Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Innere, ein seltner Fall bei renovirten Kirchen, bietet
mehr als das Aeußere verspricht. Emporen, wie Brückenbogen
geschwungen, ziehen sich zwischen den grauweißen Pfeilern hin
und wirken hier, in dem sonst schmucklosen Gange fast wie ein
Ornament (das einzige) des Mittelschiffes.

Die Kirche selbst, bei aller Schönheit, ist kahl; im Chor
aber drängen sich die Erinnerungsstücke, die der Kirche noch
aus alter Zeit her geblieben sind. Hier, an der Rundung des
Gemäuers hin, hängen die Wappenschilde der Quaste, Ribbeck
und Nostitz, hier richtet sich das prächtige Denkmal der Gebrüder
Röbel auf, hier begegnen wir dem berühmten Steinaltar, den
Rochus von Lynar der Kirche stiftete und hier endlich (in Front
des Altars) erhebt sich das dreifußartige, schönste Kunstform
zeigende Taufbecken, das zugleich die Stelle angiebt, wo unter
dem Estrich die Ueberreste Adam Schwarzenbergs ruhn. Zur
Rechten die eigene Wappentafel des Grafen: der Rabe mit dem
Türkenkopf.

Alle diese Dinge indeß sind es nicht, die uns heute nach
Sanct Nicolai in Spandau geführt haben, unser Besuch gilt
vielmehr dem alten Thurme, zu dessen Höhe ein Dutzend Trep-
penstiegen hinanführen. Viele dieser Stiegen liegen im Dunkel,
andre empfangen einen Schimmer durch eingeschnittene Oeffnun-
gen, alle aber sind bedrohlich durch ihre Steile und Gradlinig-
keit und machen einem die Weisheit der alten Baumeister wieder
gegenwärtig, die ihre Treppen spiralförmig durch die dicke Wan-
dung der Thürme zogen und dadurch die Gefahr beseitigten,
funfzig Fuß und mehr erbarmungslos hinab zu stürzen.

Die Treppe frei und gradlinig; und doch ist es ein Erstei-
gen mit Hindernissen, die Schlüssel versagen den Dienst in den
rostigen Schlössern; man merkt, daß die Höhe von Sanct Nico-
lai zu Spandau keine täglichen Gäste hat, wie St. Stephan
in Wien, oder St. Paul in London. Endlich sind wir an Uhr
und Glockenwerken vorbei, haben das Schlüsselbund, im Kampf
mit Großschlössern und Vorlegeschlössern, siegreich durchprobirt
und steigen nun durch eine letzte Klappenöffnung, in die luf-

Das Innere, ein ſeltner Fall bei renovirten Kirchen, bietet
mehr als das Aeußere verſpricht. Emporen, wie Brückenbogen
geſchwungen, ziehen ſich zwiſchen den grauweißen Pfeilern hin
und wirken hier, in dem ſonſt ſchmuckloſen Gange faſt wie ein
Ornament (das einzige) des Mittelſchiffes.

Die Kirche ſelbſt, bei aller Schönheit, iſt kahl; im Chor
aber drängen ſich die Erinnerungsſtücke, die der Kirche noch
aus alter Zeit her geblieben ſind. Hier, an der Rundung des
Gemäuers hin, hängen die Wappenſchilde der Quaſte, Ribbeck
und Noſtitz, hier richtet ſich das prächtige Denkmal der Gebrüder
Röbel auf, hier begegnen wir dem berühmten Steinaltar, den
Rochus von Lynar der Kirche ſtiftete und hier endlich (in Front
des Altars) erhebt ſich das dreifußartige, ſchönſte Kunſtform
zeigende Taufbecken, das zugleich die Stelle angiebt, wo unter
dem Eſtrich die Ueberreſte Adam Schwarzenbergs ruhn. Zur
Rechten die eigene Wappentafel des Grafen: der Rabe mit dem
Türkenkopf.

Alle dieſe Dinge indeß ſind es nicht, die uns heute nach
Sanct Nicolai in Spandau geführt haben, unſer Beſuch gilt
vielmehr dem alten Thurme, zu deſſen Höhe ein Dutzend Trep-
penſtiegen hinanführen. Viele dieſer Stiegen liegen im Dunkel,
andre empfangen einen Schimmer durch eingeſchnittene Oeffnun-
gen, alle aber ſind bedrohlich durch ihre Steile und Gradlinig-
keit und machen einem die Weisheit der alten Baumeiſter wieder
gegenwärtig, die ihre Treppen ſpiralförmig durch die dicke Wan-
dung der Thürme zogen und dadurch die Gefahr beſeitigten,
funfzig Fuß und mehr erbarmungslos hinab zu ſtürzen.

Die Treppe frei und gradlinig; und doch iſt es ein Erſtei-
gen mit Hinderniſſen, die Schlüſſel verſagen den Dienſt in den
roſtigen Schlöſſern; man merkt, daß die Höhe von Sanct Nico-
lai zu Spandau keine täglichen Gäſte hat, wie St. Stephan
in Wien, oder St. Paul in London. Endlich ſind wir an Uhr
und Glockenwerken vorbei, haben das Schlüſſelbund, im Kampf
mit Großſchlöſſern und Vorlegeſchlöſſern, ſiegreich durchprobirt
und ſteigen nun durch eine letzte Klappenöffnung, in die luf-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0020" n="2"/>
        <p>Das Innere, ein &#x017F;eltner Fall bei renovirten Kirchen, bietet<lb/>
mehr als das Aeußere ver&#x017F;pricht. Emporen, wie Brückenbogen<lb/>
ge&#x017F;chwungen, ziehen &#x017F;ich zwi&#x017F;chen den grauweißen Pfeilern hin<lb/>
und wirken hier, in dem &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;chmucklo&#x017F;en Gange fa&#x017F;t wie ein<lb/>
Ornament (das einzige) des Mittel&#x017F;chiffes.</p><lb/>
        <p>Die Kirche &#x017F;elb&#x017F;t, bei aller Schönheit, i&#x017F;t kahl; im Chor<lb/>
aber drängen &#x017F;ich die Erinnerungs&#x017F;tücke, die der Kirche noch<lb/>
aus alter Zeit her geblieben &#x017F;ind. Hier, an der Rundung des<lb/>
Gemäuers hin, hängen die Wappen&#x017F;childe der Qua&#x017F;te, Ribbeck<lb/>
und No&#x017F;titz, hier richtet &#x017F;ich das prächtige Denkmal der Gebrüder<lb/>
Röbel auf, hier begegnen wir dem berühmten Steinaltar, den<lb/>
Rochus von Lynar der Kirche &#x017F;tiftete und hier endlich (in Front<lb/>
des Altars) erhebt &#x017F;ich das dreifußartige, &#x017F;chön&#x017F;te Kun&#x017F;tform<lb/>
zeigende Taufbecken, das zugleich die Stelle angiebt, wo unter<lb/>
dem E&#x017F;trich die Ueberre&#x017F;te Adam Schwarzenbergs ruhn. Zur<lb/>
Rechten die eigene Wappentafel des Grafen: der Rabe mit dem<lb/>
Türkenkopf.</p><lb/>
        <p>Alle die&#x017F;e Dinge indeß &#x017F;ind es nicht, die uns heute nach<lb/>
Sanct Nicolai in Spandau geführt haben, un&#x017F;er Be&#x017F;uch gilt<lb/>
vielmehr dem alten Thurme, zu de&#x017F;&#x017F;en Höhe ein Dutzend Trep-<lb/>
pen&#x017F;tiegen hinanführen. Viele die&#x017F;er Stiegen liegen im Dunkel,<lb/>
andre empfangen einen Schimmer durch einge&#x017F;chnittene Oeffnun-<lb/>
gen, alle aber &#x017F;ind bedrohlich durch ihre Steile und Gradlinig-<lb/>
keit und machen einem die Weisheit der alten Baumei&#x017F;ter wieder<lb/>
gegenwärtig, die ihre Treppen &#x017F;piralförmig durch die dicke Wan-<lb/>
dung der Thürme zogen und dadurch die Gefahr be&#x017F;eitigten,<lb/>
funfzig Fuß und mehr erbarmungslos hinab zu &#x017F;türzen.</p><lb/>
        <p>Die Treppe frei und gradlinig; und doch i&#x017F;t es ein Er&#x017F;tei-<lb/>
gen mit Hinderni&#x017F;&#x017F;en, die Schlü&#x017F;&#x017F;el ver&#x017F;agen den Dien&#x017F;t in den<lb/>
ro&#x017F;tigen Schlö&#x017F;&#x017F;ern; man merkt, daß die Höhe von Sanct Nico-<lb/>
lai zu Spandau keine täglichen Gä&#x017F;te hat, wie St. Stephan<lb/>
in Wien, oder St. Paul in London. Endlich &#x017F;ind wir an Uhr<lb/>
und Glockenwerken vorbei, haben das Schlü&#x017F;&#x017F;elbund, im Kampf<lb/>
mit Groß&#x017F;chlö&#x017F;&#x017F;ern und Vorlege&#x017F;chlö&#x017F;&#x017F;ern, &#x017F;iegreich durchprobirt<lb/>
und &#x017F;teigen nun durch eine letzte Klappenöffnung, in die luf-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[2/0020] Das Innere, ein ſeltner Fall bei renovirten Kirchen, bietet mehr als das Aeußere verſpricht. Emporen, wie Brückenbogen geſchwungen, ziehen ſich zwiſchen den grauweißen Pfeilern hin und wirken hier, in dem ſonſt ſchmuckloſen Gange faſt wie ein Ornament (das einzige) des Mittelſchiffes. Die Kirche ſelbſt, bei aller Schönheit, iſt kahl; im Chor aber drängen ſich die Erinnerungsſtücke, die der Kirche noch aus alter Zeit her geblieben ſind. Hier, an der Rundung des Gemäuers hin, hängen die Wappenſchilde der Quaſte, Ribbeck und Noſtitz, hier richtet ſich das prächtige Denkmal der Gebrüder Röbel auf, hier begegnen wir dem berühmten Steinaltar, den Rochus von Lynar der Kirche ſtiftete und hier endlich (in Front des Altars) erhebt ſich das dreifußartige, ſchönſte Kunſtform zeigende Taufbecken, das zugleich die Stelle angiebt, wo unter dem Eſtrich die Ueberreſte Adam Schwarzenbergs ruhn. Zur Rechten die eigene Wappentafel des Grafen: der Rabe mit dem Türkenkopf. Alle dieſe Dinge indeß ſind es nicht, die uns heute nach Sanct Nicolai in Spandau geführt haben, unſer Beſuch gilt vielmehr dem alten Thurme, zu deſſen Höhe ein Dutzend Trep- penſtiegen hinanführen. Viele dieſer Stiegen liegen im Dunkel, andre empfangen einen Schimmer durch eingeſchnittene Oeffnun- gen, alle aber ſind bedrohlich durch ihre Steile und Gradlinig- keit und machen einem die Weisheit der alten Baumeiſter wieder gegenwärtig, die ihre Treppen ſpiralförmig durch die dicke Wan- dung der Thürme zogen und dadurch die Gefahr beſeitigten, funfzig Fuß und mehr erbarmungslos hinab zu ſtürzen. Die Treppe frei und gradlinig; und doch iſt es ein Erſtei- gen mit Hinderniſſen, die Schlüſſel verſagen den Dienſt in den roſtigen Schlöſſern; man merkt, daß die Höhe von Sanct Nico- lai zu Spandau keine täglichen Gäſte hat, wie St. Stephan in Wien, oder St. Paul in London. Endlich ſind wir an Uhr und Glockenwerken vorbei, haben das Schlüſſelbund, im Kampf mit Großſchlöſſern und Vorlegeſchlöſſern, ſiegreich durchprobirt und ſteigen nun durch eine letzte Klappenöffnung, in die luf-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/20
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/20>, abgerufen am 22.11.2024.