Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

Bild:
<< vorherige Seite

existirte, ist niedergerissen, und statt des Grabsteins des Er-
mordeten, der fünf Jahrhunderte lang seinen Namen und die
Daten seines Lebens bewahrt hatte, erzählen nur noch die bei-
den alten Bilder im Querschiff die Geschichte seines Todes.
Diese Bilder, wichtig wie sie sind, sind alles andre eher als
ein Schmuck. Zu dem Grauen über die That gesellt sich ein
Unbehagen über die Häßlichkeit der Darstellung, die diese That
gefunden. Das ursprünglich bessere Bild ist kaum noch erkennbar.

Es ist ein trister Aufenthalt, diese Klosterkirche von Lehnin,
aber ein Bild anheimelnder Schönheit thut sich vor uns auf,
sobald wir aus der öden freudlosen Kirche mit ihren hohen,
weißgetünchten Pfeilern in's Freie treten und nun die Scenerie
der unmittelbaren Umgebung auf uns wirken lassen: das Stehen-
gebliebene und das Zerfallene, Altes und Neues, Kunst und
Natur. Innen hatten wir die nackte, nur kümmerlich bei Leben
erhaltene Existenz, die immer trister ist als Tod und Zerstörung,
draußen haben wir die ganze Poesie des Verfalls, den alten
Zauber, der überall da waltet, wo die ewig junge Natur das
zerbröckelte Menschenwerk liebevoll in ihren Arm nimmt. Hohe
Park- und Gartenbäume, Kastanien, Pappeln, Linden, haben
den ganzen Bau wie in eine grüne Riesenlaube eingesponnen,
und was die Bäume am Ganzen thun, das thun hundert
Sträucher an hundert einzelnen Theilen. Himbeerbüsche, von
Epheuranken wunderbar durchflochten, sitzen wie ein grotesker
Kopfputz auf Säulen- und Pfeilerresten, Weinspaliere ziehn sich
an der Südseite des Hauptschiffs entlang, und überall in die
zerbröckelten Fundamente nestelt sich jenes bunte, rankenziehende
Gestrüpp ein, das die Mitte hält zwischen Unkraut und Blu-
men. So ist es hier Sommer lang. Dann kommt der Herbst,
der Spätherbst, und das Bild wird farbenreicher denn zuvor.
Auf den hohen Pfeilertrümmern wachsen Ebreschen und Berbe-
ritzensträucher, jeder Zweig steht in Frucht, und die Schul-
jugend jagt und klettert umher und lacht mit rothen Gesichtern
aus den rothen Beeren heraus. Aber wenn die Sonne unter
ist, geben sie das Spiel in den Trümmern auf, und wer dann

exiſtirte, iſt niedergeriſſen, und ſtatt des Grabſteins des Er-
mordeten, der fünf Jahrhunderte lang ſeinen Namen und die
Daten ſeines Lebens bewahrt hatte, erzählen nur noch die bei-
den alten Bilder im Querſchiff die Geſchichte ſeines Todes.
Dieſe Bilder, wichtig wie ſie ſind, ſind alles andre eher als
ein Schmuck. Zu dem Grauen über die That geſellt ſich ein
Unbehagen über die Häßlichkeit der Darſtellung, die dieſe That
gefunden. Das urſprünglich beſſere Bild iſt kaum noch erkennbar.

Es iſt ein triſter Aufenthalt, dieſe Kloſterkirche von Lehnin,
aber ein Bild anheimelnder Schönheit thut ſich vor uns auf,
ſobald wir aus der öden freudloſen Kirche mit ihren hohen,
weißgetünchten Pfeilern in’s Freie treten und nun die Scenerie
der unmittelbaren Umgebung auf uns wirken laſſen: das Stehen-
gebliebene und das Zerfallene, Altes und Neues, Kunſt und
Natur. Innen hatten wir die nackte, nur kümmerlich bei Leben
erhaltene Exiſtenz, die immer triſter iſt als Tod und Zerſtörung,
draußen haben wir die ganze Poeſie des Verfalls, den alten
Zauber, der überall da waltet, wo die ewig junge Natur das
zerbröckelte Menſchenwerk liebevoll in ihren Arm nimmt. Hohe
Park- und Gartenbäume, Kaſtanien, Pappeln, Linden, haben
den ganzen Bau wie in eine grüne Rieſenlaube eingeſponnen,
und was die Bäume am Ganzen thun, das thun hundert
Sträucher an hundert einzelnen Theilen. Himbeerbüſche, von
Epheuranken wunderbar durchflochten, ſitzen wie ein grotesker
Kopfputz auf Säulen- und Pfeilerreſten, Weinſpaliere ziehn ſich
an der Südſeite des Hauptſchiffs entlang, und überall in die
zerbröckelten Fundamente neſtelt ſich jenes bunte, rankenziehende
Geſtrüpp ein, das die Mitte hält zwiſchen Unkraut und Blu-
men. So iſt es hier Sommer lang. Dann kommt der Herbſt,
der Spätherbſt, und das Bild wird farbenreicher denn zuvor.
Auf den hohen Pfeilertrümmern wachſen Ebreſchen und Berbe-
ritzenſträucher, jeder Zweig ſteht in Frucht, und die Schul-
jugend jagt und klettert umher und lacht mit rothen Geſichtern
aus den rothen Beeren heraus. Aber wenn die Sonne unter
iſt, geben ſie das Spiel in den Trümmern auf, und wer dann

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0126" n="108"/>
exi&#x017F;tirte, i&#x017F;t niedergeri&#x017F;&#x017F;en, und &#x017F;tatt des Grab&#x017F;teins des Er-<lb/>
mordeten, der fünf Jahrhunderte lang &#x017F;einen Namen und die<lb/>
Daten &#x017F;eines Lebens bewahrt hatte, erzählen nur noch die bei-<lb/>
den alten Bilder im Quer&#x017F;chiff die Ge&#x017F;chichte &#x017F;eines Todes.<lb/>
Die&#x017F;e Bilder, wichtig wie &#x017F;ie &#x017F;ind, &#x017F;ind alles andre eher als<lb/>
ein Schmuck. Zu dem Grauen über die That ge&#x017F;ellt &#x017F;ich ein<lb/>
Unbehagen über die Häßlichkeit der Dar&#x017F;tellung, die die&#x017F;e That<lb/>
gefunden. Das ur&#x017F;prünglich be&#x017F;&#x017F;ere Bild i&#x017F;t kaum noch erkennbar.</p><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t ein tri&#x017F;ter Aufenthalt, die&#x017F;e Klo&#x017F;terkirche von Lehnin,<lb/>
aber ein Bild anheimelnder Schönheit thut &#x017F;ich vor uns auf,<lb/>
&#x017F;obald wir aus der öden freudlo&#x017F;en Kirche mit ihren hohen,<lb/>
weißgetünchten Pfeilern in&#x2019;s Freie treten und nun die Scenerie<lb/>
der unmittelbaren Umgebung auf uns wirken la&#x017F;&#x017F;en: das Stehen-<lb/>
gebliebene und das Zerfallene, Altes und Neues, Kun&#x017F;t und<lb/>
Natur. Innen hatten wir die nackte, nur kümmerlich bei Leben<lb/>
erhaltene Exi&#x017F;tenz, die immer tri&#x017F;ter i&#x017F;t als Tod und Zer&#x017F;törung,<lb/>
draußen haben wir die ganze Poe&#x017F;ie des Verfalls, den alten<lb/>
Zauber, der überall da waltet, wo die ewig junge Natur das<lb/>
zerbröckelte Men&#x017F;chenwerk liebevoll in ihren Arm nimmt. Hohe<lb/>
Park- und Gartenbäume, Ka&#x017F;tanien, Pappeln, Linden, haben<lb/>
den ganzen Bau wie in eine grüne Rie&#x017F;enlaube einge&#x017F;ponnen,<lb/>
und was die Bäume am Ganzen thun, das thun hundert<lb/>
Sträucher an hundert einzelnen Theilen. Himbeerbü&#x017F;che, von<lb/>
Epheuranken wunderbar durchflochten, &#x017F;itzen wie ein grotesker<lb/>
Kopfputz auf Säulen- und Pfeilerre&#x017F;ten, Wein&#x017F;paliere ziehn &#x017F;ich<lb/>
an der Süd&#x017F;eite des Haupt&#x017F;chiffs entlang, und überall in die<lb/>
zerbröckelten Fundamente ne&#x017F;telt &#x017F;ich jenes bunte, rankenziehende<lb/>
Ge&#x017F;trüpp ein, das die Mitte hält zwi&#x017F;chen Unkraut und Blu-<lb/>
men. So i&#x017F;t es hier Sommer lang. Dann kommt der Herb&#x017F;t,<lb/>
der Spätherb&#x017F;t, und das Bild wird farbenreicher denn zuvor.<lb/>
Auf den hohen Pfeilertrümmern wach&#x017F;en Ebre&#x017F;chen und Berbe-<lb/>
ritzen&#x017F;träucher, jeder Zweig &#x017F;teht in Frucht, und die Schul-<lb/>
jugend jagt und klettert umher und lacht mit rothen Ge&#x017F;ichtern<lb/>
aus den rothen Beeren heraus. Aber wenn die Sonne unter<lb/>
i&#x017F;t, geben &#x017F;ie das Spiel in den Trümmern auf, und wer dann<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[108/0126] exiſtirte, iſt niedergeriſſen, und ſtatt des Grabſteins des Er- mordeten, der fünf Jahrhunderte lang ſeinen Namen und die Daten ſeines Lebens bewahrt hatte, erzählen nur noch die bei- den alten Bilder im Querſchiff die Geſchichte ſeines Todes. Dieſe Bilder, wichtig wie ſie ſind, ſind alles andre eher als ein Schmuck. Zu dem Grauen über die That geſellt ſich ein Unbehagen über die Häßlichkeit der Darſtellung, die dieſe That gefunden. Das urſprünglich beſſere Bild iſt kaum noch erkennbar. Es iſt ein triſter Aufenthalt, dieſe Kloſterkirche von Lehnin, aber ein Bild anheimelnder Schönheit thut ſich vor uns auf, ſobald wir aus der öden freudloſen Kirche mit ihren hohen, weißgetünchten Pfeilern in’s Freie treten und nun die Scenerie der unmittelbaren Umgebung auf uns wirken laſſen: das Stehen- gebliebene und das Zerfallene, Altes und Neues, Kunſt und Natur. Innen hatten wir die nackte, nur kümmerlich bei Leben erhaltene Exiſtenz, die immer triſter iſt als Tod und Zerſtörung, draußen haben wir die ganze Poeſie des Verfalls, den alten Zauber, der überall da waltet, wo die ewig junge Natur das zerbröckelte Menſchenwerk liebevoll in ihren Arm nimmt. Hohe Park- und Gartenbäume, Kaſtanien, Pappeln, Linden, haben den ganzen Bau wie in eine grüne Rieſenlaube eingeſponnen, und was die Bäume am Ganzen thun, das thun hundert Sträucher an hundert einzelnen Theilen. Himbeerbüſche, von Epheuranken wunderbar durchflochten, ſitzen wie ein grotesker Kopfputz auf Säulen- und Pfeilerreſten, Weinſpaliere ziehn ſich an der Südſeite des Hauptſchiffs entlang, und überall in die zerbröckelten Fundamente neſtelt ſich jenes bunte, rankenziehende Geſtrüpp ein, das die Mitte hält zwiſchen Unkraut und Blu- men. So iſt es hier Sommer lang. Dann kommt der Herbſt, der Spätherbſt, und das Bild wird farbenreicher denn zuvor. Auf den hohen Pfeilertrümmern wachſen Ebreſchen und Berbe- ritzenſträucher, jeder Zweig ſteht in Frucht, und die Schul- jugend jagt und klettert umher und lacht mit rothen Geſichtern aus den rothen Beeren heraus. Aber wenn die Sonne unter iſt, geben ſie das Spiel in den Trümmern auf, und wer dann

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/126
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/126>, abgerufen am 03.05.2024.