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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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und Leinwandbänder legen sich um den amputirten Ast, wie
die Bandage um das verletzte Glied. Hier mehren sich auch die
Villen und Wohnhäuser, die großentheils zwischen Fluß und
Straße, also zur Linken der letzteren, sich hinziehen. Einge-
sponnen in Rosenbüsche, umstellt von Malven und Georginen,
entziehen sich viele dem Auge; andere wieder wählen die lichteste
Stelle und grüßen durch die weitgestellten Bäume mit ihren
Balkonen und Fahnenstangen, mit Veranden und Jalousien.

Eine reiche, immer wachsende Cultur! Wann sie ihren
Anfang nahm, ist bei der Mangelhaftigkeit der Aufzeichnungen
nicht mehr festzustellen. Es scheint aber fast, daß Werder als
ein Fischerort ins 17. Jahrhundert ein- und als ein Obst- und
Gartenort aus ihm heraustrat. Das würde dann darauf hin-
deuten, daß sich die Umwandlung unter dem Großen Kurfürsten
vollzogen habe, und dafür sprechen auch die mannigfachsten
Anzeigen. Die Zeit nach dem 30jährigen Kriege war wieder
eine Zeit großartiger Einwanderung in die entvölkerte Mark
und mit den gartenkundigen Franzosen, mit den Bouches
und Matthieus, die bis auf diesen Tag in ganzen Quartieren
der Hauptstadt blühen, kamen ziemlich gleichzeitig die agricul-
turk
undigen Holländer ins Land. Unter dem, was sie
pflegten, war auch der Obstbau. Sie waren von den Tagen
Henriette Marie's, von der Gründung Oranienburgs und dem
Auftreten der Cleve'schen Familie Hertefeld an, die eigentlichen
landwirthschaftlichen Lehrmeister für die Mark, speziell für das
Havelland, und wir möchten vermuthen, daß der eine oder
andere von ihnen, angelockt durch den ächt-holländischen Charak-
ter dieser Havel-Insel, seinen Aufenthalt hier genommen und
die große Umwandlung vorbereitet habe. Vielleicht wäre aus
den Namen der noch lebenden Werderschen Geschlechter festzu-
stellen, ob ein solcher holländischer Fremdling jemals unter ihnen
auftauchte. Bemerkenswerth ist es mir immer erschienen, daß
die Werderaner in "Schuten" fahren, ein niederländisches Wort,
das in den wendischen Fischerdörfern, so viel ich weiß, nie ange-
troffen wird.

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und Leinwandbänder legen ſich um den amputirten Aſt, wie
die Bandage um das verletzte Glied. Hier mehren ſich auch die
Villen und Wohnhäuſer, die großentheils zwiſchen Fluß und
Straße, alſo zur Linken der letzteren, ſich hinziehen. Einge-
ſponnen in Roſenbüſche, umſtellt von Malven und Georginen,
entziehen ſich viele dem Auge; andere wieder wählen die lichteſte
Stelle und grüßen durch die weitgeſtellten Bäume mit ihren
Balkonen und Fahnenſtangen, mit Veranden und Jalouſien.

Eine reiche, immer wachſende Cultur! Wann ſie ihren
Anfang nahm, iſt bei der Mangelhaftigkeit der Aufzeichnungen
nicht mehr feſtzuſtellen. Es ſcheint aber faſt, daß Werder als
ein Fiſcherort ins 17. Jahrhundert ein- und als ein Obſt- und
Gartenort aus ihm heraustrat. Das würde dann darauf hin-
deuten, daß ſich die Umwandlung unter dem Großen Kurfürſten
vollzogen habe, und dafür ſprechen auch die mannigfachſten
Anzeigen. Die Zeit nach dem 30jährigen Kriege war wieder
eine Zeit großartiger Einwanderung in die entvölkerte Mark
und mit den gartenkundigen Franzoſen, mit den Bouchés
und Matthieus, die bis auf dieſen Tag in ganzen Quartieren
der Hauptſtadt blühen, kamen ziemlich gleichzeitig die agricul-
turk
undigen Holländer ins Land. Unter dem, was ſie
pflegten, war auch der Obſtbau. Sie waren von den Tagen
Henriette Marie’s, von der Gründung Oranienburgs und dem
Auftreten der Cleve’ſchen Familie Hertefeld an, die eigentlichen
landwirthſchaftlichen Lehrmeiſter für die Mark, ſpeziell für das
Havelland, und wir möchten vermuthen, daß der eine oder
andere von ihnen, angelockt durch den ächt-holländiſchen Charak-
ter dieſer Havel-Inſel, ſeinen Aufenthalt hier genommen und
die große Umwandlung vorbereitet habe. Vielleicht wäre aus
den Namen der noch lebenden Werderſchen Geſchlechter feſtzu-
ſtellen, ob ein ſolcher holländiſcher Fremdling jemals unter ihnen
auftauchte. Bemerkenswerth iſt es mir immer erſchienen, daß
die Werderaner in „Schuten“ fahren, ein niederländiſches Wort,
das in den wendiſchen Fiſcherdörfern, ſo viel ich weiß, nie ange-
troffen wird.

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[227/0245] und Leinwandbänder legen ſich um den amputirten Aſt, wie die Bandage um das verletzte Glied. Hier mehren ſich auch die Villen und Wohnhäuſer, die großentheils zwiſchen Fluß und Straße, alſo zur Linken der letzteren, ſich hinziehen. Einge- ſponnen in Roſenbüſche, umſtellt von Malven und Georginen, entziehen ſich viele dem Auge; andere wieder wählen die lichteſte Stelle und grüßen durch die weitgeſtellten Bäume mit ihren Balkonen und Fahnenſtangen, mit Veranden und Jalouſien. Eine reiche, immer wachſende Cultur! Wann ſie ihren Anfang nahm, iſt bei der Mangelhaftigkeit der Aufzeichnungen nicht mehr feſtzuſtellen. Es ſcheint aber faſt, daß Werder als ein Fiſcherort ins 17. Jahrhundert ein- und als ein Obſt- und Gartenort aus ihm heraustrat. Das würde dann darauf hin- deuten, daß ſich die Umwandlung unter dem Großen Kurfürſten vollzogen habe, und dafür ſprechen auch die mannigfachſten Anzeigen. Die Zeit nach dem 30jährigen Kriege war wieder eine Zeit großartiger Einwanderung in die entvölkerte Mark und mit den gartenkundigen Franzoſen, mit den Bouchés und Matthieus, die bis auf dieſen Tag in ganzen Quartieren der Hauptſtadt blühen, kamen ziemlich gleichzeitig die agricul- turkundigen Holländer ins Land. Unter dem, was ſie pflegten, war auch der Obſtbau. Sie waren von den Tagen Henriette Marie’s, von der Gründung Oranienburgs und dem Auftreten der Cleve’ſchen Familie Hertefeld an, die eigentlichen landwirthſchaftlichen Lehrmeiſter für die Mark, ſpeziell für das Havelland, und wir möchten vermuthen, daß der eine oder andere von ihnen, angelockt durch den ächt-holländiſchen Charak- ter dieſer Havel-Inſel, ſeinen Aufenthalt hier genommen und die große Umwandlung vorbereitet habe. Vielleicht wäre aus den Namen der noch lebenden Werderſchen Geſchlechter feſtzu- ſtellen, ob ein ſolcher holländiſcher Fremdling jemals unter ihnen auftauchte. Bemerkenswerth iſt es mir immer erſchienen, daß die Werderaner in „Schuten“ fahren, ein niederländiſches Wort, das in den wendiſchen Fiſcherdörfern, ſo viel ich weiß, nie ange- troffen wird. 15*

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/245>, abgerufen am 24.11.2024.