existirte, ist niedergerissen, und statt des Grabsteins des Er- mordeten, der fünf Jahrhunderte lang seinen Namen und die Daten seines Lebens bewahrt hatte, erzählen nur noch die bei- den alten Bilder im Querschiff die Geschichte seines Todes. Diese Bilder, wichtig wie sie sind, sind alles andre eher als ein Schmuck. Zu dem Grauen über die That gesellt sich ein Unbehagen über die Häßlichkeit der Darstellung, die diese That gefunden. Das ursprünglich bessere Bild ist kaum noch erkennbar.
Es ist ein trister Aufenthalt, diese Klosterkirche von Lehnin, aber ein Bild anheimelnder Schönheit thut sich vor uns auf, sobald wir aus der öden freudlosen Kirche mit ihren hohen, weißgetünchten Pfeilern in's Freie treten und nun die Scenerie der unmittelbaren Umgebung auf uns wirken lassen: das Stehen- gebliebene und das Zerfallene, Altes und Neues, Kunst und Natur. Innen hatten wir die nackte, nur kümmerlich bei Leben erhaltene Existenz, die immer trister ist als Tod und Zerstörung, draußen haben wir die ganze Poesie des Verfalls, den alten Zauber, der überall da waltet, wo die ewig junge Natur das zerbröckelte Menschenwerk liebevoll in ihren Arm nimmt. Hohe Park- und Gartenbäume, Kastanien, Pappeln, Linden, haben den ganzen Bau wie in eine grüne Riesenlaube eingesponnen, und was die Bäume am Ganzen thun, das thun hundert Sträucher an hundert einzelnen Theilen. Himbeerbüsche, von Epheuranken wunderbar durchflochten, sitzen wie ein grotesker Kopfputz auf Säulen- und Pfeilerresten, Weinspaliere ziehn sich an der Südseite des Hauptschiffs entlang, und überall in die zerbröckelten Fundamente nestelt sich jenes bunte, rankenziehende Gestrüpp ein, das die Mitte hält zwischen Unkraut und Blu- men. So ist es hier Sommer lang. Dann kommt der Herbst, der Spätherbst, und das Bild wird farbenreicher denn zuvor. Auf den hohen Pfeilertrümmern wachsen Ebreschen und Berbe- ritzensträucher, jeder Zweig steht in Frucht, und die Schul- jugend jagt und klettert umher und lacht mit rothen Gesichtern aus den rothen Beeren heraus. Aber wenn die Sonne unter ist, geben sie das Spiel in den Trümmern auf, und wer dann
exiſtirte, iſt niedergeriſſen, und ſtatt des Grabſteins des Er- mordeten, der fünf Jahrhunderte lang ſeinen Namen und die Daten ſeines Lebens bewahrt hatte, erzählen nur noch die bei- den alten Bilder im Querſchiff die Geſchichte ſeines Todes. Dieſe Bilder, wichtig wie ſie ſind, ſind alles andre eher als ein Schmuck. Zu dem Grauen über die That geſellt ſich ein Unbehagen über die Häßlichkeit der Darſtellung, die dieſe That gefunden. Das urſprünglich beſſere Bild iſt kaum noch erkennbar.
Es iſt ein triſter Aufenthalt, dieſe Kloſterkirche von Lehnin, aber ein Bild anheimelnder Schönheit thut ſich vor uns auf, ſobald wir aus der öden freudloſen Kirche mit ihren hohen, weißgetünchten Pfeilern in’s Freie treten und nun die Scenerie der unmittelbaren Umgebung auf uns wirken laſſen: das Stehen- gebliebene und das Zerfallene, Altes und Neues, Kunſt und Natur. Innen hatten wir die nackte, nur kümmerlich bei Leben erhaltene Exiſtenz, die immer triſter iſt als Tod und Zerſtörung, draußen haben wir die ganze Poeſie des Verfalls, den alten Zauber, der überall da waltet, wo die ewig junge Natur das zerbröckelte Menſchenwerk liebevoll in ihren Arm nimmt. Hohe Park- und Gartenbäume, Kaſtanien, Pappeln, Linden, haben den ganzen Bau wie in eine grüne Rieſenlaube eingeſponnen, und was die Bäume am Ganzen thun, das thun hundert Sträucher an hundert einzelnen Theilen. Himbeerbüſche, von Epheuranken wunderbar durchflochten, ſitzen wie ein grotesker Kopfputz auf Säulen- und Pfeilerreſten, Weinſpaliere ziehn ſich an der Südſeite des Hauptſchiffs entlang, und überall in die zerbröckelten Fundamente neſtelt ſich jenes bunte, rankenziehende Geſtrüpp ein, das die Mitte hält zwiſchen Unkraut und Blu- men. So iſt es hier Sommer lang. Dann kommt der Herbſt, der Spätherbſt, und das Bild wird farbenreicher denn zuvor. Auf den hohen Pfeilertrümmern wachſen Ebreſchen und Berbe- ritzenſträucher, jeder Zweig ſteht in Frucht, und die Schul- jugend jagt und klettert umher und lacht mit rothen Geſichtern aus den rothen Beeren heraus. Aber wenn die Sonne unter iſt, geben ſie das Spiel in den Trümmern auf, und wer dann
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exiſtirte, iſt niedergeriſſen, und ſtatt des Grabſteins des Er-
mordeten, der fünf Jahrhunderte lang ſeinen Namen und die
Daten ſeines Lebens bewahrt hatte, erzählen nur noch die bei-
den alten Bilder im Querſchiff die Geſchichte ſeines Todes.
Dieſe Bilder, wichtig wie ſie ſind, ſind alles andre eher als
ein Schmuck. Zu dem Grauen über die That geſellt ſich ein
Unbehagen über die Häßlichkeit der Darſtellung, die dieſe That
gefunden. Das urſprünglich beſſere Bild iſt kaum noch erkennbar.
Es iſt ein triſter Aufenthalt, dieſe Kloſterkirche von Lehnin,
aber ein Bild anheimelnder Schönheit thut ſich vor uns auf,
ſobald wir aus der öden freudloſen Kirche mit ihren hohen,
weißgetünchten Pfeilern in’s Freie treten und nun die Scenerie
der unmittelbaren Umgebung auf uns wirken laſſen: das Stehen-
gebliebene und das Zerfallene, Altes und Neues, Kunſt und
Natur. Innen hatten wir die nackte, nur kümmerlich bei Leben
erhaltene Exiſtenz, die immer triſter iſt als Tod und Zerſtörung,
draußen haben wir die ganze Poeſie des Verfalls, den alten
Zauber, der überall da waltet, wo die ewig junge Natur das
zerbröckelte Menſchenwerk liebevoll in ihren Arm nimmt. Hohe
Park- und Gartenbäume, Kaſtanien, Pappeln, Linden, haben
den ganzen Bau wie in eine grüne Rieſenlaube eingeſponnen,
und was die Bäume am Ganzen thun, das thun hundert
Sträucher an hundert einzelnen Theilen. Himbeerbüſche, von
Epheuranken wunderbar durchflochten, ſitzen wie ein grotesker
Kopfputz auf Säulen- und Pfeilerreſten, Weinſpaliere ziehn ſich
an der Südſeite des Hauptſchiffs entlang, und überall in die
zerbröckelten Fundamente neſtelt ſich jenes bunte, rankenziehende
Geſtrüpp ein, das die Mitte hält zwiſchen Unkraut und Blu-
men. So iſt es hier Sommer lang. Dann kommt der Herbſt,
der Spätherbſt, und das Bild wird farbenreicher denn zuvor.
Auf den hohen Pfeilertrümmern wachſen Ebreſchen und Berbe-
ritzenſträucher, jeder Zweig ſteht in Frucht, und die Schul-
jugend jagt und klettert umher und lacht mit rothen Geſichtern
aus den rothen Beeren heraus. Aber wenn die Sonne unter
iſt, geben ſie das Spiel in den Trümmern auf, und wer dann
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/126>, abgerufen am 26.11.2024.
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