Charakters Friedrich Wilhelm's III., um diesen Platz über sich selbst zu erheben. Ein rechter "out of the way-place," hindert ihn jetzt seine Abgeschiedenheit eben so sehr, wie ihn dieselbe einst zu ungeahnten Ehren führte. Was ihn jetzt noch hält, ist Pietät, Haustradition; -- nur das Wohlwollen der "neuen Herrschaft" ist ihm geblieben. Alle zwei Jahre, am Geburts- tage des Kronprinzen, werden die Dorfkinder neu eingekleidet: die Knaben erhalten des "Königs Rock" (der Uniform des 24. Landwehrregiments nachgebildet), während die Mädchen in russisch-grünen Tibetkleidern ihren Umzug halten.
Das Wohlwollen gegen die Paretzer ist das alte geblieben; aber Paretz selbst ist nicht mehr was es war. Kein Sehn- suchtspunkt mehr, nur noch ein Punkt für Erinnerung und stille Betrachtung.
2.
Wo nun Gras und Staude beben, Hat in froher Kraft geblüht, Ist zu Asche bald verglüht Manches reiche Menschenleben. Die der Tod hinweg genommen, Die hier einst so glücklich war: Der geschiednen Seelen Schaar, Nachtigall, Du hörst sie kommen. Lenau.
Das Schloß in Paretz.
So ging das Geplauder. Die wachsende Schwüle des Julinachmittags, wir empfanden sie nicht; ein leiser Luftstrom zog von der Havel her herauf und trug uns die Kühle des Wiesengrundes und den Duft der Resedabeete zu. Es war eine halbe Stunde, wie sie nur an dieser Stelle erlebt werden kann, hier, wo sich Stille und Erinnerung die Hand reichen.
Wir hingen noch den letzten Worten nach, der Schloß- diener öffnete die Läden und lüftete die Zimmer, in die wir einzutreten hatten, als die Szene sich plötzlich änderte. Ein Windstoß, jäh und heftig, fuhr durch den Park, die uns zu-
Charakters Friedrich Wilhelm’s III., um dieſen Platz über ſich ſelbſt zu erheben. Ein rechter „out of the way-place,“ hindert ihn jetzt ſeine Abgeſchiedenheit eben ſo ſehr, wie ihn dieſelbe einſt zu ungeahnten Ehren führte. Was ihn jetzt noch hält, iſt Pietät, Haustradition; — nur das Wohlwollen der „neuen Herrſchaft“ iſt ihm geblieben. Alle zwei Jahre, am Geburts- tage des Kronprinzen, werden die Dorfkinder neu eingekleidet: die Knaben erhalten des „Königs Rock“ (der Uniform des 24. Landwehrregiments nachgebildet), während die Mädchen in ruſſiſch-grünen Tibetkleidern ihren Umzug halten.
Das Wohlwollen gegen die Paretzer iſt das alte geblieben; aber Paretz ſelbſt iſt nicht mehr was es war. Kein Sehn- ſuchtspunkt mehr, nur noch ein Punkt für Erinnerung und ſtille Betrachtung.
2.
Wo nun Gras und Staude beben, Hat in froher Kraft geblüht, Iſt zu Aſche bald verglüht Manches reiche Menſchenleben. Die der Tod hinweg genommen, Die hier einſt ſo glücklich war: Der geſchiednen Seelen Schaar, Nachtigall, Du hörſt ſie kommen. Lenau.
Das Schloß in Paretz.
So ging das Geplauder. Die wachſende Schwüle des Julinachmittags, wir empfanden ſie nicht; ein leiſer Luftſtrom zog von der Havel her herauf und trug uns die Kühle des Wieſengrundes und den Duft der Reſedabeete zu. Es war eine halbe Stunde, wie ſie nur an dieſer Stelle erlebt werden kann, hier, wo ſich Stille und Erinnerung die Hand reichen.
Wir hingen noch den letzten Worten nach, der Schloß- diener öffnete die Läden und lüftete die Zimmer, in die wir einzutreten hatten, als die Szene ſich plötzlich änderte. Ein Windſtoß, jäh und heftig, fuhr durch den Park, die uns zu-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0351"n="333"/>
Charakters Friedrich Wilhelm’s <hirendition="#aq">III.</hi>, um dieſen Platz über ſich<lb/>ſelbſt zu erheben. Ein rechter <hirendition="#aq">„out of the way-place,“</hi> hindert<lb/>
ihn jetzt ſeine Abgeſchiedenheit eben ſo ſehr, wie ihn dieſelbe<lb/>
einſt zu ungeahnten Ehren führte. Was ihn jetzt noch hält,<lb/>
iſt Pietät, Haustradition; — nur das Wohlwollen der „neuen<lb/>
Herrſchaft“ iſt ihm geblieben. Alle zwei Jahre, am Geburts-<lb/>
tage des Kronprinzen, werden die Dorfkinder neu eingekleidet:<lb/>
die Knaben erhalten des „Königs Rock“ (der Uniform des<lb/>
24. Landwehrregiments nachgebildet), während die Mädchen in<lb/>
ruſſiſch-grünen Tibetkleidern ihren Umzug halten.</p><lb/><p>Das Wohlwollen gegen die Paretzer iſt das alte geblieben;<lb/>
aber Paretz ſelbſt iſt nicht mehr was es war. Kein Sehn-<lb/>ſuchtspunkt mehr, nur noch ein Punkt für Erinnerung und<lb/>ſtille Betrachtung.</p></div></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><head>2.</head><lb/><citrendition="#et"><quote>Wo nun Gras und Staude beben,<lb/>
Hat in froher Kraft geblüht,<lb/>
Iſt zu Aſche bald verglüht<lb/>
Manches reiche Menſchenleben.<lb/>
Die der Tod hinweg genommen,<lb/>
Die hier einſt ſo glücklich war:<lb/>
Der geſchiednen Seelen Schaar,<lb/>
Nachtigall, Du hörſt ſie kommen.</quote><lb/><bibl><hirendition="#b">Lenau.</hi></bibl></cit><lb/><divn="3"><head><hirendition="#g">Das Schloß in Paretz</hi>.</head><lb/><p>So ging das Geplauder. Die wachſende Schwüle des<lb/>
Julinachmittags, wir empfanden ſie nicht; ein leiſer Luftſtrom<lb/>
zog von der Havel her herauf und trug uns die Kühle des<lb/>
Wieſengrundes und den Duft der Reſedabeete zu. Es war eine<lb/>
halbe Stunde, wie ſie nur an <hirendition="#g">dieſer</hi> Stelle erlebt werden<lb/>
kann, hier, wo ſich Stille und Erinnerung die Hand reichen.</p><lb/><p>Wir hingen noch den letzten Worten nach, der Schloß-<lb/>
diener öffnete die Läden und lüftete die Zimmer, in die wir<lb/>
einzutreten hatten, als die Szene ſich plötzlich änderte. Ein<lb/>
Windſtoß, jäh und heftig, fuhr durch den Park, die uns zu-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[333/0351]
Charakters Friedrich Wilhelm’s III., um dieſen Platz über ſich
ſelbſt zu erheben. Ein rechter „out of the way-place,“ hindert
ihn jetzt ſeine Abgeſchiedenheit eben ſo ſehr, wie ihn dieſelbe
einſt zu ungeahnten Ehren führte. Was ihn jetzt noch hält,
iſt Pietät, Haustradition; — nur das Wohlwollen der „neuen
Herrſchaft“ iſt ihm geblieben. Alle zwei Jahre, am Geburts-
tage des Kronprinzen, werden die Dorfkinder neu eingekleidet:
die Knaben erhalten des „Königs Rock“ (der Uniform des
24. Landwehrregiments nachgebildet), während die Mädchen in
ruſſiſch-grünen Tibetkleidern ihren Umzug halten.
Das Wohlwollen gegen die Paretzer iſt das alte geblieben;
aber Paretz ſelbſt iſt nicht mehr was es war. Kein Sehn-
ſuchtspunkt mehr, nur noch ein Punkt für Erinnerung und
ſtille Betrachtung.
2.
Wo nun Gras und Staude beben,
Hat in froher Kraft geblüht,
Iſt zu Aſche bald verglüht
Manches reiche Menſchenleben.
Die der Tod hinweg genommen,
Die hier einſt ſo glücklich war:
Der geſchiednen Seelen Schaar,
Nachtigall, Du hörſt ſie kommen.
Lenau.
Das Schloß in Paretz.
So ging das Geplauder. Die wachſende Schwüle des
Julinachmittags, wir empfanden ſie nicht; ein leiſer Luftſtrom
zog von der Havel her herauf und trug uns die Kühle des
Wieſengrundes und den Duft der Reſedabeete zu. Es war eine
halbe Stunde, wie ſie nur an dieſer Stelle erlebt werden
kann, hier, wo ſich Stille und Erinnerung die Hand reichen.
Wir hingen noch den letzten Worten nach, der Schloß-
diener öffnete die Läden und lüftete die Zimmer, in die wir
einzutreten hatten, als die Szene ſich plötzlich änderte. Ein
Windſtoß, jäh und heftig, fuhr durch den Park, die uns zu-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/351>, abgerufen am 24.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.