sagung erfolgt sein könne. Diese Nachforschungen führten zuletzt auf eine mehr oder weniger alte Handschrift, die etwa um 1693 in der nachgelassenen Bibliothek des in dem genannten Jahre verstorbenen Kammergerichtsrath Seidel aufgefunden wor- den war.
Diese älteste Handschrift, die übrigens nie die Prätension erhob, das räthselvolle Original aus dem Jahre 1300 sein zu wollen, existirte bis 1796 im Staats-Archiv. In eben die- sem Jahre wurde sie durch Friedrich WilhelmII. nach Charlottenburg gefordert und von dort nicht wieder remittirt. Man muß annehmen, daß sie verloren gegangen ist. Die vier ältesten Abschriften, die jetzt noch in der König- lichen Bibliothek vorhanden sind, gehören, ihrer Schrift nach, dem Anfang des vorigen Jahrhunderts an. Jedenfalls also fehlt nicht nur das wirkliche Original, sondern auch alles, was sich als Original ausgeben könnte! Hiermit fällt die Möglichkeit fort, aus allerlei äußerlichen Anzeichen, wie Handschrift, Initialen, Pergament etc. irgend etwas für die Aechtheit oder Unächtheit beweisen zu wollen, und wir haben die Beweise dafür wo anders zu suchen. Solche Untersuchun- gen sind denn nun auch, gleich vom ersten Erscheinen der "Weissagung" an, vielfach angestellt worden, und haben im Lauf von anderthalb hundert Jahren zu einer ganzen Lite- ratur geführt. Katholischer- und seit einem Vierteljahrhundert auch demokratischerseits hat man eben so beharrlich die Aechtheit der Weissagung, wie protestantisch-preußischerseits die Unächtheit zu beweisen getrachtet. Nur wenige Ausnahmen von dieser Regel kommen vor. Die demokratischen Paraphrasen und Deu- tungen, die an die Weissagung anknüpfen, sind sämmtlich ten- denziöser Natur, bloße Pamphlete und haben keinen Anspruch, hier ernstlicher in Erwägung gezogen zu werden; sie rühren alle aus den Jahren 1848 und 1849 her und sind eigentlich nichts andres als (damals gern geglaubte) Versicherungen, der Stern der Hohenzollern sei im Erlöschen. Was die katholischen Arbei- ten angeht, die alle für die Aechtheit eintreten, so sind sicherlich
ſagung erfolgt ſein könne. Dieſe Nachforſchungen führten zuletzt auf eine mehr oder weniger alte Handſchrift, die etwa um 1693 in der nachgelaſſenen Bibliothek des in dem genannten Jahre verſtorbenen Kammergerichtsrath Seidel aufgefunden wor- den war.
Dieſe älteſte Handſchrift, die übrigens nie die Prätenſion erhob, das räthſelvolle Original aus dem Jahre 1300 ſein zu wollen, exiſtirte bis 1796 im Staats-Archiv. In eben die- ſem Jahre wurde ſie durch Friedrich WilhelmII. nach Charlottenburg gefordert und von dort nicht wieder remittirt. Man muß annehmen, daß ſie verloren gegangen iſt. Die vier älteſten Abſchriften, die jetzt noch in der König- lichen Bibliothek vorhanden ſind, gehören, ihrer Schrift nach, dem Anfang des vorigen Jahrhunderts an. Jedenfalls alſo fehlt nicht nur das wirkliche Original, ſondern auch alles, was ſich als Original ausgeben könnte! Hiermit fällt die Möglichkeit fort, aus allerlei äußerlichen Anzeichen, wie Handſchrift, Initialen, Pergament ꝛc. irgend etwas für die Aechtheit oder Unächtheit beweiſen zu wollen, und wir haben die Beweiſe dafür wo anders zu ſuchen. Solche Unterſuchun- gen ſind denn nun auch, gleich vom erſten Erſcheinen der „Weiſſagung“ an, vielfach angeſtellt worden, und haben im Lauf von anderthalb hundert Jahren zu einer ganzen Lite- ratur geführt. Katholiſcher- und ſeit einem Vierteljahrhundert auch demokratiſcherſeits hat man eben ſo beharrlich die Aechtheit der Weiſſagung, wie proteſtantiſch-preußiſcherſeits die Unächtheit zu beweiſen getrachtet. Nur wenige Ausnahmen von dieſer Regel kommen vor. Die demokratiſchen Paraphraſen und Deu- tungen, die an die Weiſſagung anknüpfen, ſind ſämmtlich ten- denziöſer Natur, bloße Pamphlete und haben keinen Anſpruch, hier ernſtlicher in Erwägung gezogen zu werden; ſie rühren alle aus den Jahren 1848 und 1849 her und ſind eigentlich nichts andres als (damals gern geglaubte) Verſicherungen, der Stern der Hohenzollern ſei im Erlöſchen. Was die katholiſchen Arbei- ten angeht, die alle für die Aechtheit eintreten, ſo ſind ſicherlich
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ſagung erfolgt ſein könne. Dieſe Nachforſchungen führten zuletzt
auf eine mehr oder weniger alte Handſchrift, die etwa um 1693
in der nachgelaſſenen Bibliothek des in dem genannten Jahre
verſtorbenen Kammergerichtsrath Seidel aufgefunden wor-
den war.
Dieſe älteſte Handſchrift, die übrigens nie die Prätenſion
erhob, das räthſelvolle Original aus dem Jahre 1300 ſein
zu wollen, exiſtirte bis 1796 im Staats-Archiv. In eben die-
ſem Jahre wurde ſie durch Friedrich Wilhelm II. nach
Charlottenburg gefordert und von dort nicht wieder
remittirt. Man muß annehmen, daß ſie verloren gegangen
iſt. Die vier älteſten Abſchriften, die jetzt noch in der König-
lichen Bibliothek vorhanden ſind, gehören, ihrer Schrift nach,
dem Anfang des vorigen Jahrhunderts an. Jedenfalls
alſo fehlt nicht nur das wirkliche Original, ſondern
auch alles, was ſich als Original ausgeben könnte! Hiermit
fällt die Möglichkeit fort, aus allerlei äußerlichen Anzeichen,
wie Handſchrift, Initialen, Pergament ꝛc. irgend etwas für die
Aechtheit oder Unächtheit beweiſen zu wollen, und wir haben
die Beweiſe dafür wo anders zu ſuchen. Solche Unterſuchun-
gen ſind denn nun auch, gleich vom erſten Erſcheinen der
„Weiſſagung“ an, vielfach angeſtellt worden, und haben im
Lauf von anderthalb hundert Jahren zu einer ganzen Lite-
ratur geführt. Katholiſcher- und ſeit einem Vierteljahrhundert
auch demokratiſcherſeits hat man eben ſo beharrlich die Aechtheit
der Weiſſagung, wie proteſtantiſch-preußiſcherſeits die Unächtheit
zu beweiſen getrachtet. Nur wenige Ausnahmen von dieſer
Regel kommen vor. Die demokratiſchen Paraphraſen und Deu-
tungen, die an die Weiſſagung anknüpfen, ſind ſämmtlich ten-
denziöſer Natur, bloße Pamphlete und haben keinen Anſpruch,
hier ernſtlicher in Erwägung gezogen zu werden; ſie rühren alle
aus den Jahren 1848 und 1849 her und ſind eigentlich nichts
andres als (damals gern geglaubte) Verſicherungen, der Stern
der Hohenzollern ſei im Erlöſchen. Was die katholiſchen Arbei-
ten angeht, die alle für die Aechtheit eintreten, ſo ſind ſicherlich
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/129>, abgerufen am 26.11.2024.
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