, der ausgeſprochene und bald auch der glückliche Con- current der älteren Schweſter, und die bekannten Kellerſchilder, dieſe glücklich-realiſtiſche Miſchung von Stillleben und Genre, bequem- ten ſich mehr und mehr neben der blonden Weißen die braune Wer- derſche ebenbürtig einzurangiren. Die Verhältniſſe, ohne daß ein Plan dahin geleitet hätte, führten über Nacht zu einer Theilung der Herr- ſchaft. Die Werderſche hielt mehr und mehr ihren Einzug über die Hintertreppe; in den Regionen der Küche und Kinderſtube erwuchs ihr das ſüße Gefühl eine Miſſion gefunden und erfüllt zu haben; ſie wurde Nahr-Bier in des Wortes verwegenſter Bedeutung und das gegenwärtige Geſchlecht, wenn auch aus zweiter Hand erſt, hat Kraft und Leben geſogen aus der „Werderſchen.“
Deſſen ſeien wir gedenk. Das Leben mag uns losreißen von unſerer Amme; aber ein Undankbarer, der ſie nicht kennen will, oder bei ihrem Anblick ſich ſchämt. —
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So herrſchten denn die alten Mächte vorläufig weiter.
Aber nicht auf lange. Die Nothwendigkeit einer Wandlung hatte
ſich zu fühlbar herausgeſtellt, als daß es hätte bleiben können
wie es war. Die Welt, wenn auch nach weiter nichts, ſehnte
ſich wenigſtens nach Durchbrechung des Monopols, und ſiehe
da, was den beiden Vorläufern des Seidels nicht hatte glücken
wollen, das glückte nunmehr, in eben dieſen Interregnums-
tagen, einer dritten Macht, die, an das Alte ſich klug und weiſe an-
lehnend, ziemlich gleichzeitig mit jenen beiden ins Daſein ſprang.
Dieſe dritte Macht (der Leſer ahnt bereits, welche) hatte
von vornherein den Vorzug, alles Fremdartigen entkleidet, auf
unſerem Boden aufzutreten; — märkiſch national, ein Ding für
ſich, ſo erſchien die Werderſche. Sie war dem Landesgeſchmack
geſchickt adaptirt, ſie ſtellte ſich einerſeits in Gegenſatz gegen die
Weiße und hatte doch wiederum ſo viel von ihr an ſich, daß
ſie wie zwei Schweſtern waren, daſſelbe Temperament, daſſelbe
prickelnde Weſen, im Uebrigen reine Geſchmacksſache: blond oder
braun. In Kruken auftretend, und über dreimal gebrauchten
Korken eine blaſſe, längſt ausgelaugte Strippe zu leichtem Knoten
ſchürzend, war ſie, die Werderſche, in ihrer äußerlichen Erſchei-
nung ſchon, der ausgeſprochene und bald auch der glückliche Con-
current der älteren Schweſter, und die bekannten Kellerſchilder, dieſe
glücklich-realiſtiſche Miſchung von Stillleben und Genre, bequem-
ten ſich mehr und mehr neben der blonden Weißen die braune Wer-
derſche ebenbürtig einzurangiren. Die Verhältniſſe, ohne daß ein Plan
dahin geleitet hätte, führten über Nacht zu einer Theilung der Herr-
ſchaft. Die Werderſche hielt mehr und mehr ihren Einzug über die
Hintertreppe; in den Regionen der Küche und Kinderſtube erwuchs
ihr das ſüße Gefühl eine Miſſion gefunden und erfüllt zu haben; ſie
wurde Nahr-Bier in des Wortes verwegenſter Bedeutung und
das gegenwärtige Geſchlecht, wenn auch aus zweiter Hand
erſt, hat Kraft und Leben geſogen aus der „Werderſchen.“
Deſſen ſeien wir gedenk. Das Leben mag uns losreißen
von unſerer Amme; aber ein Undankbarer, der ſie nicht kennen
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/251>, abgerufen am 22.11.2024.
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