Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

Bild:
<< vorherige Seite

So ging die Rede. Noch manches Wort fiel, vom Ziegel-
betrieb, von Maulbeerbäumen und Seidenzucht, vom Kornhandel
nach Sachsen, vom Weinbau, der einst an diesen Hügelhängen
blühte, zuletzt von der Jagd und den Wilderern am Schwi-
low hin.

"Sie treiben's arg," hob unser Erzähler wieder an. "In
den kleinen Ortschaften, da, südlich über Ferch hinaus, da sitzen
sie; jeder kennt sie, aber keiner kann es beweisen. In Kittel
oder Joppe geht es zum Thor hinaus, tausend Schritt weiter
hin, unter einem dichten Wachholderbusch, hat er seine Büchse
vergraben; nun holt er sie aus Moos und Erde hervor und
-- der Wilderer ist fertig. Ja, Ihr Herren Berliner, -- und
dabei hob er scherzhaft den Finger gegen mich -- um Euren
Festbraten säh' es schlecht aus, wenn die Wilderer nicht wären
und ihren Hals dran setzten. Wenn der Rehrücken erst auf
der Tafel steht, schmeckt's keiner mehr, wessen Blei ihn getroffen.
Manch Einem mundet's auch wohl um so besser, je mehr er
weiß, es ist so was wie verbotene Frucht. Aber sie zu
pflücken, ist mühevoll; das muß wahr sein. Der Förster da
unten ist ihnen zu hart auf der Spur, der versteht keinen Spaß,
"du oder ich;" zwei haben's schon bezahlen müssen und beide
Male haben ihn die Gerichte freigesprochen. Es ist ein eigen
Ding um Menschenblut. Ich hätt's nicht gern an meinen
Händen. Aber am Ende, wenn's hieße: meins oder deins, ich
dächt' auch lieber: deins."

Unser Auge hatte sich unwillkürlich nach Ferch hinüber-
gerichtet; ein Schuß, der in den weiten Waldungen widerhallte,
durchzitterte uns leise. Die Sonne neigte sich; in einer Viertel-
stunde mußte sie unter sein. Wir eilten zu unserm Boot und
nahmen, uns rückwärts setzend, unseren Blick gegen Westen,
um vom Wasser aus dem Schauspiel folgen zu können.

Noch eh wir die Mitte des Sees erreicht, hing der rothe
Ball über dem Sparren- und Schattengerüst der Zugbrücke von
Baumgartenbrück, während das glühende Spiegelbild der Sonne
nur drei Handbreit tiefer stand. Die eine Sonne dicht über

So ging die Rede. Noch manches Wort fiel, vom Ziegel-
betrieb, von Maulbeerbäumen und Seidenzucht, vom Kornhandel
nach Sachſen, vom Weinbau, der einſt an dieſen Hügelhängen
blühte, zuletzt von der Jagd und den Wilderern am Schwi-
low hin.

„Sie treiben’s arg,“ hob unſer Erzähler wieder an. „In
den kleinen Ortſchaften, da, ſüdlich über Ferch hinaus, da ſitzen
ſie; jeder kennt ſie, aber keiner kann es beweiſen. In Kittel
oder Joppe geht es zum Thor hinaus, tauſend Schritt weiter
hin, unter einem dichten Wachholderbuſch, hat er ſeine Büchſe
vergraben; nun holt er ſie aus Moos und Erde hervor und
— der Wilderer iſt fertig. Ja, Ihr Herren Berliner, — und
dabei hob er ſcherzhaft den Finger gegen mich — um Euren
Feſtbraten ſäh’ es ſchlecht aus, wenn die Wilderer nicht wären
und ihren Hals dran ſetzten. Wenn der Rehrücken erſt auf
der Tafel ſteht, ſchmeckt’s keiner mehr, weſſen Blei ihn getroffen.
Manch Einem mundet’s auch wohl um ſo beſſer, je mehr er
weiß, es iſt ſo was wie verbotene Frucht. Aber ſie zu
pflücken, iſt mühevoll; das muß wahr ſein. Der Förſter da
unten iſt ihnen zu hart auf der Spur, der verſteht keinen Spaß,
„du oder ich;“ zwei haben’s ſchon bezahlen müſſen und beide
Male haben ihn die Gerichte freigeſprochen. Es iſt ein eigen
Ding um Menſchenblut. Ich hätt’s nicht gern an meinen
Händen. Aber am Ende, wenn’s hieße: meins oder deins, ich
dächt’ auch lieber: deins.“

Unſer Auge hatte ſich unwillkürlich nach Ferch hinüber-
gerichtet; ein Schuß, der in den weiten Waldungen widerhallte,
durchzitterte uns leiſe. Die Sonne neigte ſich; in einer Viertel-
ſtunde mußte ſie unter ſein. Wir eilten zu unſerm Boot und
nahmen, uns rückwärts ſetzend, unſeren Blick gegen Weſten,
um vom Waſſer aus dem Schauſpiel folgen zu können.

Noch eh wir die Mitte des Sees erreicht, hing der rothe
Ball über dem Sparren- und Schattengerüſt der Zugbrücke von
Baumgartenbrück, während das glühende Spiegelbild der Sonne
nur drei Handbreit tiefer ſtand. Die eine Sonne dicht über

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0185" n="167"/>
        <p>So ging die Rede. Noch manches Wort fiel, vom Ziegel-<lb/>
betrieb, von Maulbeerbäumen und Seidenzucht, vom Kornhandel<lb/>
nach Sach&#x017F;en, vom Weinbau, der ein&#x017F;t an die&#x017F;en Hügelhängen<lb/>
blühte, zuletzt von der Jagd und den <hi rendition="#g">Wilderern</hi> am Schwi-<lb/>
low hin.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sie treiben&#x2019;s arg,&#x201C; hob un&#x017F;er Erzähler wieder an. &#x201E;In<lb/>
den kleinen Ort&#x017F;chaften, da, &#x017F;üdlich über Ferch hinaus, da &#x017F;itzen<lb/>
&#x017F;ie; jeder kennt &#x017F;ie, aber keiner kann es bewei&#x017F;en. In Kittel<lb/>
oder Joppe geht es zum Thor hinaus, tau&#x017F;end Schritt weiter<lb/>
hin, unter einem dichten Wachholderbu&#x017F;ch, hat er &#x017F;eine Büch&#x017F;e<lb/>
vergraben; nun holt er &#x017F;ie aus Moos und Erde hervor und<lb/>
&#x2014; der Wilderer i&#x017F;t fertig. Ja, Ihr Herren Berliner, &#x2014; und<lb/>
dabei hob er &#x017F;cherzhaft den Finger gegen mich &#x2014; um Euren<lb/>
Fe&#x017F;tbraten &#x017F;äh&#x2019; es &#x017F;chlecht aus, wenn die Wilderer nicht wären<lb/>
und ihren Hals dran &#x017F;etzten. Wenn der Rehrücken er&#x017F;t auf<lb/>
der Tafel &#x017F;teht, &#x017F;chmeckt&#x2019;s keiner mehr, we&#x017F;&#x017F;en Blei ihn getroffen.<lb/>
Manch Einem mundet&#x2019;s auch wohl um &#x017F;o be&#x017F;&#x017F;er, je mehr er<lb/>
weiß, es i&#x017F;t &#x017F;o was wie verbotene Frucht. Aber &#x017F;ie zu<lb/><hi rendition="#g">pflücken</hi>, i&#x017F;t mühevoll; das muß wahr &#x017F;ein. Der För&#x017F;ter da<lb/>
unten i&#x017F;t ihnen zu hart auf der Spur, der ver&#x017F;teht keinen Spaß,<lb/>
&#x201E;du oder ich;&#x201C; zwei haben&#x2019;s &#x017F;chon bezahlen mü&#x017F;&#x017F;en und beide<lb/>
Male haben ihn die Gerichte freige&#x017F;prochen. Es i&#x017F;t ein eigen<lb/>
Ding um Men&#x017F;chenblut. Ich hätt&#x2019;s nicht gern an meinen<lb/>
Händen. Aber am Ende, wenn&#x2019;s hieße: meins oder deins, ich<lb/>
dächt&#x2019; auch lieber: deins.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Un&#x017F;er Auge hatte &#x017F;ich unwillkürlich nach Ferch hinüber-<lb/>
gerichtet; ein Schuß, der in den weiten Waldungen widerhallte,<lb/>
durchzitterte uns lei&#x017F;e. Die Sonne neigte &#x017F;ich; in einer Viertel-<lb/>
&#x017F;tunde mußte &#x017F;ie unter &#x017F;ein. Wir eilten zu un&#x017F;erm Boot und<lb/>
nahmen, uns rückwärts &#x017F;etzend, un&#x017F;eren Blick gegen We&#x017F;ten,<lb/>
um vom Wa&#x017F;&#x017F;er aus dem Schau&#x017F;piel folgen zu können.</p><lb/>
        <p>Noch eh wir die Mitte des Sees erreicht, hing der rothe<lb/>
Ball über dem Sparren- und Schattengerü&#x017F;t der Zugbrücke von<lb/>
Baumgartenbrück, während das glühende Spiegelbild der Sonne<lb/>
nur drei Handbreit tiefer &#x017F;tand. Die <hi rendition="#g">eine</hi> Sonne dicht über<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[167/0185] So ging die Rede. Noch manches Wort fiel, vom Ziegel- betrieb, von Maulbeerbäumen und Seidenzucht, vom Kornhandel nach Sachſen, vom Weinbau, der einſt an dieſen Hügelhängen blühte, zuletzt von der Jagd und den Wilderern am Schwi- low hin. „Sie treiben’s arg,“ hob unſer Erzähler wieder an. „In den kleinen Ortſchaften, da, ſüdlich über Ferch hinaus, da ſitzen ſie; jeder kennt ſie, aber keiner kann es beweiſen. In Kittel oder Joppe geht es zum Thor hinaus, tauſend Schritt weiter hin, unter einem dichten Wachholderbuſch, hat er ſeine Büchſe vergraben; nun holt er ſie aus Moos und Erde hervor und — der Wilderer iſt fertig. Ja, Ihr Herren Berliner, — und dabei hob er ſcherzhaft den Finger gegen mich — um Euren Feſtbraten ſäh’ es ſchlecht aus, wenn die Wilderer nicht wären und ihren Hals dran ſetzten. Wenn der Rehrücken erſt auf der Tafel ſteht, ſchmeckt’s keiner mehr, weſſen Blei ihn getroffen. Manch Einem mundet’s auch wohl um ſo beſſer, je mehr er weiß, es iſt ſo was wie verbotene Frucht. Aber ſie zu pflücken, iſt mühevoll; das muß wahr ſein. Der Förſter da unten iſt ihnen zu hart auf der Spur, der verſteht keinen Spaß, „du oder ich;“ zwei haben’s ſchon bezahlen müſſen und beide Male haben ihn die Gerichte freigeſprochen. Es iſt ein eigen Ding um Menſchenblut. Ich hätt’s nicht gern an meinen Händen. Aber am Ende, wenn’s hieße: meins oder deins, ich dächt’ auch lieber: deins.“ Unſer Auge hatte ſich unwillkürlich nach Ferch hinüber- gerichtet; ein Schuß, der in den weiten Waldungen widerhallte, durchzitterte uns leiſe. Die Sonne neigte ſich; in einer Viertel- ſtunde mußte ſie unter ſein. Wir eilten zu unſerm Boot und nahmen, uns rückwärts ſetzend, unſeren Blick gegen Weſten, um vom Waſſer aus dem Schauſpiel folgen zu können. Noch eh wir die Mitte des Sees erreicht, hing der rothe Ball über dem Sparren- und Schattengerüſt der Zugbrücke von Baumgartenbrück, während das glühende Spiegelbild der Sonne nur drei Handbreit tiefer ſtand. Die eine Sonne dicht über

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/185
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/185>, abgerufen am 27.11.2024.