Dosa-Fluß (an der Dosse), aber ihre Kraft war ungebrochen, und der Tag kam heran, der bestimmt war, den bis dahin stets unterlegenen Aufständen zu einem Siege zu verhelfen. Dies war die Schlacht am Tanger-Fluß 983. Da von diesem Siegestage der Wenden an, das nach so vielen Niederlagen schon halb todt geglaubte Wendenthum einen neuen Aufschwung nahm und noch einmal in aller Macht und Furchtbarkeit aufblühte, so mag es gestattet sein, bei den Vorgängen einen Augenblick zu verweilen, die zu dieser Schlacht und dem ihr voraufgehen- den großen Wenden-Aufstande führten.
Mistiwoi war Obotritenfürst und bereits Christ geworden. Er hielt zum Herzog Bernhard, der damals Markgraf der Nord- mark war, und fühlte sich dem Markgrafen an Macht, Geburt und Ansehen nah genug, um um dessen Nichte anzuhalten. Der Markgraf versprach sie ihm; Mistiwoi aber, um ganz in die Reihe christlicher Fürsten einzutreten, zog zunächst mit 1000 wendischen Edelleuten nach Italien und focht an Kaiser Otto's Seite in der großen Schlacht bei Basantello. Als er zurück- gekehrt war, erschien er vor Markgraf Bernhard und bat um die Hand der Nichte. Dieser schwankte einen Augenblick, und ein andrer deutscher Fürst, der neben dem Markgrafen stand, raunte diesem zu: "Mit nichten; eines deutschen Herzogs Bluts- verwandte gehört nicht an die Seite eines wendischen Hun- des." Mistiwoi hatte gehört, was der Nebenstehende halblaut vor sich hin gesprochen hatte, und verließ die Halle. Bern- hard, der ahnen mochte, was folgen werde, schickte ihm Boten nach, aber umsonst; der tödtlich verletzte Wendenfürst ließ nur antworten: "Der Tag kommt, wo die Hunde beißen." Er ging nun nach Rhetra, wo der Haupttempel aller wendischen Stämme stand, und rief -- die Obotriten standen selbstverständlich zu ihm -- auch alle liutizischen Fürsten zusammen und erzählte ihnen die erlittene Schmach. Dann that er sein Christenthum von sich und bekannte sich vor dem Bilde Radegast's auf's Neue zu den alten Göttern. Darauf ließ er dem Sachsengrafen sagen: "Nun hab Acht, Mistiwoi der Hund kommt, um zu
Doſa-Fluß (an der Doſſe), aber ihre Kraft war ungebrochen, und der Tag kam heran, der beſtimmt war, den bis dahin ſtets unterlegenen Aufſtänden zu einem Siege zu verhelfen. Dies war die Schlacht am Tanger-Fluß 983. Da von dieſem Siegestage der Wenden an, das nach ſo vielen Niederlagen ſchon halb todt geglaubte Wendenthum einen neuen Aufſchwung nahm und noch einmal in aller Macht und Furchtbarkeit aufblühte, ſo mag es geſtattet ſein, bei den Vorgängen einen Augenblick zu verweilen, die zu dieſer Schlacht und dem ihr voraufgehen- den großen Wenden-Aufſtande führten.
Miſtiwoi war Obotritenfürſt und bereits Chriſt geworden. Er hielt zum Herzog Bernhard, der damals Markgraf der Nord- mark war, und fühlte ſich dem Markgrafen an Macht, Geburt und Anſehen nah genug, um um deſſen Nichte anzuhalten. Der Markgraf verſprach ſie ihm; Miſtiwoi aber, um ganz in die Reihe chriſtlicher Fürſten einzutreten, zog zunächſt mit 1000 wendiſchen Edelleuten nach Italien und focht an Kaiſer Otto’s Seite in der großen Schlacht bei Baſantello. Als er zurück- gekehrt war, erſchien er vor Markgraf Bernhard und bat um die Hand der Nichte. Dieſer ſchwankte einen Augenblick, und ein andrer deutſcher Fürſt, der neben dem Markgrafen ſtand, raunte dieſem zu: „Mit nichten; eines deutſchen Herzogs Bluts- verwandte gehört nicht an die Seite eines wendiſchen Hun- des.“ Miſtiwoi hatte gehört, was der Nebenſtehende halblaut vor ſich hin geſprochen hatte, und verließ die Halle. Bern- hard, der ahnen mochte, was folgen werde, ſchickte ihm Boten nach, aber umſonſt; der tödtlich verletzte Wendenfürſt ließ nur antworten: „Der Tag kommt, wo die Hunde beißen.“ Er ging nun nach Rhetra, wo der Haupttempel aller wendiſchen Stämme ſtand, und rief — die Obotriten ſtanden ſelbſtverſtändlich zu ihm — auch alle liutiziſchen Fürſten zuſammen und erzählte ihnen die erlittene Schmach. Dann that er ſein Chriſtenthum von ſich und bekannte ſich vor dem Bilde Radegaſt’s auf’s Neue zu den alten Göttern. Darauf ließ er dem Sachſengrafen ſagen: „Nun hab Acht, Miſtiwoi der Hund kommt, um zu
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Doſa-Fluß (an der Doſſe), aber ihre Kraft war ungebrochen,
und der Tag kam heran, der beſtimmt war, den bis dahin ſtets
unterlegenen Aufſtänden zu einem Siege zu verhelfen. Dies
war die Schlacht am Tanger-Fluß 983. Da von dieſem
Siegestage der Wenden an, das nach ſo vielen Niederlagen ſchon
halb todt geglaubte Wendenthum einen neuen Aufſchwung nahm
und noch einmal in aller Macht und Furchtbarkeit aufblühte,
ſo mag es geſtattet ſein, bei den Vorgängen einen Augenblick
zu verweilen, die zu dieſer Schlacht und dem ihr voraufgehen-
den großen Wenden-Aufſtande führten.
Miſtiwoi war Obotritenfürſt und bereits Chriſt geworden.
Er hielt zum Herzog Bernhard, der damals Markgraf der Nord-
mark war, und fühlte ſich dem Markgrafen an Macht, Geburt
und Anſehen nah genug, um um deſſen Nichte anzuhalten. Der
Markgraf verſprach ſie ihm; Miſtiwoi aber, um ganz in die
Reihe chriſtlicher Fürſten einzutreten, zog zunächſt mit 1000
wendiſchen Edelleuten nach Italien und focht an Kaiſer Otto’s
Seite in der großen Schlacht bei Baſantello. Als er zurück-
gekehrt war, erſchien er vor Markgraf Bernhard und bat um
die Hand der Nichte. Dieſer ſchwankte einen Augenblick, und
ein andrer deutſcher Fürſt, der neben dem Markgrafen ſtand,
raunte dieſem zu: „Mit nichten; eines deutſchen Herzogs Bluts-
verwandte gehört nicht an die Seite eines wendiſchen Hun-
des.“ Miſtiwoi hatte gehört, was der Nebenſtehende halblaut
vor ſich hin geſprochen hatte, und verließ die Halle. Bern-
hard, der ahnen mochte, was folgen werde, ſchickte ihm Boten
nach, aber umſonſt; der tödtlich verletzte Wendenfürſt ließ nur
antworten: „Der Tag kommt, wo die Hunde beißen.“ Er ging
nun nach Rhetra, wo der Haupttempel aller wendiſchen Stämme
ſtand, und rief — die Obotriten ſtanden ſelbſtverſtändlich zu
ihm — auch alle liutiziſchen Fürſten zuſammen und erzählte
ihnen die erlittene Schmach. Dann that er ſein Chriſtenthum
von ſich und bekannte ſich vor dem Bilde Radegaſt’s auf’s Neue
zu den alten Göttern. Darauf ließ er dem Sachſengrafen
ſagen: „Nun hab Acht, Miſtiwoi der Hund kommt, um zu
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/28>, abgerufen am 26.11.2024.
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